Der Alarm der Demagogen

Seit der Veröffentlichung des jüngsten IAEA-Berichts ist das Säbelrasseln zwischen Teheran und Jerusalem lauter geworden. Neu sind die Drohgebärden beider Seiten aber keineswegs. Hintergründe von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

Auf israelischer Seite hat sich angesichts der Wirkungslosigkeit der westlichen Sanktionspolitik und der zunehmenden Bedrohung ein Gefühl von Machtlosigkeit ausgebreitet.

Daraus versuchen rechte israelische Politiker schon länger Kapital zu schlagen. Als Benjamin Netanjahu, damals Oppositionschef, im April 2006 Ahmadinedschad wegen seiner Vernichtungsabsichten gegenüber Israel einen "modernen Hitler" nannte, ergänzte sein damaliger Gegenspieler, Ministerpräsident Ehud Olmert, nur zwei Wochen später mit der Bemerkung, "Irans Präsident spricht wie Adolf Hitler".

Beide Politiker gaben diese Statements bezeichnenderweise gegenüber dem Ausland ab: Netanjahu gegenüber dem Sicherheitsberater von George W. Bush, Olmert im Interview mit der "Bild"-Zeitung. Als Regierungschef hat Netanjahu unterdessen für seinen Hitler-Vergleich den Revolutionsführer Chamenei entdeckt - und dies bei einem Besuch in Moskau im März 2011 öffentlich geäußert.

Griff nach der Deutungsmacht

Mit solch demagogischem Alarmismus, der einen nuklearen Iran automatisch zur Gefahr für den Weltfrieden erklärt, verfolgen Netanjahu und sein Lager das Ziel, die Iran-Frage auf die Tagesordnung der internationalen Staatengemeinschaft zu hieven. Als Druckmittel dient dabei die Drohung mit einem militärischen Alleingang.

Zipi Livni; Foto: AP
Harte Linie im Irankonflikt: "Jetzt, wo die Wahrheit vor den Augen der Welt aufgedeckt wurde, muss Israel die freie Welt mobilisieren, um den Iran zu stoppen", erklärte die israelische Oppositionsführerin Zipi Livni.

​​Das zeigt tatsächlich Wirkung und wird von israelischen Politikern zur Imagepflege genutzt. Haben sie indes ein neues Amt, ändert sich ihre Rhetorik. So hatte Zipi Livni 2008, als sie noch Außenministerin war, darauf beharrt, dass ein Militärangriff gegen Iran eine Option bleiben müsse.

Als Oppositionschefin rügt sie Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Ehud Barak für ihr "Gerede" über Israels militärische Option in Iran. Übrigens bezieht sie damit gleichzeitig Stellung gegenüber ihrer erstarkenden Rivalin Schelly Jachimowitsch von der Arbeiterpartei. Diese hatte Netanjahu und Barak vor einem "megalomanen Abenteuer" in Iran gewarnt.

Ähnlich hatte sich der frühere Mossad-Chef Meir Dagan, heute Geschäftsmann, eingeschaltet. Schon im Mai hatte er einen militärischen Angriff als "dumme Idee" gegeißelt, da er nicht nur einen regionalen Krieg entfachen, sondern auch unzählige Raketenangriffe seitens der libanesischen Hisbollah und des mit Iran verbündeten Syrien nach sich ziehen würde.

In Teheran war man für diese skeptische Äußerung dankbar, in Jerusalem hingegen sorgt sie bis heute für Empörung. Netanjahu und Barak werfen ihm vor, Israels Abschreckungsfähigkeit geschadet zu haben. Dagan wurde seitdem mehrmals mit Sanktionen gedroht. Sein Antrag auf Verlängerung des Diplomatenpasses wurde abgelehnt, ansonsten blieb er unangetastet. In regierungskritischen Medien wird er deshalb fast schon als Held hofiert.

Ungeahnte Popularität

Meir Dagan; Foto: AP Graphics
Im Kreuzfeuer der Kritik: Der ehemalige Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, Meir Dagan, hatte eine Bombardierung des Irans als "idiotisch" bezeichnet.

​​Das Magazin "Fakt" des zweiten israelischen Staatsfernsehens widmete ihm ein langes Porträt - Dagan wiederholte dort seine Position. Er ist, nur elf Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst, einer der populärsten Männer im Land. Die Kritik, die ihm die Panne bei der im Januar 2010 in Dubai erfolgten Liquidierung des als Chef-Waffenhändler der palästinensischen Hamas geltenden Mahmud Mabhuh einbrachte, scheint vergessen.

Und seit der "Fakt"-Ausgabe ist er auch noch als produktiver Freizeitmaler bekannt. In seinen Auftritten vermutet nicht nur die Zeitung "Haaretz" die ersten Schritte hin zu einer politischen Karriere, die Dagan allerdings laut Vorschrift erst 2013 starten darf.

