Das Erbe des Pharao
Seit 28 Jahren regiert Hosni Mubarak uneingeschränkt sein Land. Doch gegen seine autokratische Herrschaft regt sich zunehmend Widerstand. Auch fragen sich viele Ägypter, wie die Zukunft der Nilrepublik nach Mubaraks Tod aussehen könnte. Aus Kairo informiert Amira El Ahl.
Jeder, der ins westliche Delta will, wird einige Kilometer außerhalb von Kairo auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Denn nur ein Weg führt hier über den Fluss. Es ist das alte Fluss-Wehr in Qanater, das zu einer Zeit erbaut wurde, als täglich nur ein paar Eselskarren auf die andere Seite des Nils wollten. In jede Richtung gab es eine Spur.
Heute drängen sich tausende von Autos, Lastwagen, Mopeds und auch immer noch Eselskarren durch dieses Nadelöhr. Es herrscht heilloses Chaos, dem auch der wild gestikulierende Verkehrspolizist nicht Herr wird.
Es ist dieser Weg, der nach Quesa, Kafr al-Musalha und Shibin al-Kom führt, in die Vergangenheit Hosni Mubaraks. Hier, im immer noch grünen fruchtbaren Delta etwa 60 Kilometer nord-westlich von der Hauptstadt entfernt, wuchs Mubarak auf.
In Quesa, das mittlerweile zu einer Kleinstadt angewachsen ist, wurde er geboren. Das Haus, gelb getüncht, ist mittlerweile fast verfallen. Nur die große massive Holztür erinnert noch daran, dass hier einmal Menschen wohnten, die nicht wie die meisten Bauern in der Gegend von der Hand in den Mund leben mussten. Mubaraks Vater war Justizbeamter, die Familie gehörte dem unteren Mittelstand an.
Kind aus gutem Hause
"Er kam aus gutem Hause", sagt Mahmoud Omar. Der 79jährige erinnert sich noch gut an den jungen Mubarak. Sie waren Nachbarn damals, in Kafr al-Musalha, wo Mubarak seine Jugend verbrachte. Omar sitzt auf einem alten Holzstuhl an der staubigen Straße vor seinem Haus.
Gleich nebenan steht die kleine Villa, in der die Familie Mubarak damals lebte. Auch hier arbeitet die Zeit gegen das Gemäuer, auch hier haben Wind und Wetter ihre Spuren hinterlassen. Die Bewohner des Dorfes sind zwar stolz auf ihren berühmten Sohn, aber eine Tafel, die an ihn erinnert, oder ein Museum gibt es nicht.
"Seit seiner Zeit als Vizepräsident hat er das Dorf nicht mehr besucht", erzählt Omar, und ein wenig verletzt hört er sich dabei schon an. Die Moschee und die Schule wurden nach einem anderen berühmten Sohn des Dorfes benannt, nicht nach Staatschef Hosni Mubarak. Dessen Name schmückt lediglich eine Brücke und den Sportclub.
Ein Sportsmann sei er gewesen, erinnern sich alle, die man nach Mubarak fragt. "Er hat in der Schule und im Sportclub Hockey gespielt", sagt Omar, "und er war ein sehr guter Schüler." Beides sollte auf seinem späteren Lebensweg eine entscheidende Rolle spielen.
"Es war sein Traum, Pilot zu werden", erzählt Makram Ahmed. Der Journalist und Chefredakteur der Wochenzeitung "al-Musaur" ist ein enger Vertrauter des Präsidenten. Seit Jahrzehnten hat der feine Herr mit den schlohweißen Haaren und der dicken Hornbrille Zugang zum engsten Regierungszirkel.
Vom Fliegerpilot zum Staatspräsident
Mubarak brachte all das mit, was man braucht, um Pilot zu werden: eine gute Ausbildung, Intelligent, Ehrgeiz, Disziplin und eine hervorragende Kondition.
