Die Achse des Bösen ist wieder da
Am Tag danach sieht man in Teheran die Welt klarer. Das Rad der Geschichte ist zurückgedreht, wir befinden uns wieder im Jahr 2003: Die Achse des Bösen ist zurück – trotz des Atomabkommens zwischen dem Iran und den Weltmächten und obwohl sich alles zu beruhigen schien.
Man kann US-Präsident Donald Trump vieles vorwerfen, aber nicht, dass er kompliziert formuliere. Seine Jungfernrede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen war deutlich, schlicht und für alle verständlich. Nun wissen wir: Das dringendste Problem der Welt ist die Achse des Bösen, gegen die sich die Menschheit erheben muss. Ein altbekannter Feind: Einst saßen auf dieser von Trumps Vorvorgänger George W. Bush kreierten Achse drei Länder – Irak, Iran und Nordkorea. Saddam Hussein, der Böse in Bagdad, ist längst Geschichte. Geblieben sind laut Trump "der Raketenmann in Pjöngjang, der Selbstmord begehen will" und "das Mörderregime in Teheran", das eine ganze Region destabilisiere.
Was mit diesen noch verbliebenen "Schurkenstaaten" auf der alten Achse geschehen soll, daran ließ Trump keinen Zweifel. Zunächst rief er der Weltgemeinschaft in Erinnerung, dass die USA die stärkste Militärmacht der Welt seien. Und erklärte, er habe den Militärs seines Landes in diesem Jahr "700 Milliarden Dollar, eine noch nie dagewesene Summe" zur Verfügung gestellt.
Dann nahm er sich Nordkorea vor. Den "suizidalen Raketenmann" in Pjöngjang werde er samt seines gesamten Landes – wenn es sein müsse – vernichten. So einfach, so schlicht und so klar. Viele mögen es als völkerrechts- und sittenwidrig empfinden, wenn einem ganzen Land samt seiner Bevölkerung mit Vernichtung gedroht wird, weil man mit der Regierung dieses Landes Konflikte hat. Aber Präsident Trump wurde nicht zuletzt wegen seiner klaren Sprache gewählt.
Schwadronieren gegen Schurkenstaaten und Raketenmänner
Doch mit dem Iran befasste sich Trump noch viel ausführlicher. Es sei Zeit, einen gefährlichen und aggressiven Schurkenstaat zu bekämpfen – ein korruptes und diktatorisches System, das sich hinter einer demokratischen Maske verberge und sich Massenvernichtungswaffen aneignen wolle.
Er vergaß nicht zu erwähnen, der Iran habe eine lange Geschichte und eine reiche Kultur. Dann griff er die iranische Einmischung im Irak, in Syrien und im Jemen auf und kam schließlich zum Atomabkommen. Zwar sagte Trump nicht ausdrücklich, dass er sich an diese Vereinbarung nicht mehr halten wolle. Doch bezeichnete er das Abkommen als beschämend und den "schlechtesten Deal", den er je gesehen habe.
Trump ist bekanntlich ein Mann mit Erfahrungen im Showgeschäft und da zählt nur die Spannung. Er habe über das Atomabkommen längst entschieden und werde seine Entscheidung bald bekannt geben, sagte Trump in letzter Zeit recht häufig.
Wenige Stunden nach Trumps Auftritt vor der UN-Vollversammlung erschien sein Außenminister Rex Tillerson im Fernsehsender Fox News und forderte eine Änderung des Abkommens. Andernfalls könnten die Vereinigten Staaten nicht länger Teil des Pakts sein. Tillerson kritisierte vor allem die Auslaufklauseln in dem Abkommen. Der Vertrag sei nicht streng genug und reiche nicht aus, um das Atomprogramm Irans zu bremsen. "Wir können beinahe den Countdown zählen bis zu dem Moment, wo sie ihre Atomwaffenfähigkeiten wieder herstellen werden."
