Papier ist geduldig

Fast zwei Jahre nach ihrem Beginn haben die Verhandlungen für Darfur zu einem Ergebnis geführt. Viele bezweifeln, dass die Regierung in Khartum ernst machen will mit dem Frieden.

Von Marc Engelhardt

Im tosenden Applaus entlud sich der enorme Druck, unter dem zum Schluss alle in Abuja gestanden hatten. Alle Ultimaten waren schon mehrmals verstrichen, da stimmte der Führer der größten Rebellengruppe in Darfur dem von der Afrikanischen Union (AU) vermittelten Friedensabkommen endlich zu.

"Ich akzeptiere das Dokument, obowohl ich Vorbehalte bei der Frage der Machtverteilung habe", erklärte der Führer der größeren Fraktion der gespaltenen 'Sudanesischen Befreiungsarmee' (SLA), Minni Minnawi. Die Zustimmung sei ihm nicht leicht gefallen, betonte Minnawi, der sich zuvor stundenlang mit seinen Anhängern beraten hatte.

Rebellen unter Druck

Es war der 5. Mai. Internationale Vermittler hatten seit Tagen auf die Rebellen eingeredet, dem vorliegenden Papier zuzustimmen. "Sie werden kein besseres Ergebnis bekommen", soll US-Vizeaußenminister Robert Zoellick den drei am Tisch sitzenden Rebellengruppen zum Schluss angedroht haben. Doch die zweite Hälfte der SLA unter Abdul Wahid Mohammed Al-Nur und die "Bewegung für Gleichheit und Gerechtigkeit" (JEM) fordern bis heute mehr Autonomie in Darfur und mehr Macht in Khartum.

"Darfur muss eine autonome Provinz werden", so JEM-Sprecher Ahmed Tugod. "Und wir wollen einen Vize-Präsidentenposten in Khartum." Auch Al-Nur will mehr Zugeständnisse, die in einem Annex zum Friedensvertrag festgehalten werden sollen. Bislang scheint niemand dazu bereit. Die Afrikanische Union hat beiden Rebellengruppen eine Frist bis Ende Mai gesetzt, um den vorliegenden Vertrag bedingungslos zu unterschreiben. Auch der UN-Sicherheitsrat hat bereits Konsequenzen angedroht, falls dies nicht geschieht.

Entwaffnung der Dschandschawid

Die wichtigste Klausel im Friedenabkommen ist ohne Zweifel die Entwaffnung der Dschandschawid-Milizen, jener arabischstämmigen Nomaden, die die sudanesische Regierung vor mehr als drei Jahren mit Waffen ausgerüstet hatte.

Ihre Angriffe mit Unterstützung der sudanesischen Luftwaffe lösten im Frühjahr 2003 das aus, was UN-Hilfskoordinator Jan Egeland "die weltweit größte humanitäre Katastrophe" nannte: Sesshafte Bauern, größtenteils Angehörige schwarzafrikanischer Ethnien, flohen vor brutalen Mördern und Vergewaltigern aus ihren Dörfern. Zwischen zwei und drei Millionen von ihnen, so schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk, leben derzeit in Lagern.

Für die Entwaffnung setzt der Friedensvertrag eine Frist bis Mitte Oktober. Wie genau die eingehalten werden soll, ist unklar. Beobachter sind sich einig, dass die Regierung in Khartum – die offiziell jede Unterstützung der Dschandschawid bestreitet – längst die Kontrolle über die Miliz verloren hat. Ein Dschandschawid-Kommandant bestätigt das. "Wir fühlen uns von der Regierung verraten: erst wollte sie, dass wir für sie die Rebellion niederschlagen, und jetzt werden wir um unseren Lohn gebracht." Anders als die Rebellen, saßen die Dschandschawid bei den Abuja-Verhandlungen nicht mit am Tisch. An das Ergebnis gebunden fühlen sie sich nicht.

Gewinne und Verluste

Erst nach der Entwaffnung der Dschandschawid, so hält es der Friedensvertrag fest, sollen die Rebellen demobilisiert werden. 4.000 Rebellen sollen in die Armee, 1.000 in die Polizei und weitere 3.000 in die Verwaltung Darfurs integriert werden, in der nationalen Armee werden ihnen "Führungspositionen" zugesichert.

