„Literatur beruht auf Politik und Erotik“
Herr Cheheltan, Sie schreiben für deutschsprachige Medien und haben zahlreiche Romane in Deutschland veröffentlicht. Warum? Haben Sie Deutschland gewählt oder hat Deutschland Sie ausgesucht?
Amir Hassan Cheheltan: Deutschland hat mich gewählt. Alles begann damit, dass meine Artikel im deutschsprachigen Raum erschienen, der erste vor 20 Jahren in der Süddeutschen Zeitung, als im Iran gerade eine Serie von Morden an Schriftstellern und Oppositionellen verübt wurden. Später sprach der kleine Kirchheim-Verlag in Mainz meine Übersetzerin Susanne Baghestani an und bekundete sein Interesse, einen meiner Romane in deutscher Übersetzung zu veröffentlichen.
Sie leben im Iran, sind aber viel unterwegs.
Amir Hassan Cheheltan: Ich lebe mit meiner Frau in Teheran, bin aber oft auf Reisen und viel in Deutschland. Ich reise gerne und schätze die kulturellen Möglichkeiten in anderen Ländern. Ich habe zwei Jahre mit einem Stipendium vom „International Parliament of Writers“ in Italien gelebt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat mir einen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Sechs Monate lang war ich auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung Gast der Villa Aurora in Los Angeles. Und ich halte mich auf Lesereisen oft für kürzere Zeit in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien auf.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden zahlreiche iranische Romane in andere Sprachen übersetzt. Es scheint aber, dass Sie den Rekord halten. Woran liegt das?
Amir Hassan Cheheltan: Mir fällt es schwer, zu sagen, was meine Arbeit von den Texten anderer Autoren unterscheidet. Meine Romane spielen im städtischen Milieu. Vielleicht sind sie wegen meiner Erzählsprache einfacher zu übersetzen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich durch meine Artikel in den Medien präsenter bin als meine Schriftstellerkollegen.
Sie schreiben auf Farsi und Ihre Geschichten spielen im persischen Sprachraum. Dennoch haben Sie Weltbürger im Blick – wie schaffen Sie diesen Spagat?
Amir Hassan Cheheltan: Natürlich bin ich in erster Linie Iraner. Meine Sprache ist Persisch, ich kann in keiner anderen Sprache der Welt eine Erzählung schreiben. Ich bin im Iran aufgewachsen und sozialisiert worden und verstehe die Welt auf Persisch.
Aber ich habe als Autor nicht nur meine Landsleute im Blick, mit denen ich die Sprache und viele Sorgen teile. Denkt man ausschließlich lokal, dann zieht man eine Trennlinie zwischen „uns“ und „den anderen“.
Dabei teilen wir doch alle, ganz gleich, wo wir herkommen, Sorgen und Nöte. Liebe, Einsamkeit, Auswanderung oder Trennung sind Themen für alle Menschen. Das verbindet den Bürger eines Landes mit globalen Weltbürgern. Die Welt ist heute nicht nur wirtschaftlich zusammengewachsen; es geht nicht mehr an, dass wir uns kulturell und literarisch isolieren. Ich sehe mich als Weltbürger.Wie funktionieren Ihre Lesungen in Europa? Die Zuhörer verstehen ja kein Persisch.
Amir Hassan Cheheltan: Ich lese zuerst einige Zeilen auf Farsi, damit die Zuhörer einen Eindruck davon bekommen, wie der Text im Original klingt. Danach liest ein Schauspieler oder Moderator längere Passagen auf Deutsch, und das anschließende Gespräch findet in englischer Sprache statt.
Wie kam es zu Ihrer Einladung bei Bundespräsident Steinmeier?
Amir Hassan Cheheltan: Steinmeier besuchte den Iran vor vier Jahren, als er noch Außenminister war. Die deutsche Botschaft teilte mir damals mit, dass Steinmeier mich treffen wollte. Doch ich war nicht in Teheran und sein Aufenthalt war nur kurz und so konnte das Treffen nicht stattfinden. Vor ein paar Monaten dann fragte mich der Kulturbeauftragte des Präsidenten, wann ich wieder nach Deutschland reisen würde.
