Nur oberflächlich integriert
Selbst in Französisch, Flämisch und Deutsch sprechende Regionen geteilt und von einer zweisprachigen Hauptstadt aus regiert, ist Belgien zugleich Wohnsitz für gut eine halbe Million Muslime − das sind etwa fünf Prozent der gesamten Bevölkerung von 10,4 Millionen.
Mehr als die Hälfte aller Muslime sind eingebürgerte Belgier. Weitere 37 Prozent sind Staatsbürger mehrheitlich muslimischer Länder, während die Zahl der zum Islam übergetretenen Belgier zwischen 10.000 und 15.000 liegt. Den Rest machen im Land geborene Kinder muslimischer Familien aus.
Menschen marokkanischer und türkischer Abstammung bilden die beiden größten Gruppen innerhalb der multiethnischen muslimischen Bevölkerung Belgiens. Zusammen machen sie rund 88 Prozent der eingebürgerten Muslime aus und 67 Prozent der Einwanderer aus mehrheitlich muslimischen Ländern.
Gut 35 Prozent der türkisch- und marokkanischstämmigen Muslime Belgiens sind jünger als 18 Jahre, unter den belgischstämmigen Muslimen macht diese Altersgruppe dagegen nur einen Bevölkerungsanteil von 18 Prozent aus.
Belgiens schrittweise reformiertes Staatsbürgerrecht gilt als eines der liberalsten in Europa. Alle im Land geborenen Kinder von Zuwanderern, alle mit wenigstens einem belgischen Elternteil und alle, die länger als sieben Jahre in Belgien leben, haben Anrecht auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft. Wer länger als drei Jahre legal im Land wohnt, darf sich auch ohne belgischen Pass an den Kommunalwahlen beteiligen.
Vertretung der Muslime
Anläufe, eine Vertretung für alle Muslime in Belgien zu schaffen, scheiterten zunächst am Widerstand traditioneller belgischer Parteien, die eine Institutionalisierung des Islam als Wegbereiter für religiösen Fundamentalismus sahen.
Seit 1998 agiert die "Muslimische Exekutive Belgiens", ein Komitee gewählter Vertreter der muslimischen Gemeinden im Land, als deren repräsentatives Gremium. Als starke Vereinigung, die sich für die Rechte der in Belgien lebenden Muslime einsetze und gegen Diskriminierung kämpfe, trete die EMB jedoch nicht auf, kritisieren kritische Muslime.
Die EMB − l’Executif des Musulmans de Belgique − soll den Islam-Unterricht für 55.000 Schüler organisieren, die vom Staat getragenen Gehälter für die rund 700 Imame auszahlen und die öffentlichen Zuschüsse für staatlich anerkannte Moscheen verwalten.
Das Verhältnis zwischen Regierung und EMB war von Anfang an problematisch. Die Kandidaten für das erste Komitee wurden vom Staat auf Extremismus überprüft, neun Jahre später setzte das belgische Parlament eine vorzeitige Neuwahl durch.
Einige EMB-Mitglieder hätten in die eigene Tasche gewirtschaftet, hieß es, der damalige Vorsitzende landete im Gefängnis. Belgische Sicherheitsbehörden beschuldigten die Exekutive, Beziehungen zu Fundamentalisten zu pflegen. Die EMB wies die Vorwürfe zurück. Anfang September 2007 wurde das EMB-Büro vorläufig geshlossen, wieder ist von Betrug die Rede.
Belgischer Kopftuchstreit
Der jüngste Fall ist Wasser auf die Mühlen derer im Land, die ohnehin gegen Muslime sind. Vor allem mit dem Kopftuch ecken Muslime in Belgien an. Die 2003 und 2004 in Frankreich geführte Debatte löste auch hier hitzige Diskussionen aus, vor allem in Brüssel und im französischsprachigen Wallonien.
Einige Schulen in der Hauptstadt entschieden sich dafür, Kopftuch tragende Schülerinnen nicht mehr aufzunehmen. Da die unterschiedlichen Meinungen flämischer und frankophoner Belgier zum Kopftuch nach wie vor eine nationale Regelung blockieren, ist die Entscheidung den Schulen selbst überlassen.
Auch auf dem belgischen Arbeitsmarkt existieren keine verbindlichen Regeln, allerdings gilt der Schleier als klares Karrierehindernis.
Keine einheitliche Integrationspolitik
Integrationspolitik ist im politisch höchst komplex strukturierten Belgien eine Aufgabe der Kommunen. Die französisch- und die flämischsprachigen Regierungen haben unterschiedliche Ansätze entwickelt, um mit Integrationsfragen umzugehen. Die frankophone Wallonie steckt nur geringe Summen in die Einwanderungspolitik.
Der flämischsprachige Norden dagegen setzt stärker auf Multikulturalismus, der darauf basiert, ethnisch-kulturelle Minderheiten anzuerkennen und sie in ihrem politischen Engagement zu unterstützen. Einer der Beweggründe ist der Versuch, in Brüssel lebende Einwanderer für sich zu gewinnen, um so den flämischen Einfluss in der Französisch dominierten Hauptstadt auszudehnen.
Angetrieben wird der auf Integration zielende Kurs der Regierung Flanderns aber auch von der Popularität rechtsextremer Gruppierungen − allen voran die des vielerorts zur Volkspartei gewordenen nationalistischen Vlaams Belang.
Bei der Parlamentswahl im Juni brachte "Flämisches Interesse" es in der Heimatregion auf 19 Prozent der Stimmen. Die Partei-Oberen sprechen von einer "Invasion des Islam", warnen vor einem "Bürgerkrieg" mit Immigranten und wollen eingebürgerte Belgier mit doppelter Staatsbürgerschaft bei der kleinsten Straftat abschieben lassen.
Ein Vlaams Belang-Boss ließ einst Kamele durch Antwerpen treiben, um gegen die angebliche Überfremdung der sich modern und aufgeschlossen gebenden Hafenstadt zu protestieren.
Politische Vertretung, aber keine Gleichbehandlung
Eine Reihe rassistisch motivierter Gewalttaten hat das Zusammenleben von Einheimischen und Einwanderern in Belgien im Laufe der vergangenen Jahre aus den Fugen gebracht. International vergleichende Studien bezeichnen den nicht einmal 180 Jahre alten Staat als fremdenfeindlichstes Land in Westeuropa.
In höchsten politischen Ämtern sind Muslime vertreten, auf jeder Wahlliste stehen muslimisch klingende Namen. Geht es aber um Gleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche, klagen Belgiens Muslime über ständige Diskriminierung.
Integriert sind wir nur oberflächlich, sagen viele auch im Land geborene Muslime. In die Politik dürfen wir, doch aus dem normalen gesellschaftlichen Leben werden wir ausgegrenzt.
Daniela Schröder
© Qantara.de 2007
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