"Die Angst wird meine Arbeit nicht beeinträchtigen!"
Vor zwei Jahren haben Sie den Friedensnobelpreis erhalten. Was hat er Ihnen persönlich gebracht?
Ebadi: Mein Selbstvertrauen ist gestiegen.
Bringt Ihnen die politische Führung seitdem mehr Respekt entgegen?
Ebadi: Nein, ihre Meinung und ihre Haltung haben sich nicht geändert. Seit ich den Nobelpreis gewonnen habe wurde ich drei Mal als Beschuldigte gerichtlich vorgeladen.
Auslöser für die letzte Vorladung vor das Revolutionsgericht war eine Pressekonferenz auf der Häftlinge über ihre Isolationshaft berichteten. Eine solche Konferenz sollte es von da an einmal im Monat geben. Was ist daraus geworden?
Ebadi: Es gibt jetzt einmal im Monat eine Pressekonferenz. In einigen Wochen ist die nächste Konferenz, und nichts kann uns an unserer Arbeit hindern. Auch wenn man mich festnimmt oder hinrichtet, meine Freunde werden diesen Weg fortsetzen.
Sie verteidigen unter anderem den inhaftierten Journalisten Akbar Gandji. Er war erst im Hungerstreik, dann gab es Hoffnung auf Entlassung, doch nun sitzt er weiter im Gefängnis. Was wissen Sie über seinen Gesundheitszustand?
Ebadi: Leider hat man mir seit Beginn seines Hungerstreiks im Mai den Kontakt mit meinem Mandanten untersagt. Ich kann ihn nicht besuchen, weiß also nicht wie es ihm geht.
Sie kämpfen seit Jahren für Menschenrechte. Manchmal scheint es ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. Denken Sie manchmal ans Aufgeben?
Ebadi: Ich darf nicht aufgeben und die Hoffnung verlieren. Denn wenn ich die Hoffnung verliere kann ich nicht mehr aktiv sein. Können Sie sich vorstellen, dass jemand zum Wettkampf antritt, wenn er sich nicht des Sieges gewiss wäre? Wir werden gewinnen, wir werden Erfolg haben, auch wenn ich nicht mehr am Leben bin.
Fürchten Sie um ihr Leben?
Ebadi: Ich wurde mehrfach bedroht und zwei Mal gab es sogar Terrorpläne gegen mich. In meinen Memoiren, die bald erscheinen werden, beschreibe ich diese Fälle. Angst ist wie Hunger. Es ist ein Gefühl, das kommt, einfach da ist, ob sie es wollen oder nicht. Sie können nichts dagegen tun. Ja, ich habe manchmal Angst, aber ich habe auch im Laufe der Jahre gelernt, mit dieser Angst umzugehen. Und ich habe gelernt zu verhindern, dass die Angst meine Arbeit beeinträchtigt.
Menschenrechte durchzusetzen, das bedeutete für Sie immer auch mehr Rechte für die Frauen zu erstreiten. Einer ihrer größten Erfolge war die Durchsetzung des Sorgerechts für Frauen. Wie viele Frauen erhalten inzwischen dieses Recht für ihre Kinder?
Ebadi: Zum Glück hat sich die Rechtsprechung insofern geändert, dass eher die Frauen als die Männer das Sorgerecht zugesprochen bekommen. Man kann sogar soweit gehen und sagen, dass in 80 Prozent der Fälle die Mutter das Sorgerecht bekommt. Das ist auch ganz richtig so, denn das Kind braucht ja mehr die Mutter als den Vater und ist dort auch besser aufgehoben.
Iranische Hardliner wollen wieder den "Tschador" als Einheitskleidung einführen. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten dafür ein?
