Umstrittener Kulturerbe-Schützer
Er ist der erste Ägypter und der erste Araber in dieser Position: Die Unesco hat Anfang November die Ernennung von Khaled El-Enany zum Generaldirektor der Organisation zur Bewahrung des Weltkulturerbes für eine Amtszeit von vier Jahren bestätigt.
Im Oktober hatte El-Enany bereits mit 55 von 58 Stimmen die Unterstützung des Exekutivrats gewonnen und damit seinen kongolesischen Rivalen Edouard Firmin Matoko geschlagen.
Die Wahl El-Enanys stieß auf gemischte Reaktionen. Bei offiziellen Feierlichkeiten in Ägypten wurden seine akademischen Fachkenntnisse und seine Kompetenz für die Übernahme einer so gewichtigen internationalen Position gelobt.
Doch sowohl lokal als auch international wird auch Kritik laut. El-Enanys Bilanz beim Schutz des architektonischen und historischen Erbes Ägyptens während seiner Zeit als Minister für Altertümer zwischen 2016 und 2022 ist umstritten.
El-Enanys Wirken sei gekennzeichnet durch „Rücksichtslosigkeit gegenüber allem, was archäologisch und für die Ägypter von spirituellem Wert ist“, sagt Hanna Naeem, El-Enanys Vizeminister von 2018 bis 2021, gegenüber Qantara.
Er beschreibt El-Enanys Amtszeit als „die schlechteste in Bezug auf die Erhaltung des kulturellen und städtischen Erbes und der historischen Identität”. Naeem war aus Protest gegen den Abriss historischer Villen in Kairo aus dem Kuratorium des Hauses des ägyptischen Kulturerbes zurückgetreten, das für den Denkmalschutz zuständig ist.
Von der Universität ins Ministerium
El-Enany wurde 1971 im Gouvernement Gizeh geboren. Er studierte Tourismus und Hotellerie an der Universität Helwan, wo er 1993 als Dozent arbeitete, bevor er 2001 in Ägyptologie und Denkmalpflege an der französischen Universität Montpellier promovierte.
Zurück in Ägypten übernahm er die Professur für Ägyptologie an der Helwan-Universität sowie die Leitung des Ägyptischen Museums am Tahrir-Platz. Er war an bedeutenden archäologischen Ausgrabungen und Restaurierungsprojekten beteiligt, wodurch er Erfahrung im Umgang mit komplexen Fragen des Kulturerbes sammelte.
2016 wurde er zum Minister für Altertümer ernannt, bevor er 2019 nach der Zusammenlegung der beiden Ministerien auch das Tourismusressort übernahm.
Bis zu seinem Ausscheiden aus der Regierung 2022 wurden unter seiner Aufsicht bedeutende archäologische Projekte verwirklicht, etwa die Eröffnung des Nationalmuseums der Ägyptischen Zivilisation und die Allee der Sphinxe in Luxor. Die Unesco beschreibt El-Enany als jemanden, der „seine Karriere dem Erhalt und der Förderung des kulturellen Erbes gewidmet hat”.
Ägyptische Experten sind dagegen der Ansicht, dass seine Arbeit von politischen Entscheidungen beeinflusst wurde. So sei der Denkmalschutz während seiner Amtszeit als Minister eher der Logik des Staates als der Logik der Kultur unterworfen gewesen, insbesondere was die Entwicklung des Historischen Kairos betrifft.
Das Ministerium für Altertümer habe unter El-Enanys Führung an Eigenständigkeit verloren und sich eher an der Präsidentschaft der Republik orientiert, sagt Naeem. „El-Enany hätte es ohne Anweisungen von höherer Stelle niemals gewagt, diese Entscheidungen umzusetzen, aber letztendlich bleibt er Teil der Katastrophe, da er für die Abriss- und Zerstörungsmaßnahmen verantwortlich ist.“
Abriss der Stadt der Toten
Das von der Unesco – also der Organisation, der El-Enany nun vorsteht – als Weltkulturerbe gelistete Gebiet des Historischen Kairos war während seiner Amtszeit einer der größten Abrisswellen der modernen Geschichte ausgesetzt. Die Abrissarbeiten erfolgten im Rahmen eines von der Regierung seit 2020 verfolgten „Entwicklungsplan für die Hauptstadt“.
Bei zahlreichen Anlässen hatte El-Enany das Projekt verteidigt. Kairo kehre zu seinem Glanz und seiner altehrwürdigen Geschichte zurück; der Staat reiße keine Denkmäler ab, sondern entwickle sie weiter.
Aufnahmen vor Ort zeigten jedoch das Gegenteil: umfangreiche Abrissarbeiten in der sogenannten Stadt der Toten, einem Teil des Historischen Kairos, darunter die Gräber prominenter Personen aus Politik und Kunst sowie jahrhundertealte Kuppeln, die integraler Bestandteil des Stadtgedächtnisses sind.
Trotz der offiziellen Darstellung, dass die zerstörten Gräber nicht gesetzlich als Denkmäler registriert waren, betrachten Archäologen diese Begründungen als Umgehung des Gesetzes Nr. 117 von 1983 zum Schutz von Denkmälern – zumal eine Reihe von Stätten tatsächlich von den islamischen und koptischen Altertumsausschüssen als schützenswerte Kulturgüter registriert oder zur Registrierung empfohlen worden waren.
Doch es geht um mehr als den Umgang mit kulturellem Erbe. So wurden in jenen Jahren auch eine Reihe von Altertümern für nationale Feierlichkeiten und Volksfeste verwendet. Dabei wurden zum Beispiel vier Widder aus dem Karnak-Tempel sowie ein antiker Obelisk aus Sharqia auf den Tahrir-Platz überführt. Archäologen sehen die Denkmäler auf diese Weise ihrer historischen und spirituellen Bedeutung entrissen. Ihre antike Ästhetik sei in den Dienst staatlicher Narrative gestellt worden.
