Für ein besseres Pakistan
Wochenlang haben die Mädchen und Jungen auf diesen Tag hingearbeitet: mit ihren Klassenkameraden diskutiert, sich vor Ort umgesehen, Familie und Freunde überzeugt, tausende Unterschriften gesammelt.
Jetzt sitzen sie als eine kleine Delegation ihrer Schulen im Büro des Chefredakteurs von DAWN, einer der größten englischsprachigen Zeitungen im Land. Noch etwas nervös berichten sie ihm von ihrer Unterschriftenliste und bitten ihn, die damit verbundene Forderung in den nächsten Tagen in seinem Blatt zu veröffentlichen: Schluss mit der Diskriminierung von 16 Millionen Behinderten im Land!
Bei Chefredakteur Abbas Nasir rennen die Teenager mit ihrem Anliegen offene Türen ein. Der 47-Jährige leidet selbst an einem Gehfehler infolge einer Kinderlähmung. Sofort erklärt er sich bereit, am 3. Dezember, dem Internationalen Tag behinderter Menschen, über deren Situation in Pakistan zu berichten.
Die Berichterstattung in der Presse soll Druck auf die Regierung in Islamabad machen, die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen zu unterschreiben.
Kinder verändern die Welt
"Diese Petition ist natürlich nicht mehr als ein kleiner Schritt, dem weitere folgen müssen, um die Situation behinderter Menschen im Land zu verbessern", gibt Zulfikar Ali von der Organisation "Human Rights Education Programme" (HREP) in Karatschi zu.
"Aber es ist ein sehr wichtiger Schritt, von dem die Kinder viel lernen werden. Sie sollen wissen, dass sie die Welt nicht von heute auf morgen ändern müssen. Ein kleines Projekt wie dieses ist schon viel wert, um in der Gesellschaft ein neues Problembewusstsein zu schaffen."
Denn darum geht es Zulfikar Ali, der HREP vor zwölf Jahren in Karatschi gegründet und den Redaktionsbesuch der Schüler organisiert hat. In einer von Gewalt, Kriminalität und Intoleranz geprägten Gesellschaft will er eine neue Generation prägen, die soziales Gewissen zeigt und sich für die Zukunft ihres Landes verantwortlich fühlt.
Zielgruppe sind Schüler aller Schichten im Alter zwischen sechs und 18 Jahren. Das Team von HREP entwirft Unterrichtsblöcke zu Themen wie Gleichberechtigung, Umweltschutz oder Atomwaffen und schickt sie an interessierte Schulen im Land.
Die Details erarbeiten sich die Kinder dann zunächst in ihren Klassen und organisieren Ausflüge, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Später treffen sich Sprecher der beteiligten Schulen zu Workshops, in denen sie ihre Ergebnisse präsentieren, Erfahrungen austauschen und ihr soziales Anliegen an die Öffentlichkeit tragen.
Wachsendes Interesse für andere
In den ersten Jahren von HREP sei es schwer gewesen, Kinder für ein solches gesellschaftliches Engagement zu gewinnen, erinnert sich Zulfikar Ali.
"In den Schulen und von ihren Eltern lernen die Kinder, sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern und sich nirgendwo einzumischen", begründet der 41-Jährige diese Zurückhaltung.
In den vergangenen Jahren ist es HREP jedoch gelungen, diese Sorgen zumindest bei einigen tausend Kindern und ihren Eltern zu zerstreuen. Manche der Schüler beschreiben die Projekte als Augen öffnend.
"Mir war früher gar nicht so bewusst, wo die Probleme der Gesellschaft liegen, geschweige denn, was ich als Einzelperson dagegen unternehmen kann", erklärt die 14-jährige Mahnoor. Zulfikar und sein Team hätten ihr gezeigt, dass sie durchaus etwas bewirken könne.
Vor allem für die Schüler vieler staatlicher Schulen ist diese von HREP entwickelte, interaktive Form des Unterrichts eine völlig neue Erfahrung. Ihre Lehrer sind oft schlecht ausgebildet.
Insgesamt arbeitet seine Organisation mit rund 320 Schulen im ganzen Land zusammen. Zu wenig, um eine Gesellschaft von 160 Millionen Menschen umzukrempeln. Da macht sich Ali keine Illusionen.
Kindermuseum für Frieden und Menschenrechte
Um mehr Kinder zu erreichen, plant er zurzeit den Bau eines "Kindermuseums für Frieden und Menschenrechte", das 2009 in Karatschi eröffnen soll: ein zukünftiges Ausflugsziel für Schulklassen mit einer Vielfalt von Programmangeboten.
Ziel ist es, die Menschen aus ihrer Teilnahmslosigkeit zu reißen und soziale Probleme stärker ins Bewusstsein zu rücken.
Auch über das Museum wird DAWN sicher berichten, wenn es soweit ist. Vorerst beschäftigt Chefredakteur Abbas Nasir allerdings die Frage, wie er sein Versprechen einlösen und über die Diskriminierung Behinderter berichten kann.
Die Leidenschaft, mit der seine jungen Besucher für deren Belange eingetreten sind, hat ihn tief beeindruckt. "Viele Pakistaner sind zynisch geworden, sitzen herum und warten darauf, dass andere die Probleme für sie lösen. Diese Schüler nicht, und dafür bewundere ich sie."
Nasir hofft, dass die Kinder es mit ihrem Elan einmal in entscheidende Positionen in der Gesellschaft schaffen werden. Und dass sie dann immer noch genauso mutig für ein besseres Pakistan eintreten wie jetzt.
Annette Meisters
© Qantara.de 2007