Die Vertreibung der „Eisernen Lady“ ins Exil
Am 19. Juli 2024 wurden einige Regierungswebsites, darunter die der Bangladesh Bank und des Büros der Premierministerin, von Hackern lahmgelegt, die behaupteten, sie stünden auf der Seite der agitierenden Studenten. In blutroten Großbuchstaben war zu lesen: „Dies ist kein Protest mehr. Jetzt ist Krieg.“ Als die Welt von der ernsten gewalttätigen Situation in Bangladesch erfuhr, warf diese Botschaft viele relevante Fragen im Zusammenhang mit der Quotenbewegung der Studenten auf, die einen fairen Wettbewerb um Regierungsposten allein durch Leistung forderten.
Die ehemalige Premierministerin von Bangladesch, Sheikh Hasina, und ihre Regierung sahen sich angesichts der zweiwöchigen Studentenunruhen der größten Bedrohung ihrer Existenz ausgesetzt. Selbst nachdem sie die anfänglichen Forderungen der Studenten akzeptiert hatten, entwickelte sich die Bewegung zu einer Massenbewegung, die den Rücktritt von Sheikh Hasina forderte. Die „Eiserne Lady“ Südasiens, die ihr Regime in den letzten 15 Jahren oppositionsfrei halten konnte, musste nach ihrem Rücktritt als Premierministerin am 5. August 2024 aus Bangladesch fliehen.
Die Geschichte hinter dem Funken
Zwei Bilder von Universitätsstudenten haben sich in das kollektive Gedächtnis der meisten Bangladescher eingebrannt. Abu Sayed, ein Student der Begum Rokeya Universität in Rangpur, Bangladesch, wurde von einem Polizisten in die Brust geschossen. Mit einem meterlangen Schlagstock in der rechten Hand fiel er tot zu Boden. Das Video von Mir Mugdha, einem unpolitischen MBA-Studenten der Bangladesh University of Professionals, der erschossen wurde, als er bei einer Protestkundgebung Wasser an Studenten verteilte, ging um die Welt.
Weitere College- und Universitätsstudenten in Dhaka, Chittagong, Barisal, Khulna und anderen Städten fielen den Kugeln der Polizei zum Opfer, als das Land mit seinen 170 Millionen Einwohnern von einer Welle der Unruhe erfasst wurde, die sich ausbreitete, beschleunigte und in Gewalt umschlug, nachdem Sheikh Hasina abfällige Bemerkungen über die Studentengemeinde gemacht hatte. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich bislang auf mindestens 440 Demonstranten und fast 50 Polizisten, doch wird weithin angenommen, dass die Zahl noch höher liegen könnte.
Die beispiellosen Proteste, die in der dritten Juniwoche wegen der heiklen Frage der Arbeitsplätze für die Kinder der Familien der Veteranen des Befreiungskrieges von 1971 ausgebrochen waren, nahmen eine gewalttätige Wendung, als Hasina im nationalen Fernsehen erklärte, die Regierung solle den Nachkommen der Familien der Muktijoddhas (Kämpfer des Befreiungskrieges) Arbeitsplätze anbieten - nicht den Razakars, eine abfällige bengalische Bezeichnung für Menschen, die verdächtigt werden, während des Unabhängigkeitskampfes freiwillig in die pakistanische Armee eingetreten zu sein und damit die Bengalen und ihre Vorstellung von bengalischem Nationalismus verraten zu haben.
Spott der Premierministerin löste Proteste aus
Die Awami League, die Partei der Premierministerin, schickte bewaffnete Kader ihres eigenen Studentenflügels, der Chhatra League, auf die Straße und griff die agitierenden Studenten an, die sich ihrerseits verteidigten.
Doch als die gewalttätigen Ausschreitungen, die angeblich durch die Infiltration von Studenten, die dem Studentenflügel Islami Chhatra Shibir der Jamaat-e-Islami-Partei Treue schulden, angeheizt wurden, tödliche Ausmaße annahmen, setzte das autoritäre Regime von Sheikh Hasina die Polizei, das berüchtigte, von den USA sanktionierte Rapid Action Battalion (RAB) und die Bangladesh Border Guards (BGB) ein.
Befehl zum Schießen
Als die Unruhen nicht nachließen und die Zahl der Todesopfer weiter stieg, reagierte die Regierung mit Schießbefehl. Der Konflikt zwischen den Studenten und der Regierung eskalierte, als das Regime der Awami-Liga sein Vorgehen verschärfte. Die Regierung sah sich jedoch gezwungen, einen Schritt zurückzuweichen, als sie erklärte, dass das geltende Quotensystem vom Obersten Gerichtshof überprüft werden könne.
Am 21. Juli, inmitten einer landesweiten Ausgangssperre und der vollständigen Schließung von Kommunikation und Information, reduzierte der Oberste Gerichtshof die Quote für Nachkommen von Muktijoddhas drastisch auf 5 Prozent und reservierte jeweils 1 Prozent für Stämme, Menschen mit Behinderungen und sexuelle Minderheiten. Zuvor hatte das Quotensystem 56 Prozent der Regierungsposten für bestimmte Kategorien gesichert: 30 Prozent für Nachkommen von Veteranen des Befreiungskrieges von 1971, jeweils 10 Prozent für Frauen und Menschen aus unterentwickelten Distrikten, 5 Prozent für Stammesgemeinschaften und 1 Prozent für Menschen mit Behinderungen. Somit blieben nur 44 Prozent für die allgemeine Kategorie übrig.