Tags darauf wiederholte Tillerson diese Position in einem Gespräch mit seinen Kollegen aus Großbritannien, Frankreich, Russland, China, Deutschland und dem Iran in New York. Und nach diesem Treffen war klar, die USA wollen dieses mühsam erzielte Abkommen wieder aufschnüren.
Am deutlichsten äußerte sich der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel: "Es gibt keinerlei Anzeichen, dass der Iran seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Andererseits muss man die allergrößte Sorge haben, dass das Abkommen trotzdem zerstört wird."
Es drohen also wieder lange Verhandlungen und neue Sanktionen. Und wie erzählt man nun diese bittere Wahrheit dem eigenen Volk? Zunächst gar nicht. Trumps Rede vor der UN wurde auch im iranischen Fernsehen direkt übertragen, simultan und gekonnt ins Persische übersetzt. Zunächst. Als sich Trump jedoch in seinen Ausführungen den Iran vornahm, geriet der Übersetzer hörbar ins Schleudern. Denn was der US-Präsident da über den Iran sagte, das war im staatlichen Fernsehen einfach nicht sendefähig.
Egal wie man die Worte und Sätze umzudeuten und zu ändern versuchte: Es war nicht möglich. "Ein Terrorregime, das sich eine demokratische Maske gibt und sein eigenes Volk unterdrückt, ein Regime, das nur Terror exportiert" – was kann ein Übersetzer im iranischen Fernsehen mit solchen und ähnlichen Sätzen tun? Was wird nach der Sendung geschehen?
Der Übersetzer wählte zunächst die zweitbeste Lösung, nämlich das Schweigen. Doch die Iranpassage der Rede war zu lang, um sie mit Schweigen zu überstehen. Es folgten dann nichtssagende Redewendungen und lächerliche Wortfetzen. Trumps Rede konnte man auch nicht auf Webseiten oder in Zeitungen in Gänze lesen. Trump habe beleidigt und beschimpft, das war die Linie der Wiedergabe, an die sich alle hielten, die Zeitungen der Reformer inklusive.
Nur die Revolutionsgarde bleibt wahrheitsgetreu
Nur ein Medium tanzte aus der Reihe: die Webseite der Zeitung Javan. Sie gehört den Revolutionsgarden und hat ausgesuchte Adressaten, ihre Leser sind Gardisten und ihre Familien oder überzeugte Anhänger. Javan gab wenige Stunden später – wahrheitsgemäß und korrekt übersetzt – alles wieder, was Trump zum Iran gesagt hatte. Nichts wurde ausgelassen, nichts abgemildert.
Doch diese Wahrheitstreue der Revolutionsgarden hat einen realen politischen Hintergrund. Denn nur wenige Stunden danach erschien der oberste Kommandant der Revolutionsgarde, Ali Dschafari, vor der Presse und verlangte eine totale Revision der iranischen Politik gegenüber den USA. Er forderte den in New York weilenden Staatschef Rohani auf, Trumps Schimpftiraden mit gleicher Münze heimzuzahlen. Am Ende seines kurzen Statements sagte der General, er bedanke sich bei Trump, der Amerika demaskiert habe, und fügte hinzu: "Es sind schmerzhafte Antworten auf dem Weg, die er in den nächsten Tagen spüren wird."
Doch Rohani blieb bei seiner Rede vor den UN konziliant und moderat. Während einer anschließenden Pressekonferenz sagte er deutlich, das Atomabkommen sei nicht mehr verhandelbar, und forderte die Europäer auf, Druck auf die USA auszuüben, damit sie sich wie der Iran auch an das Abkommen hielten.
Doch den USA geht es nicht um den Wortlaut des Abkommens, als vielmehr um dessen "Geist". Selbst US-Außenminister Tillerson bescheinigte dem Iran, die Auflagen des Abkommens bislang erfüllt zu haben. Er warf Teheran allerdings erneut vor, die Sicherheit im Nahen Osten zu bedrohen. Mit dem Atomabkommen sei die Erwartung verbunden gewesen, dass die iranische Regierung einen Beitrag zum Frieden in der Region leiste, sagte Tillerson.