Für Hosni Mubarak öffnete die Pilotenkarriere die Tür zu einem neuen Leben, zu einem Teil der Gesellschaft, die ihm bis dahin verschlossen war. "Es ermöglichte ihm, in die 'High Society' einzuheiraten", sagt Makram Ahmed. Sehr schnell stieg Mubarak auf. Seine Disziplin und Entschlossenheit, Karriere zu machen, zahlten sich bald aus.
Nach seiner Militärlaufbahn als Kampfflieger und Pilotenausbilder ernannte der ehemalige Staatschef Gamal Abdel Nasser Hosni Mubarak 1969 zum Stabschef und später zum Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Im Oktoberkrieg 1973 kämpfte Mubarak als Generalleutnant, und im April 1975 ernannte ihn Anwar al-Sadat zum Vizepräsidenten.
Als Sadat bei einer Militärparade von Islamisten erschossen wurde, stand Hosni Mubarak neben ihm. Er blieb unverletzt und wurde am 14. Oktober 1981 Staats- und Ministerpräsident Ägyptens. Seitdem regiert er Ägypten im Ausnahmezustand, den er bisher stets erneut bestätigt und verlängert hat. Im Januar 1982 gab er das Amt des Ministerpräsidenten ab.
Heute ist das Land gezeichnet von einer immer schneller wachsenden Bevölkerung, der die Ressourcen auszugehen drohen, von einer schwachen Wirtschaft, von Arbeitslosigkeit und einem immer größer werdendem Gefälle zwischen Arm und Reich.
Wirtschaftlicher Absturz
"Der ökonomische Verfall ist gravierend", sagt Abdelhalim Qandil. Der Journalist ist Chefredakteur der Oppositionszeitung "Saut al-Umma", Nasserist und Sprecher der Oppositionsbewegung "Kifaya".
Qandil nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um seine Ablehnung zu Mubarak geht. "Noch 1973 stand Ägypten wirtschaftlich mit Südkorea auf einer Stufe. Heute steht Südkorea an zehnter, wir an 122. Stelle." Ägypten sei unter Mubarak auf das Niveau eines Staates wie Burkina Faso gerutscht.
Ein Grund für diesen Verfall sei das Ein-Parteien-System. Die "Mafiokratie", wie Qandil es nennt, habe Ägypten in den Ruin getrieben. "Wir werden nicht nur von einer Partei regiert, sondern seit 28 Jahren von einer Familie."
Vater Mubarak, Mutter Suzanne und sein jüngster Sohn Gamal würden alle Geschicke des Landes leiten. Der Erstgeborene Alaa Mubarak ist zwar politisch nicht aktiv, dafür aber ein einflussreicher Geschäftsmann in der Nilrepublik.
Abdelhalim Qandil bezeichnet den gegenwärtigen Zustand als "die schlimmste Ära Ägyptens". Jegliche politische Opposition werde unterdrückt, nie in der Geschichte Ägyptens habe es so viele politische Gefangene gegeben, nie so viele Verschwundene.
Mubarak sei isoliert, nur die Oberschicht, die von seiner Regentschaft profitiert hat, steht auf seiner Seite. Und der riesige Sicherheitsapparat, den Mubarak geschaffen hat. "Wir haben fast zwei Millionen Sicherheitskräfte aber nur 460.000 Soldaten", sagt Qandil. "Heute werden die Ägypter von Ägypten bekämpft."
Im festen Griff des Sicherheitsapparats
Mubarak braucht diesen Sicherheitsapparat, um seine Macht zu sichern und den Unmut in der Bevölkerung zu unterdrücken. 80 Prozent der Ägypter leben von weniger als zwei Dollar am Tag und der große Traum aller ist, das Land zu verlassen. Egal wie.
