Sandstürme und Beduinenbräute

In ihrem ersten Spielfilm erzählt Elite Zexer die Geschichte von zwei beduinischen Frauen, die mit den strikten Konventionen in ihrem Wüstendorf ringen. "Sufat Chol" (Sandsturm) wurde unlängst auf dem "Sundance Film Festival" mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet. Igal Avidan hat sich mit der Regisseurin unterhalten.

Von Igal Avidan

Was hat Sie dazu veranlasst, sich filmisch mit der beduinischen Kultur auseinanderzusetzen?

Elite Zexer: Meine Mutter hat mir viele Türen bei den Beduinen geöffnet, die sie nach so vielen Jahren inzwischen wie eine Verwandte behandeln. Auch mir schenkten sie viel Liebe. Meine Mutter fotografierte für den Beduinenrat ein beduinisches Dorf, das vor der staatlichen Anerkennung stand und dessen Bewohner daher viele Veränderungen erwarteten – Straßen, Elektrizität, Abwasserkanäle und neue Häuser. Da meine Mutter über einen Einheimischen in diese Gesellschaft kam und weil alle Dorfbewohner einem Familienclan gehören, wurde sie sofort angenommen. Zehn Jahre nach der staatlichen Anerkennung stand die Infrastruktur zwar immer noch nicht, aber meine Mutter freundete sich mit vielen Dorfbewohnern und mit zahlreichen anderen Beduinen an. Sie fotografierte jahrelang Beduinen, und da ich sie gelegentlich dabei begleitete, lernte auch ich sie kennen.

Beruht Ihr Film "Sufat Chol" auf einer wahren Begebenheit?

Zexer: Vor wenigen Jahren begleitete ich meine Mutter zu einer Hochzeitsfeier in einem nicht anerkannten Dorf, das sie damals dokomentierte. Die 19-jährige beduinische Braut hatte ein heimliches Verhältnis zu einem jungen Mann an einer Universität. Doch als ihre Familie davon erfuhr, konfiszierte sie ihr Handy, sperrte sie zu Hause ein und befahl ihr, einen Mann aus dem Dorf zu heiraten. Sie war mit ihrer Familie sehr verbunden und beschloss daher nach langen Überlegungen, diesen Mann zu heiraten, um ihre Familie nicht zu verletzen.

Den Abend der Hochzeit verbrachten meine Mutter und ich zusammen mit der künftigen Braut in ihrem neuen Haus, welches ihr Mann für sie gebaut hatte. Ihn hatte sie noch nie getroffen, denn auf beduinischen Hochzeiten feiern Männer und Frauen getrennt. Sie wartete auf ihn im Schlafzimmer, wohin der Bräutigam in einer Männerprozession geführt wurde. Wir hörten die näher kommende Prozession, das Feuerwerk am Himmel und die Glückwünsche der Männer. Ich schaute sie an und sah, wie aufgewühlt sie war, denn sie war noch in ihren Freund verliebt.

Auf einmal schaute sie mich an und sagte: 'Meine Tochter wird eine solche Erfahrung nicht mehr mitmachen müssen'. In dem Moment wusste ich, dass ich darüber einen Film drehen werde.

Hat sie Ihren Film schon gesehen?

Zexer: Ich habe ihn bisher nur meinem Team und allen Beduinen vorgeführt, die an dem Film mitwirkten.

Wie haben Sie die Drehorte ausgesucht?

Zexer: Ich wusste ganz genau, wie die Häuser und Höfe im Film aussehen sollen. Dann suchten wir auf Empfehlung solche Standorte aus, wo einflussreiche Dorfbewohner unseren Film unterstützten und dies den Bewohnern vermittelten. Diese kooperierten mit uns, damit alles im Film authentisch wirkt. Ich habe nicht in Dörfern gedreht, die ich gut kannte oder bei Familien, deren Geschichte im Film zu sehen ist, sondern in ähnlichen Dörfern.

Haben Sie versucht, beduinische Frauen für Ihren Film zu gewinnen?

Zexer: Das habe ich gar nicht erst versucht, da sie sehr traditionelle Einstellungen haben und man sie auch nicht filmen darf, damit nicht Männer auf der ganzen Welt sich diese Szenen anschauen können. 2010 drehte ich den Kurzfilm Tasnim, für den ich ein zehnjähriges beduinisches Mädchen gewinnen wollte. Die Beduinen fragten mich daraufhin, warum ich den Ruf und die Zukunft eines Mädchens zerstören wolle, auch wenn irgendein Vater seine Zustimmung geben würde. Daher setzte ich nur arabische Schauspielerinnen ein, die drei Monate lang den beduinischen Dialekt erlernten und beduinische Dörfer besuchten. Einige beduinische Männer spielen im Film jedoch mit.

Inwieweit führte Ihr Kurzfilm Sie zu diesem ersten Spielfilm?

Zexer: Ich habe den Kurzfilm zum gleichen Thema nurdeshalb gedreht, um zu testen, ob ich überhaupt einen überzeugenden Spielfilm in einer Fremdsprache und über eine fremde Kultur drehen kann. Ich habe an die Beduinen DVDs des Kurzfilms verteilt und sie waren damit sehr zufrieden, so dass sie mich immer wieder fragten, ob mein "großer Film" nicht schneller erscheinen könnte. Der Kurzfilm wurde auf 140 Festivals gezeigt und gewann viele Preise, die mir zur Förderung des Spielfilms verhalfen. Ich habe vier Jahre lang an dem Drehbuch gearbeitet.

Wie schwer war es für Sie, bei einem arabischsprachigen Film Regie zu führen?

Zexer: Zwei Jahre vor Drehbeginn fing ich an Arabisch zu lernen. Ich verstehe es zwar nicht perfekt, aber genug, um die Dialoge in meinem Film zu verstehen. In fast allen Szenen reichten mir die Gefühlsausdrücke der Schauspieler und die Musik der Dialoge aus. Das Drehbuch habe ich auf Hebräisch geschrieben und ein Beduine übersetzte es, so dass auch die meisten arabischen Darsteller in einer etwas fremden Sprache spielen mussten.

Das Interview führte Igal Avidan.

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