Es geht um den "Geist des Abkommens". Und es ist in der Tat schwierig, einen passenden Geist für einen Körper zu finden, der den umständlichen Namen "Joint Comprehensive Plan of Action" trägt, was man mit "gemeinsamer Aktionsplan" übersetzen könnte.
Diesen Geist sucht auch der Oberste Geistliche des Iran, Ayatollah Ali Khamenei. Den dazugehörigen Körper kennen beide Seiten seit zwei Jahren, aber wie genau seine Seele auszusehen hat, da hat jeder seine eigene Vorstellung. Tillerson spricht von iranischen Raketentests sowie der Rolle des Iran in den Konflikten in Syrien, im Jemen und im Irak. Und Khamenei, der omnipotente Mann in Teheran, geißelt immer wieder die USA, die ihre Zusagen nicht einhielten und ständig ihre Sanktionen gegen den Iran verschärften.
Europa soll helfen
Zwischen Trump in Washington und den Radikalen im eigenen Hause sucht der moderate Präsident einen Ausweg und glaubt fündig geworden zu sein: Europa soll alles retten. In New York traf er sich mit dem französischen Präsidenten, der britischen Premierministerin und vielen anderen europäischen Diplomaten, und alle versprachen ihm, sie würden sich an das Abkommen halten.
Die französischen Öl- und Automobilkonzerne haben seit dem Abkommen mehrere Milliarden US-Dollar im Iran investiert. Einen Tag nach Trumps Auftritt in New York unterzeichnete der britische Energiekonzern Quercus eine Vereinbarung mit dem iranischen Energieminister für ein gigantisches Solarprojekt, das sechstgrößte seiner Art weltweit.
Doch die Europäer halten sich trotz eigenem Interesse an dem Abkommen eine Hintertür offen. Vor allem Emmanuel Macron, der nach Trumps Rede mehr als eine Stunde mit Rohani gesprochen hatte, macht danach deutlich klar, er wolle den Amerikanern entgegenkommen und über zusätzliche Elemente des Vertrags verhandeln. Macron beharrte auch darauf, der Iran müsse sein Verhalten in Syrien ändern. Er habe sich sogar als Vermittler zwischen dem Iran und den USA angeboten, berichtete jüngst die New York Times.
Am 15. Oktober will Trump der Welt seine endgültige Entscheidung im Atomkonflikt präsentieren. Er wird höchstwahrscheinlich verlangen, dass die Auslaufklausel des Abkommens geändert werden soll, vor allem aber, dass der Iran sich in Syrien, dem Irak und dem Libanon umorientieren müsse. Irans Präsident Rohani ahnt, was auf ihn zukommt. Während seiner Pressekonferenz sagte er, das Abkommen sei wie ein Gebäude: Ziehe man ein tragendes Element heraus, stürze das Ganze ein. Und so leicht wird der Iran seine regionale Politik nicht ändern können und wollen.
Wie auch immer: So oder so stehen Rohani und vielen Regierungen, die nach ihm kommen mögen, erneut jahrelange Verhandlungen bevor – gekoppelt mit anhaltenden US-Sanktionen. Man scheint wieder dort angelangt zu sein, wo man schon einmal stand.
Wer hierbei längeren Atem hat, ist schwer vorauszusagen. In der Realität bedeutet es jedoch den weiteren Niedergang der iranischen Wirtschaft und den Machtzuwachs der Radikalen. Dazwischen befindet sich ein 80-Millionen-Volk, das sich in seiner überwiegenden Mehrheit nach einer besseren Zukunft sehnt – und niemandem mehr traut, weder den Machthabern zuhause noch denen im fernen Ausland.
Ali Sadrzadeh
© Iran Journal 2017