Ein Ringen um die eigenen Ideale

Nahaufnahme einer Frau im verschneiten Gebirge
In den kurdischen Bergen: Vishka Asayesh als Maryam (Foto: Promo | Littledream Pictures)

Im Iran muss sich eine Aktivistin entscheiden: Entweder wagt sie die Flucht und trifft ihre Familie im Ausland, oder sie bleibt und kämpft weiter für die Rechte der Iraner:innen. Ein Blick hinter die Filmkulissen von „Sieben Tage“.

Von Amin Farzanefar

Die inhaftierte Menschenrechtsaktivistin Maryam erhält sieben Tage Freigang aus dem berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Ihre Freund:innen haben schon alles vorbereitet, damit sie über die kurdischen Berge in die Türkei flüchten kann – dort warten ihr Mann und ihre beiden Kinder auf sie, die seit einiger Zeit in Deutschland leben. 

Unerwartet öffnet sich ein Weg in die Freiheit, die Familie hat sich seit Jahren nicht gesehen. Doch Maryam zögert. Wird sie im Exil, aus der Ferne, mit derselben Energie ihre Ziele verfolgen können wie aus der unmittelbaren Nähe zu den Betroffenen?

Dies ist die Ausgangssituation im aktuellen Drama „Sieben Tage“ des deutsch-iranischen Regisseurs Ali Samadi. Die Geschichte der moralisch herausfordernden Familienzusammenführung ist bis in die Nebenrollen überzeugend besetzt und beeindruckt filmisch. Berührend ist vor allem die energisch-empathische Darstellung der Maryam durch Vishka Asayesh. 

Die 52-jährige Schauspielerin hat im Iran mit fast allen bekannten Regisseuren zusammengearbeitet, meist jedoch in komischen und überdrehten Rollen. Um jetzt auch im dramatischen Fach zu bestehen, durchlief sie bei Ali Samadi Ahadi eine spezielle Schulung. Sie verkörpert als Maryam überzeugend das Dilemma der Protagonistin: zwischen ihrem Engagement für Gleichheit und Demokratie einerseits und ihrer Familie andererseits, zwischen Verantwortung und Freiheit. 

Sie ist sich bewusst, dass sie als Frau – nicht nur im Iran – einen besonders schweren Stand hat: „Wäre ich ein Mann, wäre ich ein Held, als Frau bin ich eine schlechte Mutter“, sagt sie im Film.

Reale Vorbilder

Die Handlung bezieht sich in mehreren Punkten auf die Realität. So folgt der minuziös geplante Verlauf von Maryams Flucht der tatsächlich vielfach von Iraner:innen genutzten Route durch das kurdische Grenzland zwischen Iran und der Türkei. Die Figur der Maryam basiert in Grundzügen auf der Person der bekannten Aktivistin und Friedensnobelträgerin von 2023 Narges Mohammadi

Auch Mohammadi hat zwei Kinder, auch sie wurde kurzzeitig aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Wie Samadi berichtet, flossen auch weitere prominente Frauenrechtlerinnen und Aktivistinnen in die Rollengestaltung ein, beispielsweise Äußerungen und Haltungen der Anwältin und Trägerin des alternativen Nobelpreises 2020 Nasrin Sotudeh sowie der Dichterin Mahvash Sabet.

Das Drehbuch des Films stammt aus der Feder des vielfach prämierten iranischen Filmemachers Mohammad Rasoulof. Sein in Cannes ausgezeichnetes und Oscar-nominiertes Drama „Die Saat des Heiligen Feigenbaumes“ bewegte die Öffentlichkeit im letzten Jahr ebenso wie seine Flucht aus dem Iran. Da liegt die Vermutung nahe, Rasoulof hätte „Sieben Tage“ basierend auf seinen eigenen Fluchterlebnissen geschrieben. 

Tatsächlich war es umgekehrt: Das Buch entstand noch vor den „Frau, Leben, Freiheit“-Protesten, in deren Verlauf Rasoulof verhaftet wurde und 200 Tage im Gefängnis verbrachte. Zunehmend unter Druck, sah er keine Möglichkeit den heiklen Stoff von „Sieben Tage“ umzusetzen – er überantwortete ihn Samadi. 

Dieser war seit 2019 mit ersten Entwürfen vertraut und passte in der Verfilmung nur noch einzelne Szenen und Dialoge an. So kommt „Sieben Tage“ erst jetzt in die Kinos, nachdem „Die heilige Saat des Feigenbaumes“ bereits international gefeiert worden ist.

Ein nachgebauter Iran

Angesichts der Qualität des Drehbuchs, der Familiengeschichte, des Schauspielerensembles sowie der aktuellen Themen Flucht und Menschenrechte tritt eine weitere Frage eher im Hintergrund. Wie – und wo – kann heutzutage ein in Teheran und den kurdischen Bergen spielender Film überhaupt umgesetzt werden? Insbesondere wenn er kritisch auf den Iran und seine Führung blickt?

