"Der Hunger auf Frieden in Afghanistan ist groß"

Der Journalist und Dokumentarfilmer Roger Willemsen reiste 2005 zweimal nach Afghanistan. Er sprach mit Menschen verschiedener politischer Couleur, aber auch mit Künstlern, Bauern oder Drogenbaronen. Homeira Heidary hat ihn getroffen.

Roger Willemsen; Foto: http://www.roger-willemsen.de
"Die Sympathie, die den Deutschen in Afghanistan entgegen gebracht wird, ist eine kostbare und seltene Sache", meint der Journalist Roger Willemsen

​​Sie haben sich kurz nach dem Ende des 25-jährigen Krieges in Afghanistan selbst ein Bild von diesem Land machen wollen. Hatten Sie eine besondere Affinität zu Afghanistan?

Roger Willemsen: Afghanistan war für mich lange ein Ort der Sehnsucht, und zwar seit ich einen Freund hatte, der aus Afghanistan zurückkam. Er war ein Jahr dort gewesen. Er war ganz verwildert und vollkommen sensibilisiert von einer Kultur, die so durchlässig war, dass sich dort unterschiedliche Formen des Islam, des buddhistischen und des christlichen Denkens mit den deutschen Hippies verbanden.

Ich wollte gerne in ein Land, das dieses Charisma hat. Ich habe mich mit dem Land beschäftigt und mit Reisebeschreibungen von dort, habe grünen und schwarzen Afghanen geraucht, und das Land erschien mir halluzinatorisch. Ich lernte auch eine meiner engsten Freundinnen kennen, Nadia Karim, eine Afghanin im Exil, und so geriet ich in den Kreis von Exilafghanen.

Und so wie alle Menschen gern mythische Orte haben, zu denen sie gerne reisen möchten, so hatte ich in Afghanistan meinen mythischen Ort erkannt und habe die erste Gelegenheit genutzt, dorthin zu gehen.

Wo gibt es Ihrer Meinung nach Defizite in der Hilfe? Was wäre machbar, wird aber nicht getan?

Willemsen: Zunächst mal ist die Konzentration auf Kabul fatal, denn wenn in einer Stadt 2400 Hilfsorganisationen sitzen, dann treiben sie die Preise und die Mieten hoch. Das verdrängt Lebensraum für die Afghanen und für die Exilafghanen, die nach Kabul kommen müssen.

Zweitens ist die Konzentration von Hilfsprojekten in einer Großstadt wie Kabul insofern fatal, weil die größte Bedürftigkeit auf dem Land existiert, weit weg von Kabul. Dort finden Sie Hilfsprojekte oft gar nicht mehr.

Dann ist es außerordentlich schwierig, das Geld über Afghanistan so zu verteilen, dass es wirklich selbstlose Hilfe ist und nicht zu einer Form neuer Ausbeutung wird oder der Eröffnung von neuen Märkten, die den Türken, den Chinesen, den Amerikanern natürlich, den Pakistanern helfen, aber nicht den Afghanen.

Es ist schauerlich zu sehen, wie die Waren aus Pakistan nach Afghanistan dringen, aus einer ganz anderen Kultur kommend. Das geht bis in die Architektur, aber auch bis zu Plastikgewehren, die Lasergeschosse simulieren, mit denen die Kinder Afghanistans ihre Traumata bearbeiten sollen. Es geschieht so vieles in dem Land, was auf äußeren Einfluss zurückzuführen ist und fatal ist für die Wirkung im Land, dass ich gar nicht wüsste wo anfangen.

Sie wurden in Afghanistan von einem kleinen Jungen als erster Tourist bezeichnet, da Sie ihm gesagt haben, dass Sie sich dort nur zu Ihrem Freizeitvergnügen aufhalten. Sind Ihnen oft Menschen mit Humor begegnet oder haben Sie vielmehr Resignation gespürt?

Willemsen: Ich bin der Resignation kaum begegnet, weil die Vitalität der Leute bei aller Brechung und bei allen Traumata - und das ist ein Luxusausdruck unserer Psychologie - so groß war. Der Hunger auf den Frieden war so groß, dass ich Menschen getroffen habe, die tief enttäuscht waren von der Demokratie, die wir ihnen überstülpen und die in einem Parlament auch Kräfte versammelt, unter denen Afghanistan immer gelitten hat.

Roger Willemsen
(geb. 1955) ist in zahlreichen Hilfsorganisationen wie amnesty international, terre des femmes, Care International tätig. Seit 2006 ist Willemsen Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins Hagen e.V. Er ist Verfasser mehrerer Bücher, zuletzt erschienen die "Afghanische Reise" (Fischer Verlag) und "Hier spricht Guantánamo" (Verlag Zweitausendeins).
Trotzdem muss ich sagen, dass viele Leute den Frieden wollen - ein Taxifahrer, der seinen Wagen in den Frieden steuert, ein Straßenarbeiter, der am Aufbau beteiligt werden möchte, eine Lehrerin, die sich heimlich hat weiterbilden müssen und so traurig und gebrochen in diesen Frieden hineinstarrt und sagt: "Was wäre, wenn wir in einer Klasse stehen könnten, in der 40 Mädchen sitzen und erzogen werden …"

Ich bin viel mehr von dem Geist dieser Hoffnung erfasst gewesen, auch wenn diese Hoffnung nicht blüht, sondern sogar schon welkt, bevor sie erblüht ist. Aber immerhin hat man das Gefühl: Jetzt ist in Afghanistan alles bereit, in den Frieden zu gehen.