Geschichte des Protests
Studentische Unruhen und politische Bewegungen sind in Bangladesch nicht neu. Ihr Engagement in der Hochschulpolitik hat eine lange und ruhmreiche Geschichte, die bereits vor der Gründung der Nation im Jahr 1971 begann. Während der Sprachenbewegung 1952, des Befreiungskrieges 1971, des Sturzes des HM-Ershad-Regimes 1990 und der Proteste für die Verkehrssicherheit 2018 standen Universitäts- und Hochschulstudenten an vorderster Front.
Die Awami-Liga von Sheikh Hasina, die seit 2009 mit fragwürdigen und unlauteren Mitteln an der Macht ist, wurde gelegentlich von politischen Bewegungen unter Führung der oppositionellen Bangladesh Nationalist Party (BNP) erschüttert. Der BNP, der Jamaat-e-Islami und anderen konspirativen Gruppen die Schuld zuzuschieben, ist zu einer abgedroschenen Haltung der Awami-Liga und ihrer bekannten Verbündeten geworden.
Hasina war jedoch allem Anschein nach nicht auf die gewaltige Herausforderung durch die Studenten vorbereitet, selbst als die Anti-Awami-Liga-Stimmung in ganz Bangladesch und unter Dissidenten im Ausland sehr stark war. Es gab Forderungen, sie solle zurücktreten oder das Land verlassen, aber die 77-Jährige war entschlossen, an der Macht zu bleiben. Sie versuchte, alle ihre Ressourcen, einschließlich der Armee, zu mobilisieren, um die Studentenbewegung unter Kontrolle zu halten und die Ordnung in Dhaka und anderen Städten wiederherzustellen.
Die Position der Armee
Die Armee war jedoch nicht bereit, den Befehlen zu drakonischen Maßnahmen Folge zu leisten. Armeechef General Waqar-uz-Zaman bestand darauf, seine Waffen nicht gegen die Studenten einzusetzen, obwohl er ein entfernter Verwandter von Hasina war. Hasina zögerte, der Armee richterliche Gewalt zu übertragen, was eine latente Angst verriet, die auf den 15. August 1975 zurückgeht, den Tag, an dem einige Armeeoffiziere einen Staatsstreich inszenierten, um ihren Vater, Sheikh Mujibur Rahman, und die meisten anderen Mitglieder ihrer Familie zu töten.
Hasina wollte bis zum letzten Moment nicht zurücktreten, musste aber auf Druck des Militärs gehen. Bangladesch versank im Chaos, und im ganzen Land brach eine Rachewelle gegen Führer und Aktivisten der Awami-Liga aus. Die Awami-Liga wurde gezwungen, das Land zu verlassen. Dies machte die Awami-Liga führungslos, die meisten ihrer Spitzenpolitiker versuchten, aus Bangladesch zu fliehen, während andere dort ums Überleben kämpfen.
Die Rolle Indiens
Eine Schlüsselvariable in den Ereignissen, die zu den massiven Unruhen geführt haben, ist die eher merkwürdige Haltung der indischen Regierung, die die weit verbreiteten Proteste und Gewalttätigkeiten zunächst als „innere Angelegenheit Bangladeschs“ bezeichnete. Dies steht im Widerspruch zum Einfluss Neu-Delhis auf Bangladesch und seiner Rolle in der undurchsichtigen Politik des Landes. Der beträchtliche Einfluss Indiens auf das Regime von Sheikh Hasina wird von den anderen politischen Parteien und den Bangladeschis im Allgemeinen nicht gern gesehen, da sie glauben, dass ein Entzug der indischen Unterstützung zum Zusammenbruch der Awami-Liga führen könnte.
Im Vorfeld der letzten Wahlen im Januar 2024 spielte Neu-Delhi eine offen neutrale Rolle, unternahm aber insgeheim alles, um Sheikh Hasina durch eine fragwürdige Wahl an der Macht zu halten. Neu-Dehli demonstrierte seine wichtige geopolitische Position erneut, indem es Hasina freies Geleit bei ihrer Flucht aus dem Land gewährte.
Nicht weniger aufsehenerregend war die Haltung der Vereinigten Staaten zu der hohen Zahl von Todesopfern, abgesehen von einer eindringlichen Reisewarnung, die ihre Bürger davor warnt, in ein Land zu reisen, das von „zivilen Unruhen“, kriminellen Aktivitäten und der Bedrohung durch den Terrorismus zerrissen ist. Es gab nicht einmal einen Aufschrei aus Washington über die Menschenrechtslage, die sich aus dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Studenten und den daraus resultierenden Todesfällen ergab.
Wie geht es weiter?
Am 8. August wurde der Nobelpreisträger Muhammad Yunus als Präsident der Übergangsregierung von Bangladesch vereidigt, zusammen mit 17 weiteren Personen, darunter zwei Studentenführer, die Bangladeschs mächtige Studenten- und Jugendplattform GenNext repräsentieren. Die Übergangsregierung hat versprochen, Frieden und Stabilität in dem Land wiederherzustellen, das eine wichtige Rolle in der südasiatischen Politik spielt, und damit eine der turbulentesten Perioden in der 53-jährigen Geschichte Bangladeschs zu beenden.
So wird Bangladesch in den kommenden Monaten als Labor dienen, um herauszufinden, wie effektiv die Studentenbewegung die politische Struktur einer konfliktreichen Gesellschaft in Bezug auf Ideologie, Machtverteilung und Aneignung der wirtschaftlichen Dividende verändern kann.
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Anindita Ghoshal ist Professorin für Geschichte an der Diamond Harbour Women's University in Kalkutta, Indien. Ihr Forschungsgebiet umfasst Teilungs- und Flüchtlingsforschung mit besonderem Schwerpunkt auf Ost-/Nordostindien und Bangladesch. Sie ist Autorin von „Refugee, Borders, and Identities: Rights and Habitat in East and Northeast India“ und Herausgeberin von „Revisiting Partition: Contestation, Narratives and Memories“.