Eine Lösung sind außerhalb des Iran gedrehte, aber dort spielende Filme. Sie können tabuisierte Themen auf eine Weise umsetzen, die im Iran selber nicht denkbar ist: 

Ali Samadi selbst gelang mit „Green Wave“ eine künstlerisch beeindruckende Aufarbeitung der Protestwelle von 2009; der Austro-Iraner Arash Riahi bebilderte 2009 mit „Ein Augenblick Freiheit“ den schwierigen Weg iranischer Geflüchteter in die Sicherheit des europäischen Asyls, und „Morgen sind wir frei“ von Hossein Pourseifi erzählte 2013, wie ein deutsch-iranisches Paar nach der Revolution 1979 hoffnungsvoll in den Iran reist – und bald mit harten Realitäten konfrontiert wird. Ali Abassis „Holy Spider“ (2022) war eine ungemein kraftvolle und stilsichere Erzählung über den „Spinnenmörder“ von Maschhad, der zwischen 2001 und 2002 mindestens 16 Frauen umbrachte.

Eine verschneite Gebirgslandschaft, in der Mitte zwei Personen mit Pferd
In Georgien fand Regisseur Ali Samadi die passende Kulisse. (Foto: Promo | Littledream Pictures)

Gleichzeitig setzen auch im Iran Filmschaffende heikle Themen um und verschieben dabei die Grenzen des Sag- und Zeigbaren immer weiter. Doch eine Geschichte wie „Sieben Tage“ konnte nur außerhalb, in einem „nachgebauten“ Iran entstehen. Als Drehort bietet sich oft die Türkei an. Doch für politisch aktive Exiliraner:innen wie Samadi ist auch das nicht ungefährlich. Immer wieder werden Kritiker:innen des Irans in der Türkei gekidnapped und in den Iran entführt.

So wich man in das landschaftlich ähnliche Georgien aus, wo ebenfalls eine große kurdische Bevölkerungsgruppe lebt. Hier konnten kurdisch-sprachige Nebenrollen besetzt und die Flucht durch die Berge authentisch inszeniert werden. Der winterliche Dreh im Gebirgsschnee bei minus 25 Grad und der knappe Zeitplan bedeuteten für den gesundheitlich belasteten Regisseur eine doppelte Herausforderung. 

Ausstattung, Szenenbild, Kostüm haben detailgenau darauf geachtet, dass Straßenschilder, Autotypen und Gesamtszenerie einen „authentisch iranischen“ Eindruck erwecken. Doch dass der Film tatsächlich in Teheran spielt, wird erst durch einige im Iran verdeckt gedrehte Szenen mit Panoramablick auf die Wohntürme der Oberschicht im Elburs-Gebirge oder das modernistische Wahrzeichen des Milad-Funkturms glaubhaft.

Der Film spiegelt das Leben der Crew

Wie eng das Drehbuch an der Realität vieler Iraner:innen entlang geschrieben ist, zeigen dessen Berührungspunkte mit den persönlichen Geschichten der Crew. Der in Tabris geborenen Ali Samadi flüchtete als unbegleiteter Jugendlicher aus dem Iran, um einer Zwangsrekrutierung für den Iran-Irak-Krieg entkommen. 

Nach seinem Spielfilm-Debüt „Salami Aleikum“ (2009), einer Cultural-Clash-Comedy, und der Doku „Green Wave“ (2010), die auf künstlerische Weise die brutale Niederschlagung der Proteste von 2009 thematisiert, drehte er zuletzt mehrere erfolgreiche Animationsfilme („Petterson und Findus“). 

Seine thematische Rückkehr nach Iran ist – nach eigenem Bekunden – doppelt motiviert: In Richtung Iran signalisiert sie, dass Samadi die in Deutschland gegebenen Privilegien und Freiheiten zu nutzen weiß, um sich klar für Menschenrechte und freie Meinungsäußerung zu positionieren. Und gleichzeitig bedeutet sein Film im deutschen Kontext, diese demokratischen Errungenschaften auch in Deutschland selbst zu verteidigen, und die im Grundgesetz verbrieften Rechte mit Leben zu füllen.

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Anders als Narges Mohammadi entschied sich die Schauspielerin Vishka Asayesh, wie die von ihr gespielte Maryam, für ein Leben mit Ehemann und Kind: Sie verließ im Zuge der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung den Iran, um nie wieder mit Kopftuch drehen zu müssen. 

Damit reiht sie sich in eine Reihe iranischer Schauspielerinnen ein, die bei international bedeutsamen Filmen mitgespielt haben: Setareh Maleki und Mahsa Rostami aus Rasoulofs „Die Saat des heiligen Feigenbaumes“, Mina Hasanlou aus Ali Ahmadzadehs Locarno-Sieger „Critical Zone“, die anonymen Darstellerinnen aus Ayat Najafis Venedig-Beitrag „The Sun Will Rise“. 

Jede von ihnen ist doppeltes Risiko eingegangen: Sie haben sich erst künstlerisch exponiert und dann einen Neuanfang außerhalb der Heimat gewagt. Die Welle dieses widerständigen iranischen Kinos ist übrigens weiter ungebrochen: Am 24. Mai wurde Jafar Panahi für „It Was Just an Accident“ bei den Filmfestspielen in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.
 

„Sieben Tage“ läuft seit 15. Mai in den deutschen Kinos

 

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