Am 6. März diesen Jahres kam es zu einem Treffen. Ich habe erfahren, dass der Bundespräsident in seiner Freizeit Romane liest und Jazz hört, und dass ihn manchmal Schriftsteller und Künstler auf seinen Reisen begleiten. Er nutzt dann den Flug, um mit den Autoren über Kultur und Literatur zu sprechen. Steinmeier hat auch einige meiner Werke gelesen. Ihm hat vor allem „Der Kalligraph von Isfahan“ gut gefallen.
Bessere Qualität bei Übersetzungen
In Europa wächst das Interesse an iranischer Literatur. Hängt das in Ihren Augen mit der politischen Entwicklung zusammen?
Amir Hassan Cheheltan: Es besteht kein Zweifel daran, dass die Weltöffentlichkeit den Iran mit Interesse verfolgt. Vermutlich wollen manche in meinen Romanen Antworten auf ihre Fragen finden. Das ist ein Grund, warum meinen Büchern und Artikeln heute mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Spielt dabei auch die bessere Qualität der Übersetzungen eine Rolle? Inzwischen gibt es herausragende Literaturübersetzer, etwa die von Ihnen genannte Susanne Baghestani.
Amir Hassan Cheheltan: Richtig. Literatur zu übersetzen, ist ein schwieriges Unterfangen; um Don Quijote von Cervantes zu zitieren: Übersetzen ist im besten Fall, wie wenn man ein Teppich von der Rückseite betrachtet.
Ich habe aber Glück; meine Übersetzerinnen Susanne Baghestani und Jutta Himmelreich sind sehr gut, wie mir Lektoren und Kritiker gleichermaßen versichern. Ich bin auch mit Kurt Scharf sehr zufrieden, der einige meiner Romane übersetzt hat. Er ist ein herausragender Sprachkenner, der Texte aus sieben oder acht Sprachen übersetzt.
Prüfen Sie die Übersetzungen?
Amir Hassan Cheheltan: Ich kann kein Deutsch, aber man sollte schon manchmal nachschauen. Einmal wurde der Name Torabi mit Terabi übersetzt, weil persische Worte ohne Vokale geschrieben werden. Ich habe es erst bemerkt, als das Buch bereits gedruckt war.
Bei manchen Namenszusätzen wie Hassan Chaghoo (Hassan das Messer) oder Hossein Ferfereh (der flinke Hossein) sollten die Zusätze, die Eigenschaften bezeichnen, besser übersetzt werden, statt sie in der Originalsprache zu belassen.
Zensur zerstört die literarische Phantasie
Die Handlungen mancher Ihrer Bücher liegen einige Jahrhunderte zurück. Trotzdem kommen sie in Europa gut an. Woran liegt das?
Amir Hassan Cheheltan: Mein Roman „Der Kalligraph von Isfahan“ spielt im Jahr 1722, also vor 300 Jahren, aber dieser Roman ist mein erfolgreichstes Buch in Deutschland. Auch im Iran werden gerne Bücher gelesen, die zur Weltliteratur zählen, aber in einem anderen Kulturraum spielen. Zum Beispiel sind die Werke von Haruki Murakami beliebt, die regelmäßig gleich nach Erscheinen ins Persische übersetzt werden.
Iraner können sich in diesen Erzählungen wiederfinden und das ist wichtig für die Romane. Einige unserer Autoren beachten das nicht ausreichend. Viele Romane, die im Iran geschrieben werden, sind für ein internationales Publikum uninteressant. Mag sein, dass Iraner sie lesen und genießen, aber sie sprechen den globalen Leser nicht an.
Die Metaphern, die die Autoren benutzen, um die Zensur zu umgehen, sind oft für den Leser schwer verständlich. Sie umgehen die Zensur, indem Sie Ihre Bücher im Ausland veröffentlichen.