"Kennen Sie ein anderes Land auf der Welt, wo alle Bürger weg wollen?", fragt Abdelhalim Qandil. Früher gingen viele Ägypter in den Irak zum arbeiten, nach Libyen oder Europa. Aus dem Irak mussten sie fliehen und Europa lässt sie legal kaum noch rein.
"Deshalb wird der Unmut der Menschen immer lauter, sie werden politisch aktiv, die Demonstrationen nehmen zu", sagt Qandil. Eines steht fest: Die Wirtschaftskrise ist eine Bedrohung für das Regime Mubarak. Denn die Einnahmen aus dem Tourismus, dem Suez Kanal und durch Immigranten, die Geld nach Hause schicken, schwinden.
Doch wie soll es weitergehen? Von Amtsmüdigkeit scheint der Pharao, wie er von vielen tituliert wird, auch in seinem 28. Regierungsjahr noch nicht befallen zu sein. Viele Gegner bezweifeln gar, dass Mubarak je abtreten wird, trotz seines hohen Alters.
Doch warum hat er zum Beispiel bis heute keinen Vizepräsidenten ernannt, der im Notfall das Amt des Staatschefs übernehmen kann? Gerüchten zufolge soll eine sudanesische Wahrsagerin Mubarak noch vor seiner Zeit als Vizepräsident prophezeit haben, dass er einmal Staatspräsident werden würde.
Doch in dem Moment, in dem er einen Vizepräsidenten ernennen würde, orakelte die Frau, würde er sterben. Deshalb habe sich der "Pharao" bisher nicht getraut, einen Vizepräsidenten zu ernennen, munkeln die abergläubischen Ägypter.
Alles beim Alten?
Realisten sehen das anders. "Mubarak will nicht derjenige sein, der den nächsten Präsidenten Ägyptens aussucht, das sollen die Leute selber machen", sagt Makram Ahmed. Dabei schafft er mit dieser Entscheidung, die keine ist, in Ägypten große Unsicherheit.
Denn es ist völlig unklar, was nach seinem Abgang in der Nilrepublik geschehen wird. Anarchie, freie Wahlen, eine islamische Republik nach dem Vorbild Irans oder doch nur eine Übergabe der Geschäfte an den jüngeren Mubarak, so dass alles beim Alten bleibt?
"Die Parteien sind schwach, es wird das Militär sein, das das letzte Wort hat in dieser Frage", prophezeit Ahmed. Der Geheimdienstchef Omar Suleiman könnte ein geeigneter Kandidat für die Nachfolge sein. Er sei ein weiser Mann, sagt der Journalist, der Mubaraks Vertrauen besitzt.
In diesem Punkt sind sich der regierungstreue Ahmed und der Regierungskritiker Qandil einig. "Wenn Mubarak stirbt, wird die Armee auf die Straße gehen und für Ruhe sorgen", sagt Abdelhalim Qandil.
Benzinfass Ägypten
Aber im Gegensatz zu Makram Ahmed prophezeit er noch ein völlig anderes Szenario: "Wenn Mubarak stirbt, geht ganz Ägypten auf die Straße und feiert." Für den Autor, der mit zwei kritischen Mubarakbüchern für Furore gesorgt hat, ist Ägypten mittlerweile zu einem Benzinfass geworden. "Bereits ein einziges brennendes Streichholz kann das ganze Land zur Explosion bringen."
Die Opposition zum Mubarak-Regime ist in den vergangenen zwei Jahren immer lauter und stärker geworden. Das Regime kämpft mittlerweile nicht mehr nur gegen die aufmüpfige Muslimbruderschaft, die mit 88 Kandidaten im Parlament vertreten ist, oder gegen Journalisten wie Abdelhalim Qandil, die in ihren Oppositionszeitungen Stimmung gegen Mubarak und sein Gefolge machen.
Sie müssen sich auch vermehrt mit Demonstranten und vor allem jungen Kritikern auseinandersetzen, die sich die neuen Medien geschickt zu Nutze machen. Angeführt von zahlreichen Bloggern, die auf ihren Webseiten das Regime attackieren, sind auch 'Facebook' und 'Youtube' zu Plattformen für den Widerstand geworden.