Eine überraschende Nominierung
Trotz der Kontroversen nominierte ihn die ägyptische Regierung nach seinem Ausscheiden aus dem Amt 2022 im April 2023 für das Amt des Unesco-Generaldirektors – für viele ein bemerkenswertes Paradoxon, das in intellektuellen Kreisen Ägyptens Verärgerung auslöste.
Im Oktober 2024 unterzeichneten eine Reihe von Intellektuellen, Archäologen, Gewerkschaften und Verbänden eine Petition, in der sie ein Ende der Zerstörung des Historischen Kairos forderten, die auch nach El-Enanys Ausscheiden aus dem Amt weiterging.
„In einer Zeit, in der Ägypten einen Kandidaten für den Posten des Direktors der weltweit größten Institution zur Förderung von Kultur und kulturellem Erbe vorschlägt, muss es der Welt zunächst beweisen, dass es sein eigenes Kulturerbe bewahrt“, schrieben sie.
Eine Mauer zwischen Arm und Reich
Mit Hochdruck lässt Ägyptens Militärregime landesweit Straßen, Nahverkehrsmittel und Industrie modernisieren und eine luxuriöse Verwaltungshauptstadt für die Oberschicht errichten. Doch der Bauboom ist auf Pump finanziert und treibt Ägypten weiter in die Schuldenfalle.
Ungeachtet dessen setzte Ägypten die Unterstützungskampagne für El-Enany fort. Dabei stützte sich das Land auf seinen diplomatischen Einfluss und seine guten Beziehungen, die es seiner starken Präsenz in afrikanischen und arabischen Ländern verdankt. So konnte sich El-Enany letztlich durchsetzen.
Ibrahim Tayea, Mitglied der Ägyptischen Vereinigung für Geschichtswissenschaften, ist der Ansicht, dass El-Enany im kongolesischen Kandidaten Edouard Matoko eine eher schwache Konkurrenz hatte. Dessen Land verfüge im Vergleich zu Ägypten über wenig Einfluss. Dabei verweist Tayea auch auf den Rückzug der anfangs aussichtsreichen mexikanischen Kandidatin Gabriela Ramos aus dem Wahlkampf.
Vor der endgültigen Bestätigung seiner Wahl hatte die in Berlin ansässige Organisation World Heritage Watch am 29. Oktober an die Unesco-Mitgliedstaaten appelliert, die Ernennung des ehemaligen ägyptischen Spitzenvertreters zu überdenken. El-Enany trage „einen großen Teil der Verantwortung für den Abriss großer Teile der historischen Nekropole von Kairo und für die massive touristische Erschließung rund um das Katharinen-Kloster auf der Sinai-Halbinsel“.
In einem von mehr als fünfzig Organisationen und Experten unterzeichneten Schreiben der Organisation heißt es: „Es ist unverantwortlich, eine solche Position in einer Institution, die sich mit dem Schutz des Weltkulturerbes befasst, jemandem mit einer solchen Vergangenheit anzuvertrauen.“
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi dagegen bezeichnete den Sieg El-Enanys auf X als „historische Leistung, die zu den diplomatischen und kulturellen Erfolgen Ägyptens und zu den Errungenschaften der arabischen und afrikanischen Völker beiträgt“.
„Die Welt schaut ihm auf die Finger“
Hanna Naeem verwies gegenüber Qantara auf einen ähnlichen Fall: „Es wurde schon einmal eine ägyptische Professorin in ein internationales Amt berufen, obwohl sie das größte Baummassaker der Geschichte Ägyptens zu verantworten hatte.“
Er bezog sich dabei auf Yasmine Fouad, die ehemalige ägyptische Umweltministerin, die zur Exekutivsekretärin der UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) ernannt wurde. In ihrer Amtszeit wurde ihr vorgeworfen, systematisch Bäume gefällt und Grünflächen im ganzen Land reduziert zu haben.
Zu Fuß gehen unerwünscht
Kairos Gehwege verschwinden, der öffentliche Raum schrumpft und Bäume müssen der autogerechten Infrastruktur weichen. Die Stadt breitet sich aus, für Fußgänger:innen werden die Straßen zu gefährlichem Terrain.
Was El-Enany betrifft, so sieht er sich nun nach seinem Amtsantritt Mitte November mit einer Institution konfrontiert, die nicht nur mit politischen und finanziellen Herausforderungen zu kämpfen hat, sondern auch mit dem Vertrauensverlust einiger Länder in die Neutralität der Organisation und dem zunehmenden Druck der Großmächte, ihre Kultur- und Bildungsagenda im Sinne ihrer geopolitischen Interessen umzugestalten.
Im Juli kündigte die US-Regierung ihren Austritt aus der Unesco an und begründete dies mit der Voreingenommenheit der Organisation gegenüber Israel sowie der Förderung „spaltender” Themen.
Nach seinem Sieg im Oktober hatte El-Enany versprochen, „Hand in Hand mit allen Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um einen gemeinsamen Fahrplan für die Modernisierung der Organisation zu erstellen und sie in die Zukunft zu führen“.
„Als Archäologen hoffen wir“, sagt Ibrahim Tayea, „dass er seine Politik gegenüber den Kulturerbestätten und Denkmälern in Ägypten ändert und sich der Bedeutung und des Gewichts seiner Position bewusst wird.“ Die Welt schaue ihm jetzt auf die Finger.
Dies ist eine bearbeitete Übersetzung des arabischen Originals. Übersetzung: Leonie Nückell.
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