Ebadi: Einige Gruppen haben so etwas vor. Aber ich bin sicher, dass die Frauen so etwas nicht akzeptieren. Früher hat man auch einige Male davon gesprochen und solche Vorschläge auf den Tisch gebracht, aber es wurde letztlich nie umgesetzt. Allerdings versucht man immer wieder die Rechte der Frauen zu beschneiden. Gerade hat der Minister für Kultur und islamische Angelegenheiten eine Weisung erlassen, dass alle Frauen, die im öffentlichen Dienst tätig sind um 18.30 Uhr ihren Arbeitsplatz verlassen und nach Hause gehen sollen, um sich um die Kinder zu kümmern. Für Journalistinnen kommt das einem Berufsverbot gleich. Jede Frau kann doch selbst bestimmen, wann sie nach Hause gehen will! Und davon mal abgesehen: Wir Frauen sind ja bereits deutlich benachteiligt. 63 Prozent aller Studenten sind weiblich, aber die Arbeitslosigkeit ist unter den Frauen vier Mal höher als unter den Männern.
Wird Ihr Kampf für die Frauenrechte im Iran jetzt unter den Konservativen noch wichtiger?
Ebadi: Der Kampf für Frauen- und Menschenrechte ist nie einfach gewesen und vielleicht ist das Schwierige an der Arbeit gerade das Schöne. Denn wenn man etwas leicht und ohne Kampf bekommt, wird man dessen Wert auch nicht richtig schätzen können.
In Wien sagten Sie vor einem Jahr: Unter dem Schah hätte ich hier nicht gesessen. Seit der Revolution gebe es mehr politische Freiheiten für alle. Wie sehen Sie das heute nach dem Regierungswechsel?
Ebadi: Ich habe meine Meinung nicht geändert. Dass wir beide hier sitzen und uns frei unterhalten können ist dafür der beste Beweis. Wir haben heute gegenüber der Schahzeit mehr politische Freiheiten. Allerdings hatte man unter dem Schah mehr individuelle und gesellschaftliche Freiheiten. Jeder konnte seinen Lebensstil selbst gestalten, aber wir durften nicht die kleinste Kritik am Regime üben. Was die aktuelle Regierung betrifft, so kann ich dazu nur sagen: Die Iraner werden das, was sie besitzen schützen und nicht zulassen, dass ihnen ihre Errungenschaften wieder aus der Hand gerissen werden. Dafür haben sie zu viel gekämpft.
Außenpolitisch steuert der Iran durch das Festhalten am Atomprogramm auf Isolation zu, doch auch reformorientierte Kräfte sind der Meinung, Iran habe das Recht zur Urananreicherung. Wie stehen Sie dazu?
Ebadi: Ich bin keine Expertin für Kernenergie und hatte auch nie einen staatlichen Posten inne. Ich kann daher nur als Privatperson sprechen. Die Menschheit braucht überhaupt keine Atombombe, weder von den USA noch dem Iran oder Israel. Gefährlicher als eine Atombombe für den Weltfrieden sind diktatorische Regierungen. Es gibt mehrere Staaten, die eine Atombombe besitzen. Nehmen wir das Beispiel Frankreich. Ist die Welt besorgt, weil Frankreich eine Atombombe hat? Nein. Und warum nicht? Frankreich ist ein demokratisches Land und wird ständig vom Volk kontrolliert. Und dieses Volk wird auch nicht zulassen, dass der Staat die Atombombe missbraucht.
Aber stellen wir uns vor diese Bombe wäre in den Händen von Saddam Hussein gewesen. Wie hätten wir sicher sein können, dass er diese nicht kurz vor seinem Sturz nicht an Terroristen weitergegeben hätte. Ich finde auch, dass die Arbeit der Internationalen Atomenergiebehörde nicht ausreicht. Das nordkoreanische Beispiel hat das gezeigt. Sie kann nicht ständig kontrollieren und überwachen, dass es nicht doch zu einem Austausch kommt. Deshalb halte ich es für sinnvoller, statt der Aufsichtsbehörde eine Aufsichtskontrolle des Volkes einzurichten. Und ich hoffe, es wird eines Tages eine Internationale Agentur zur Förderung der Demokratie geben. So eine Agentur hätte auch viel mehr Bedeutung als die gegenwärtige Behörde.
Interview: Katrin Erdmann
© Qantara.de 2005