Neue Kooperationschancen für Europa und die arabische Welt


Der Gründungsgipfel der "Union für das Mittelmeer" ist international mit viel Beifall bedacht worden. Wie fällt Ihre Bilanz aus und welche konkreten Erfolge in der regionalen Kooperation halten Sie für möglich?
Volker Perthes: Ich glaube, es ist noch etwas zu früh für eine Bilanz, weil über die einzelnen Projekte und deren Umsetzung müssen Entscheidungen erst noch gefällt werden. Ich denke, was gut war, ist, dass tatsächlich alle Nationen - mit Ausnahme Libyens-, die Mittelmeeranrainer sind und/oder Mitglieder der Europäischen Union sind, an diesem Gipfel teilgenommen haben. Und sicherlich ist auch gut, dass es zum Beispiel im Verhältnis Syrien-Libanon und Syrien-Europäische Union eine Entspannung gegeben hat, die es möglich machen wird, manche Kooperationsprojekte erst auf den Weg zu bringen.
Der Gründungsgipfel der "Union für das Mittelmeer" scheint vor allem ein mögliches Ende der internationalen Isolation Syriens anzukündigen. Welche Auswirkungen könnte eine solche Entwicklung haben – vor allem in Bezug auf die Region und den Atomstreit mit dem Iran?
Perthes: Ich glaube, eine Auswirkung auf dem Atomstreit mit dem Iran wird es erst einmal nicht haben. Es gibt hier einen Konflikt, der auch sehr viel älter ist als der Atomkonflikt mit dem Iran: der Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, der möglicherweise einen Schritt - oder zwei Schritte - näher an eine Lösung herangerückt ist. Wenn es weiterhin konstruktive, ernsthafte Friedensgespräche zwischen Israel und Syrien gibt, wird dies auch positive Auswirkungen auf die Verhandlungen und die Friedensbemühungen zwischen den Palästinensern und Israel haben. Denn jede regionale Entspannung wird denjenigen in Israel und in den palästinensischen Gebieten nutzen, die sich um einen Ausgleich bemühen.
Wir haben das schon gesehen, als der palästinensische Präsident Mahmud Abbas in Damaskus gewesen ist. Und wenn Syrien Frieden mit Israel schließen sollte, wird es auch weniger Interesse haben, die Hamas oder den palästinensischen Islamischen Dschihad oder andere radikalere Organisationen in den palästinensischen Gebieten zu unterstützen.
Fortschritte scheinen nun im Verhältnis Syriens zu Israel ebenso möglich zu sein wie im Verhältnis zum Libanon und zur Europäischen Union. Könnte man Ihrer Meinung nach sagen, dass dies vor allem ein Verdienst der französischen Diplomatie ist – und damit zugleich auch Ausdruck eines französischen Führungsanspruchs in der europäischen Nahost- und Mittelmeer-Politik?
Perthes: Die französische Diplomatie hat hier sicher eine Rolle gespielt, zusammen mit regionalen Parteien, wie die Regierung von Qatar, was das Verhältnis Syrien und Libanon angeht. Aber das israelisch-syrische Verhältnis sowie die Gespräche zwischen Israel und Syrien werden ja von der Türkei moderiert und nicht von Frankreich. Und ich glaube hier muss man auch der türkischen Regierung das Lob für ihre Vermittlungstätigkeit aussprechen, die sehr intensiv gewesen ist und auch bislang erfolgreich gewesen zu sein scheint.
Ist diese Entwicklung auch Ausdruck eines neuen französischen Führungsanspruchs in der europäischen Nahost- und Mittelmeerpolitik?
Perthes: Ich glaube, dass Herr Sarkozy dabei ist, diesen Führungsanspruch neu zu begründen, den sein Vorgänger Jacques Chirac ja sehr deutlich in den Raum gestellt hat. Und ob andere europäische Staaten und die Staaten des Nahen Ostens das akzeptieren, wird vor allem davon abhängen, wie effektiv Frankreich diese Rolle spielt. Anfänglich, als der französische Außenminister gedacht hat, er könnte sozusagen mit eine "Instant"-Diplomatie mal eben einreisen nach Libanon und alle Konfliktparteien besuchen und dann mit einer Lösung wieder abreisen – als das so gehandhabt worden ist, war das eben nicht so erfolgversprechend und da ist der Führungsanspruch auch nicht anerkannt worden.
Halten Sie es für möglich, dass bald direkte Gespräche zwischen Syrien und Israel stattfinden?
Perthes: Ich glaube, dass es diese direkten Gespräche geben muss. Wahrscheinlich wird es sie nicht unmittelbar geben, sondern man wird warten, bis auch ein amerikanischer Vermittler bereit ist, bei diesen Gesprächen dabei zu sein und hier vielleicht eine führende Rolle einzunehmen. Und es scheint so zu sein, dass Israelis und Syrer sich einig sind, dass man da eher auf die neue, auf die nächste amerikanische Administration wartet.
Interview: Khaula Saleh
© DEUTSCHE WELLE 2008