In einer neueren Umfrage wurde gefragt: Was ist die Voraussetzung für den Frieden? 35 Prozent aller Afghanen antworteten: Entwaffnung. Zwei Prozent sagten: Hilfe von außen. Das bedeutet, dass unser Anteil an dem, was in Afghanistan passiert, im Moment sehr zurückhaltend sein müsste, sehr vorsichtig und bei genauerer Beobachtung der afghanischen Kultur passieren sollte. Natürlich nicht militärisch und natürlich nicht ökonomisch, in dem Sinne, dass man neue Märkte eröffnet.

Demnach halten Sie auch nichts von dem Tornado-Einsatz?

Willemsen: Ich war ganz stark gegen den Tornado-Einsatz. Ich habe an mehrere Bundestagsabgeordnete geschrieben, ich habe öffentlich protestiert. Es ist einfach eine große Dummheit zu sagen, dass sei ein humanitärer Akt, der mit militärischen Operationen nichts zu tun habe. Ein Tornado ist ein militärisches Gerät; die Aufklärung, die dort betrieben werden soll, ist keine, die nicht militärisch genutzt würde, sondern es werden Kampfziele herausgefunden.

In dem Augenblick, in dem sich Deutschland an so etwas beteiligt, ist Deutschland Besatzer, und dem Augenblick, wo es Besatzer ist, wird es zu einem Ziel militärischer Operationen der Taliban, aber auch von marodierenden Banden, und verliert an Sympathie. Die Sympathie, die den Deutschen dort entgegen gebracht wird, ist erstens eine kostbare und seltene Sache, und zweitens eine gefährdete, denn ich habe auch Leute getroffen, die zu mir gesagt haben: "Raus! Was wollt ihr hier?".

Das sind junge Männer, die schon randalieren, wenn man sagt, man sei Deutscher. Auf der anderen Seite hat man mir gesagt: "Macht eine deutsche Fahne an euren Wagen, dann wird euch nichts passieren". Inzwischen stecken amerikanische Soldaten deutsche Fahnen an ihre Wagen, was ein Kriegsverbrechen ist.

Zurzeit gibt es in Afghanistan nur ein Minimum an Stabilität. Was trägt Ihrer Meinung nach zum Frieden bei und wäre eine Alternative zu den jetzigen Aktionen?

Willemsen: Es ist eine schwere Frage, weil in Afghanistan selber so viele Kräfte an der Macht sind, die dem Land schaden. Dazu gehören Drogenbarone, dazu gehören Warlords, dazu gehören ehemalige Taliban usw.

Aber wenn man sich vorstellen würde, dass es eine föderale Regierungsform gäbe und erst mal bestimmte Nationen zu Paten von bestimmten Provinzen würden und sagten: Wir führen keine primär militärischen Operationen durch, sondern wir versuchen jetzt aus unseren Mitteln jeweils Provinz für Provinz zu helfen, dann wäre die Frage, ob diese Aufbauarbeit tatsächlich sinnvoll sein könnte.

Das haben die Deutschen ja im Norden teilweise versucht, mit guten Resultaten. Ich glaube, jede Form einer militärischen Operation ist fatal in diesem Augenblick und hilft dem Land nicht. Man überzeugt das Land mit humanitären Arbeiten - wenn man es überzeugen kann. Selbst dann gibt es immer noch genug Leute, die sagen, wir helfen uns selber.

Aber was die Amerikaner in Afghanistan machen, ist ein imperialer Akt. Ich habe so viele Dinge mit eigenen Augen gesehen, in denen die Amerikaner letztlich versuchen, dieses Land zu okkupieren und sich selbst in die Zuckerversorgung einzubringen, das Land am liebsten ökonomisch dirigieren und Stützpunkte dort aufbauen möchten.

Ich habe selber gesehen, wie auf einer völlig friedlichen Kreuzung in Kabul ein Panzer fährt und das Geschützrohr kreisen lässt und sich Menschen zu Boden werfen. Es gibt kein Ziel auf diesem Platz. Es gibt kein militärisches Ziel für einen Panzer in einer Großstadt. Es werden die amerikanischen Fahnen aufgepflanzt auf diesen Panzer und die Menschen werden in Angst und Schrecken versetzt. Das ist einfach zynisch und bedarf der allergrößten Kritik.

Interview: Homeira Heidary

© Qantara.de 2007

Qantara.de

Eskalation in Afghanistan und der Tornado-Einsatz
Der falsche Beitrag für einen Strategiewandel
Die Bereitstellung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen durch die Bundeswehr ist als militärischer Beitrag zu der von den USA geforderten NATO-Großoffensive gegen die Neo-Taliban zu dürftig. Außerdem ist ihr Einsatz das falsche Mittel, eine umfassende politische Stabilisierung Afghanistans zu erreichen, meint Citha D. Maaß.

Roger Willemsens "Hier spricht Guantanamo"
Rückkehr der Vogelfreiheit
In seinem Buch "Hier spricht Guantanamo" lässt Roger Willemsen ehemalige Häftlinge aus dem amerikanischen Gefangenenlager zu Wort kommen – ein Zeitdokument, das die Perfidie von Verhörtechniken, Erniedrigung und Folter umfassend darlegt. Von Martin Gerner

Interview mit Maliha Zulfacar
"Die Afghanen brauchen einen spürbaren Wandel"
Die neue Botschafterin Afghanistans in Deutschland, Maliha Zulfacar, berichtet im Gespräch mit Martin Gerner über die Bemühungen für den Wiederaufbau Afghanistans und den anhaltenden militärischen Konflikt im Süden des Landes.

www