"Gaddafis Verbleib provoziert einen Bürgerkrieg"

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Ziad Aql, Libyen-Experte am Al-Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien in Kairo, erläutert die Rolle der Armee und die Stammeskultur in Libyen.

Von Chamselassil Ayari
Libyens Revolutionsführer Gaddafi; Foto: picture alliance/dpa
Aufstand gegen den selbsternannten Lenker des libyschen Volksmassenstaates: Trotz der massiven Proteste gegen Muammar al-Gaddafi, hält der libysche Diktator an seiner Macht fest und will das Land nicht verlassen; Foto: picture alliance/dpa

​​Die libysche Armee scheint in ihrem Innern gespalten zu sein. Zwei Piloten weigerten sich, auf die Demonstranten zu schießen und flogen nach Malta. Ist die libysche Armee tatsächlich gespalten?

Ziad Aql: Ja, es gibt eine klare Spaltung innerhalb der libyschen Armee. Das hat zwei Gründe. Zum einen wird die Armee größtenteils von Mitgliedern des Stammes von Präsident Gaddafi angeführt. Außerdem ist der Sohn von Gaddafi, Mutassem Gaddafi, auf nationaler Ebene für die innere Sicherheit zuständig.

Der zweite Grund ist, dass viele Militärs dem Tarruna-Stamm angehören, der sich jetzt auf die Seite der Demonstranten geschlagen hat. Die libysche Gesellschaft ist eine von Stämmen geprägte Kultur. Viele sind in erster Linie ihrem eigenen Stamm loyal und nicht dem Staat.

Es lässt sich also deutlich eine tiefe Spaltung innerhalb der libyschen Armee in zwei Lager erkennen: das eine Lager, das den Befehlen von Gaddafi folgt und auf Demonstranten schießt, und das andere Lager, das sich weigert, die Befehle von Gaddafi auszuführen – und dann entweder samt Waffen flüchtet oder sich auf die Seite der Demonstranten schlägt.

​​Sie haben erwähnt, dass die Loyalität zum eigenen Stamm weitgehend die libysche Gesellschaft und die libysche Armee prägt. Könnte das zu einem Bürgerkrieg in Libyen führen?

Aql: Nicht unbedingt. Ob es zu einem Bürgerkrieg kommt, hängt davon ab, ob Gaddafi bleibt und wie groß der Schaden sein würde, den er in Libyen anrichtet. In den letzten Tagen aber scheint es zu einer Einigung zwischen den verschiedenen Stämmen gekommen zu sein. Diese wollen eindeutig Gaddafi stürzen, aber die Einheit Libyens bewahren. Sie wollen also das Land nicht in einen Bürgerkrieg stürzen falls Gaddafi abtritt.

Spielt die Armee in Libyen eine ähnliche Rolle wie in Tunesien oder in Ägypten, wo die Armee seit etwa fünfzig Jahren das Land unter ihrer Kontrolle hat?

Aql: Nein, die Armee in Libyen ist nicht so stark wie in Ägypten oder Tunesien. Dem libyschen Regime fehlen in allen Sektoren die Institutionen. Gaddafi regiert das Land nach seinem Belieben. Und so hat er auch die Armee kontrolliert. Momentan ist eindeutig festzustellen, dass zwischen den Mitgliedern der Armee noch Uneinigkeit herrscht. Es gibt Meldungen, dass der stellvertretende Stabschef angeblich einen Putsch gegen Gaddafi plant, aber auch Nachrichten, die besagen, dass vom Regime angeheuerte Söldner die Waffen der Armee nutzen.

​​In den letzten Jahren war die Rolle der Armee in Libyen zu einem gewissen Grad unklar. Aber es scheint, dass die jüngsten Ereignisse einige Teile der Armee dazu bewegen werden, gegen das Regime zu putschen.

Die Armee wird von der Stammeskultur dominiert und Teile der Armeeführung gehören zum Stamm von Präsident Gaddafi. Besteht die Gefahr, dass diese Armeeführer sich gegen Gaddafi selbst wenden, weil ihre Stellung und ihre Privilegien nun bedroht zu sein scheinen?

Aql: Gaddafis Sohn Seif Al-Islam war sehr eindeutig in seiner Wortwahl als er sagte, dass er diese Schlacht bis zum letzen Geschoss kämpfen werde. Die Befürchtung ist groß, dass die verschiedenen Gruppen innerhalb der Armee sich nun gegenseitig bekämpfen. Es gibt Hinweise, dass die Teile der Armee, die zu Gaddafis Stamm gehören, sich ihm gegenüber auch weiterhin loyal verhalten. Das wiederum gibt Anlass zur Sorge, dass es tatsächlich zu gewaltsamen Kämpfen innerhalb der Armee kommen könnte.

Interview: Chamselassil Ayari

Übersetzung aus dem Arabischen: Nader Alsarras

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de