Eine Mischung aus Gastfreundschaft, Humor und Brutalität

Auf dem europäischen Büchermarkt gibt es eine Reihe von Neuerscheinungen zu Afghanistan. Zwei davon handeln – überraschenderweise – von Tourismus und Reisen am Hindukusch.

Von Martin Gerner

Kann man Afghanistan in diesen Tagen als Tourist bereisen? Der gerade erschienene Reiseführer aus der Reihe Lonely Planet bejaht diese Frage. Paul Clammer, der Autor, spricht von "vielen Erfahrungen, mit denen man belohnt wird" nach einer Afghanistan-Reise und einem Land das "abhängig" mache. Allerdings hüten sich Verfasser wie Verlag davor, zu leichtfertigem Abenteurertum einzuladen.

Der Lonely Planet Verlag investiert zu einem Zeitpunkt in einen Reiseführer, da Afghanistan durch Entführungen und Anschläge, Bomben und organisiertes Bandenwesen gefährlicher ist als in den Jahren zuvor. Nichtsdestotrotz ist der Aufbau einer touristischen Infrastruktur erklärtes Ziel der letzten Londoner Afghanistan-Konferenz.

Der Hippie-Trail der 70er Jahre

Reisen lässt sich am Besten oberhalb einer gedachten Linie von Herat im Westen bis Kabul im Osten. Der ehemalige "Hippy-Trail", den Anfang der 70er Jahre Tausende Kinder der Blumen-Generation bereisten, gilt dabei unverändert als "perfekte Einführung in das Land".

Aufgelistet sind unter anderem auch verschiedene Anbieter von Trainingskursen für Kriegs- und Krisengebiete. Noch wichtiger sind Informationen zur täglichen Sicherheitslage vor Ort. Hier steht der Reiseführer allerdings vor einem Dilemma: denn viele nützliche Auskünfte erhält man nur, wenn man bereits gute Kontakte zu Hilfsorganisationen, Sicherheitsbehörden und Einheimischen hat.

​​Verfügt man nicht über ein solches Netzwerk, kann man sich immerhin zwei afghanischen Tour-Anbietern anvertrauen. Diese fahren meist in kleiner Gruppe, mit Landrover und bewaffnetem Bodyguard. Die afghanischen Reiseveranstalter werden meist nur auf Anfrage hin aktiv. Im Oktober dieses Jahres herrschte diesbezüglich weitgehend Flaute.

Im Fall Afghanistan schlägt eine Reiseversicherung gewaltig zu Buche. Aufgelistet sind mehrere spezialisierte Unternehmen. Aber auch hier liegt der Teufel im Detail. Die Versicherer schnüren gerne Pakete, die man hinterfragen sollte.

Hilfreich ist die Liste der "Dos and Don’ts": gegessen wird nur mit der rechten Hand; die Nase putzt man sich tunlichst nicht in Gegenwart anderer; und den Weg aus und zurück ins Hotel sollte man zur eigenen Sicherheit flexibel gestalten.

Afghanistan ist ein Land ohne Kopftuch-Zwang für fremde Besucherinnen, liest man, allerdings kann sich die Reisende ohne Kopfbedeckung leicht Unmut zuziehen, stellen die Autoren klar.

Ein Schotte und sein zahnloser Kampfhund

Das Kapitel "Arbeiten in Afghanistan" richtet sich insbesondere an aktive wie künftige Entwicklungshelfer. Daneben sind es in erster Linie ältere Menschen, die Afghanistan bereisen, vornehmlich aus dem angelsächsischen Raum.

Ein noch junger Brite steht im Mittelpunkt von "So weit die Knie tragen". Rory Stewart hat Anfang 2002 per Fußmarsch das zentralafghanische Hochland durchschritten. Zu dem Zeitpunkt waren die Taliban soeben gestürzt, der Bombendonner von Tora Bora gerade verhallt. Heute wäre Stewarts Unterfangen weniger leicht denkbar, wenngleich nicht unmöglich. Erst jetzt ist sein Reisebericht in deutscher Sprache erschienen.

Stewart ist Mitte 30, in Hongkong geborener Diplomaten-Sohn und Ordensträger des britischen Empire. Sein Werdegang ist eine erstaunliche Mischung aus Wanderjahren zwischen Pakistan, Iran und Nepal und diplomatischen Missionen für die britische Regierung auf dem Balkan und im Irak. Nach Afghanistan erhält er Einlass zusammen mit Horden von Journalisten und Entwicklungshelfern, die nach den US-Bombardements ungeduldig darauf warten, ihren Part zu erfüllen.

Stewart startet von Herat aus. Unterwegs gelingt es ihm, die Sicherheits-Eskorte, die Gouverneur Ismail Khan ihm mit auf den Weg gibt, abzuschütteln. Am Schluss stellt sich heraus, dass die Eskorte durchaus ihren Sinn gehabt hätte. Vor den Toren von Kabul verdächtigt man ihn – inzwischen mit 6-Wochen-Bart und verstaubten Kleidern – ein Al-Qaida-Sympathisant zu sein.

Lob des Kolonialismus

Stewart stichelt gegen das Korps der internationalen Akteure, die "wenig wissen über Afghanistan". Die heutigen Postkonflikt-Experten hält er für "unehrenhafter als die Kolonialbeamten des 19. Jahrhunderts", denn "die bemühten sich wenigstens ernsthaft, das Volk, das sie regierten, zu verstehen." Stattdessen sieht er in Afghanistan einen Interventionismus am Werk, der kulturelle Unterschiede verleugnet.

Stewart – ein Brite in einem Land, das die Engländer in ihren Kolonisierungsversuchen mehrfach besiegt und abgeschüttelt hat – beschreibt "die Härte des Alltags in den Dörfern" und "eine Gesellschaft, die aus einer unberechenbaren Mischung aus Etikette, Humor und äußerster Brutalität" besteht.

Das Buch ist nur bedingt eine Liebeserklärung an Afghanistan, eher schon eine an seinen zahnlosen Kampfhund "Babur", der ihn begleitet in einer Kultur, in der Hunde ansonsten verachtet werden.

Der Autor zeigt uns seinen "Lonely Planet", die Erfüllung eines Kindheitstraums und eine Reise zu sich selbst.

Mittlerweile arbeitet Rory Stewart in Kabul und ist Teil jenes internationalen Establishments, das er so ablehnend beschreibt. Mit seiner Kulturstiftung Turquoise Mountain stehen ihm Gelder zum Wiederaufbau in Millionenhöhe zur Verfügung. Gelegenheit zu beweisen, dass er es besser machen kann.

Martin Gerner

© Qantara.de 2007

Rory Stewart: So weit die Knie tragen. Mein Fußmarsch durch Afghanistan. Malik Verlag, 22.90 Euro.

Paul Clammer, Afghanistan, Lonely Planet Guide. 25.99 USD, 15.99 UK-Pounds.

Qantara.de

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