Ich schicke meine Manuskripte auch zuerst an iranische Verleger. Die schicken sie an das zuständige Kulturministerium und bitten um eine Erlaubnis zur Publikationen. Mein erster Roman wurde vor 42 Jahren im Iran veröffentlicht. Seitdem war ich permanent Konflikten mit der Zensur ausgesetzt.
Die Zensur hat die iranische Literatur ruiniert. Ich konnte in den vergangenen 15 Jahren keinen einzigen Roman im Iran publizieren, weil sich das Ministerium immer geweigert hat, mir die erforderliche Erlaubnis zu erteilen.
Politik und Erotik
Ihre Schriftstellerkollegen arrangieren sich mit den Gegebenheiten und schreiben ihre Texte so, dass sie im Iran erscheinen können.
Amir Hassan Cheheltan: Literatur beruht immer auf zwei Säulen: Politik und Erotik. Wenn wir beide aus Erzählungen verbannen, bleibt kaum etwas Beachtenswertes übrig. Doch diese beiden Themen stehen im Fokus der Zensur. Ich wundere mich darüber, denn Erotik steht seit tausend Jahren im Mittelpunkt der persischsprachigen Literatur, vor allem der Poesie.
Wir haben eine beinahe pornografische Poesie, die nicht aus der Feder irgendeines Unbekannten stammt, sondern von ruhmreichen Dichtern wie Rumi, Hafiz und Saadi. Seit ich die Möglichkeit habe, meine Werke im Ausland zu veröffentlichen, sehe ich keinen Grund mehr, warum ich in meinen Romanen auf Erotik verzichten soll. Deshalb fallen meine Werke der Zensur zum Opfer.
Wie können Sie sich mit iranischen Autoren austauschen, wenn diese Ihre Werke nicht lesen können? Oder geben Sie ihnen Manuskripte zum Lesen?
Amir Hassan Cheheltan: Nein. Niemand außer meiner Frau, meinem Sohn, den europäischen Verlegern und Übersetzern bekommt meine Manuskripte zu lesen. Im Iran fragen mich viele nach den Manuskripten, aber ich habe sie gebeten, mich davon zu verschonen. Ich stehe aber auch in regem Kontakt mit iranischen Kollegen, vor allem jüngeren Schriftstellern. Ich unterrichte kreatives Schreiben in verschiedenen Workshops und gebe iranischen Medien jährlich mehrere Interviews.
Sind Ihre Romane wie Kinder, die Sie alle lieben, oder darf man fragen, welchen Sie besonders schätzen?
Amir Hassan Cheheltan: Ich liebe sie alle, aber mit ein, zwei Romanen bin ich nicht vollkommen zufrieden. Ich würde sie gerne bald überarbeiten. Erfahrung bringt den Menschen voran und die Arbeiten werden nach und nach besser.
Hat Ihr Buch „Der standhafte Papagei“ für Sie einen besonderen Stellenwert, weil Sie darin über die iranische Revolution schreiben?
Amir Hassan Cheheltan: Nein, ich wollte dieses Buch schon lange schreiben, habe es aber immer wieder verschoben. Ich zog fiktive Romane vor. 2015 bin ich auf der Frankfurter Buchmesse zufällig Andreas Rötzer begegnet, dem späteren Verleger von „Der standhafte Papagei“ bei Matthes & Seitz. Er fragte mich, an was ich gerade arbeiten würde. Ich sagte, vermutlich würde ich meine Beobachtungen während der Revolution aufschreiben. Rötzer sagte: „Schreibe sie für uns.“
Wenig später sagte mir mein Literaturagent, dass Rötzer schon einen Vertrag geschickt habe. Dann habe ich angefangen, zu schreiben. Es hat zehn Monate gedauert, bis der Roman fertig war. Aber es ist eine Arbeit wie jede andere.
Das Interview führte Nasrin Bassiri.