Da wird auf 'Facebook' zum Generalstreik aufgerufen oder auf 'Youtube' ein Video veröffentlicht, in dem Mubarak mit einem Esel verglichen und abwechselnd als Monarch, Pharao oder auch als Hitler dargestellt wird.
"Wir stehen vor einer gesellschaftlichen Explosion, einem Volksaufstand", sagt Abdelhalim Qandil. Die Wirtschaftskrise werde diesen Trend verstärken, und der Journalist prophezeit, dass die kommenden zwei Jahre die gefährlichsten Jahre in der Geschichte Ägyptens werden könnten. "2010 wird alles zu Ende sein."
Denkbar wäre für den Journalisten dann auch eine Entwicklung, wie sie in der Türkei stattgefunden hat. Ein Wandel zu einem demokratischen System, das von der Armee gestützt wird.
Kommt Gamal Mubaraks Inthronisierung?
Denn obwohl die Regierung – unter anderem durch Verfassungsänderungen – alle Vorkehrungen getroffen hat, um Gamal Mubarak den Weg an die Spitze Ägyptens zu ebnen, glauben nicht viele an das Szenario einer Machtübernahme des Juniors.
"Er hätte nur eine Chance: Wenn ihn sein Vater einsetzt, bevor er stirbt", sagt Qandil. Denn die Armee ist offenbar gegen Mubaraks Jüngsten. Nur Israel und die USA hätten ein Interesse an einer Regierung unter der Führung Gamal Mubaraks.
Wenn aber Mubarak Senior sterben sollte, bevor er Gamal zum Präsidenten gemacht hat, gäbe es für Gamal keine Zukunft in Ägypten. "Dann sind Suzanne und Gamal Mubarak die ersten, die in einem Flugzeug gen Westen sitzen", sagt Qandil. Aber soweit wird es vielleicht gar nicht kommen.
"Ich befürchte, dass Gamal vor seinem Vater sterben könnte", sagt Qandil, und schiebt gleich einen Witz hinterher: Mubarak bekommt von einem Freund eine Schildkröte geschenkt. "Diese Tiere können 200 Jahre alt werden", sagt der Freund. Darauf Mubarak: "Das werden wir ja sehen." Mubaraks Mutter soll 104 Jahre geworden sein. Sie starb übrigens bei einem Autounfall.
Amira El Ahl
© Qantara.de 2009
Amira El Ahl berichtete zwei Jahre lang als Auslandskorrespondentin für den SPIEGEL aus Kairo. Seit 2008 ist sie als freie Korrespondentin im Nahen Osten tätig.
Qantara.de
Mubarak-Erbnachfolge in Ägypten
Scheindemokratischer Anstrich
In Jordanien herrscht eine Erbmonarchie, in Syrien ging die Macht vom Vater auf den Sohn über. Und auch in Ägypten, das sich formell als Demokratie sieht, gilt ein Machtwechsel innerhalb der Familiendynastie als wahrscheinlich. Jürgen Stryjak berichtet aus Kairo.
Saad Eddin Ibrahim:
Mubaraks Kriege im eigenen Haus
Das anhaltende Notstandsrecht und die Aushöhlung der unabhängigen Justiz in Ägypten werfen ein Schlaglicht auf die autoritäre Herrschaft von Präsident Hosni Mubarak und die Demokratiedefizite im Land. Von Saad Eddin Ibrahim aus Kairo
Korruptionsbericht der Kifaya-Bewegung
Der gefallene Pharao
Ägyptens Kifaya-Bewegung hat mit ihrer Veröffentlichung eines Berichtes über Korruption und Vetternwirtschaft in der Führungsschicht des Landes den Widerstand gegen Präsident Mubarak erhöht. Von Barry Rubin
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