Rund um Flüchtlingscamps sollen Schutzzonen errichtet werden. All das sind Verhandlungserfolge für die Rebellen. Die Regierung von Omar Hassan el Baschir feiert ihre Erfolge erst im zweiten Kapitel, in dem es um die Aufteilung der Macht geht. Um jeden Preis wollte Baschir verhindern, dass noch ein Teilstaat im zentralistisch geführten Sudan mehr Macht erlangt. Das ist ihm gelungen.

Die "vierthöchste Position im Staat" werde den Rebellen zugesichert, heißt es im Friedensvertrag, der "Seniorberater des Präsidenten". In der politischen Vertretung in den drei Provinzen, die Darfur ausmachen, sollen die Rebellen repräsentiert sein. Eine einheitliche Darfur-Region, die die Rebellen gefordert hatten, soll es aber vorerst nicht geben. Schließlich sieht der Vertrag einmalige Zahlungen aus Khartum für den Wiederaufbau von insgesamt 700 Millionen US-Dollar vor. Verbindliche Zuweisungen aus Khartums Öl-Millionen darüber hinaus sind nicht vorgesehen.

Knackpunkt Blauhelme

Dass zumindest Minnawi dem Abkommen dennoch zugestimmt hat, liegt wohl an einem Punkt, der nicht auf dem Papier steht. Es geht um die Stationierung einer UN-Friedenstruppe in Darfur, die die 7.000 unzureichend ausgebildeten und unterfinanzierten Soldaten unter Mandat der Afrikanischen Union (AU) ersetzen sollen. Kurz vor dem Abschluss von Abuja hieß es, Khartum werde seine ablehnende Haltung aufgeben, wenn nur der Friedensvertrag unterzeichnet werde. Doch knapp zwei Wochen später will in Baschirs Regierung niemand mehr daran erinnern.

"Zum Thema Blauhelme steht nichts im Vertrag, und wir lehnen ihren Einsatz in Darfur weiter ab", betonte Außenminister Lam Akol. Stunden später beschloss der UN-Sicherheitsrat eine erste Vorausmission, deren Sinn nun ungewiss ist. Mit seinem Widerstand bestätigt Khartum den Hauptvorbehalt der Rebellen: Den Zweifel, ob Khartum das Abkommen wirklich umsetzen will. Zu viele Verträge hat Baschir in der Vergangenheit gebrochen.

Düstere Lage in Darfur

Die Lage vor Ort bestätigt solche Ängste. Im Lager von Gereida im Süden Darfurs etwa hungern mehr als 100.000 Menschen in der prallen Sonne. Nahrungsmitteltransporte dringen nicht zu ihnen durch, weil Dschandschawid das Lager von allen Seiten belagern. Die Rebellen, die das Lager verteidigen, gehören zu Mennawis SLA-Fraktion. "Wenn die Dschandschawid abziehen, legen wir die Waffen nieder", versichert der örtliche Kommandeur Hamed Ismail Tijani.

Doch frisch eingetroffene Flüchtlinge sehen keine Anzeichen dafür. "Ich bin vor Tagen zu Fuß geflohen, weil die Armee uns gemeinsam mit den Dschandschawid angegriffen hat", berichtet Nasser Mohammed Yusuf Ahmed. Seine Verwandten hat er ebenso wie alles Hab und Gut auf der Flucht verloren.

Wenn in wenigen Wochen die Regenzeit beginnt, können die UN noch weniger Flüchtlinge versorgen als jetzt schon. Doch das Welternährungsprogramm hat derzeit noch ein zusätzliches Problem: Die Geberländer sind müde. "Wir mussten die Nahrungsmittelversorgung pro Kopf um die Hälfte kürzen – auf 1050 Kilokalorien pro Tag", konstatiert WFP-Direktor James Morris. "Vollkommen unzureichend, um davon leben zu können", wettert der UN-Sonderbeauftragte Jean Ziegler.

Von den 746 Millionen US-Dollar, die für das Nötigste gebraucht werden, ist bislang nur ein Drittel zugesagt. Woher der Rest kommen soll, steht noch in den Sternen. Manche Rebellen befürchten, dass Khartum jetzt erst Recht auf Zeit spielen könnte. Wenn die Not weiter wächst, könnten sich die Bedingungen weiter zu Gunsten der Regierung verschieben.

Marc Engelhardt

© Qantara.de 2006

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