Teheran bleibt die israelische Diskussion nicht verborgen. Im eskalierenden Machtkampf zwischen Präsident Ahmadinedschad und den religiösen Konservativen um Chamenei spielen diese Stellungnahmen zu den Äußerungen der Israelis eine wichtige Rolle.

Das Lager des Präsidenten befindet sich in der Defensive. Mit seinen Drohungen gegen Jerusalem will er die schwindende Sympathie in der Bevölkerung zurückgewinnen. So verkündete Ahmadinedschads Verteidigungsminister Ahmad Wahidi vergangene Woche - als wollte er Meir Dagans Befürchtungen zusätzliche Nahrung liefern -, Jerusalem müsse im Falle eines Militärschlags gegen Iran mit einem Gegenschlag von hundertfünfzigtausend Raketen rechnen.

Schrille Rhetorik

Ahmad Wahidi; Foto: AP
Drohgebärden gegen Jerusalem: Irans Verteidigungsminister Ahmad Wahidi erklärte, Israel müsse im Falle eines Militärschlags gegen Iran mit einem Gegenschlag von hundertfünfzigtausend Raketen rechnen.

​​Diese schrillen Töne erfolgen nicht nur als Reaktion auf Israel, sondern sind auch Produkt einer länger währenden inneriranischen Steigerungsdynamik. So warnte Wahidi bereits im April 2010, als er mit Ahmadinedschad den Nordosten des Landes besuchte, das "zionistische Regime" vor einem Angriff: Von ihm würde dann keine Spur mehr bleiben.

Bezeichnenderweise hatte am Tag zuvor ein Gegenspieler Ahmadinedschads, Modschtaba Zolnoor, Chameneis Vertreter bei den Revolutionsgarden, Israel ebenfalls gedroht: Sollte auch nur eine Rakete auf Iran niedergehen, würden, noch ehe sich ihr Staub gelegt habe, zahlreiche iranische Raketen im Herzen Tel Avivs einschlagen.

Neben solchen Beschwörungen der vermeintlichen Schlagkraft Irans, die umgehend von Israels Medien in alle Welt verbreitet werden, gehört zur Strategie der rivalisierenden iranischen Lager das konsequente Herunterspielen der feindlichen Stärke.

Das ist eine ständige Gratwanderung: Wird die Propaganda auf die Spitze getrieben, müssen sich die Iraner fragen, weshalb sie überhaupt vor Israel und den Vereinigten Staaten Angst haben sollten. Dass dadurch die martialischen Drohgebärden des iranischen Militärs und der Politik, die häufig besonders inszeniert anmuten, an Wirkung verlieren könnten, haben ihre Gegner aus den Kreisen um Chamenei erkannt.

Ein Beleg dafür findet sich derzeit auf Chameneis offizieller persischsprachiger Internetseite. Es handelt sich um einen Beitrag von Amir Mohebbian, einem bekannten Kommentator, der dem orthodoxen Lager zugerechnet wird. Der Artikel trägt den Titel "Mögliche Bedrohungsszenarien für Iran" und nimmt mit einer detaillierten nüchternen Analyse den Kriegstreibern im Land die Luft aus den Segeln. Denn in keinem der von ihm entworfenen drei Szenarien für die nahe Zukunft wird ein militärischer Angriff auf Iran für realistisch gehalten.

Die Folgen für den Angreifer

So wären Luftangriffe, kombiniert mit einer Invasion von Bodentruppen, für eine westliche Koalition zu schwer zu koordinieren, die zudem mit einer massiven Reaktion von Russland und China rechnen müsste. Aufgrund der Größe des Landes wäre auch eine dauerhafte Besetzung kaum möglich, zumal die Militäraufklärung des Westens nur sehr dürftig über Iran informiert sei.

Auch eine nur begrenzte Aktion gegen die Machtzentren des Regimes wäre zum Scheitern verurteilt, weil Iran sich gegen eine solche Bedrohung besonders gut gewappnet habe. Die Folgen einer derartigen Intervention wären für die Angreifer ohnehin nicht absehbar, weil sie auch einen gegenteiligen Effekt haben und dem Regime noch mehr Unterstützung beim Volk bringen könnte.

Schließlich verwirft Mohebbian auch das dritte Szenario, das von gezielten Angriffen auf ausgesuchte iranische Ziele, darunter etwa die Atomanlage in Buschehr, ausgeht.

Würde diese bombardiert, wäre die gesamte Region betroffen, eine Folge, die nur abschreckend wirken müsste. Dass der Westen trotz der Unwahrscheinlichkeit dieser Szenarien dennoch laut über einen Militärschlag nachdenkt, wertet Mohebbian als reine psychologische Kriegführung, deren Hauptziel es ist, Zwist unter den Iranern zu säen.

Deshalb solle man die westliche Kriegsrhetorik am besten ignorieren, was deren Wirkungslosigkeit noch stärker demonstrieren würde: eine unmissverständliche Botschaft besonders an das Lager von Präsident Ahmadinedschad.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de