Schick mit Schleier
Die verhüllte Frau, die den Süßwarenladen in Begleitung einer unverhüllten Freundin betrat, stellte ihre Schönheit mehr zur Schau als dass sie sie versteckte. Ihr Kopftuch versteckte nichts und sie zeigte sich gänzlich unbeeindruckt von den Blicken der anderen Kunden.
Manche Frauen sehen das islamische Kopftuch (oder Hijab) nicht mehr als Symbol der Bescheidenheit. Heutzutage unterscheiden sich die verschleierten Frauen in Beirut in nichts mehr von ihren modisch gekleideten Geschlechtsgenossinnen anderswo. Der Hijab dominiert seine Trägerin nicht mehr in der gleichen Weise wie früher, macht aus ihr nicht mehr ein bloßes wandelndes Kleidungsstück.
Viele verschleierte Frauen verhalten sich nicht nur so, sondern tragen heute auch die gleiche Kleidung wie andere Frauen in ihrem Alter: eng anliegende und modische Kleidungsstücke, mit denen sie ihre Körper in Szene setzen; auch Jeans gehören dazu.
Sie achten darauf, dass der Hijab farblich zum Rest ihrer Kleidung passt, ihre Kleidung soll ein Ensemble bilden. Das Kopftuch macht seine Trägerin nicht mehr länger zur modischen Außenseiterin, die sich unter ihrem Schleier zu verstecken und ihren Körper züchtig zu verhüllen hat.
Mode mit Schleier
Schönheit und Schleier schließen sich nicht länger aus. Die verschleierte junge Frau im Süßwarengeschäft verteilte Werbung für ihr eigenes Geschäft, das sie kürzlich in Mar Ilias eröffnet hatte. Sie gab die Zettel nur Frauen, denn schließlich war es auch ein Geschäft für Frauen.
Eine verschleierte Frau, die einen Schönheitssalon eröffnet? Eine seltsame Vorstellung und doch auch wunderbar: So lange haben diese Frauen die Macht ihrer Körper verleugnen müssen.
Sie verleihen dem Kopftuch eine neue Bedeutung. Wir sehen sie an der Al-Rausha Corniche, in den Straßen, in Boutiquen und an den Universitäten. Sie sitzen nicht mehr länger in stillen Gruppen, abseits von der Menge.
Das verhüllte Mädchen an der American University scheint freier, offener und leichtherziger als ihre unverschleierten Freundinnen. Das Kopftuch ist für sie nur mehr ein oberflächliches Detail ohne Bedeutung für ihren eigentlichen Lebensstil.
Salwa ist eine Journalistin, die an der American University von Beirut studiert. Ihre Kleidung passt nicht zu ihrem Kopftuch, oder besser gesagt, ist sie so verschieden von der Kleidung, die wir normalerweise an verhüllten Frauen erwarten würden.
Salwa trägt ihr Kopftuch auf eine neue Weise: Sie bedeckt ihre Haare mit dem Stoff (wir erkennen, dass sie lange Haare hat, ohne dass wir sie sehen), verknotet es hinten und lässt dabei ihren Hals und ihr Gesicht gänzlich unbedeckt.
Freiheitsraum Campus
Wie viele ihrer Kommilitonen spricht sie Englisch mit einem amerikanischen Akzent. Es unterscheidet sie nichts von ihren westlichen Geschlechtsgenossinnen: Sie trägt modische, eng anliegende Kleidung, die sie aus Modemagazinen kennt und in Boutiquen gekauft hat, die sich an einen westlichen Geschmack richten.
Viele dieser jungen Frauen an der Universität haben einen Freund und gehen mit ihm Händchen haltend über den Campus. Manche der Studentinnen finden sich auch im "Liebeshof", wie sie es nennen, eine Stelle auf dem Universitätsgelände, wo sie sich verliebte Blicke zuwerfen, leidenschaftliche Liebeserklärungen und Küsse austauschen können.
Sie tragen Ringe in ihren Nasen und Lippen und bringen mich dazu, mich zu fragen, was eigentlich noch der Sinn ihres Kopftuchs ist oder warum sie es überhaupt tragen.
Sind es einfach ganz normale junge Frauen, die, würde man ihnen die Wahl lassen, viel lieber gewöhnliche modische Kleidung tragen würden als islamische Kleidung und Kopftücher? Ist es der Druck von der Gesellschaft oder ihren Familien, die sie dazu bringt, ein Kopftuch zu tragen? Oder glauben sie an die Bedeutung des Kopftuchs und seine eigene Schönheit?
Antworten auf diese Fragen sind schwer zu bekommen, doch eines steht fest: Diese Frauen erleben in der Universität eine Freiheit, die sie außerhalb des Campus nicht erfahren.
Fusion aus Tradition und Mode
Auf einem unserer Satellitenkanäle läuft eine Fernsehshow, bei der Frauen anrufen können, um einen schicken aba'a (mantelartiger Überwurf) zu gewinnen, der von einem Modedesigner entworfen wurde, der sich auf islamische Kleidung spezialisiert hat. Dies ist ein neues Phänomen.
Vor einigen Jahren war das Aussehen religiöser Kleidung noch eigen und unveränderlich. Heute werden diese Kleidungsstücke von verschiedenen Designern gestaltet und die Mannigfaltigkeit der Farben und Designs spiegelt individuelle Geschmäcker und Stile wider.
Frömmigkeit und Vergnügen gehen heute Hand in Hand. Auf den Straßen und öffentlichen Plätzen haben verschleierte Frauen den Sinn des Kopftuch verändert: Aus einem Symbol der Unterdrückung und des Stillstands ist eines der Freiheit und Modernität geworden.
Das Festhalten an einem strengeren Verständnis der islamischen Traditionen, die die Frauen dazu zwangen, sich und ihre Körper zu verstecken, lässt nach.
Die Bestimmungen, die die Frauen dazu brachten, ihre Schönheit nur für sich selbst und ihren Mann zu behalten, werden immer weniger beachtet. Die verschleierten Frauen, die heute auf Postern und in Fernsehwerbesports zu sehen sind, sind die gleichen blauäugigen, schmollmündigen Blondinen, die wir aus Anzeigen für Jeans und Schokolade kennen.
Die Geschäfte, die islamische Kleidung für Frauen verkaufen, haben den Stil des Hijab und die Art, wie er getragen wird, verändert und ihnen modernen Gewohnheiten angepasst. Die Schönheit, die das Kopftuch bisher verbergen sollte, wird nun umso mehr hervorgehoben.
Die verschleierte Frau hat sich von restriktiven Traditionen für sich und ihre Schönheit befreit, ohne dadurch ihre Religion als solche zu verleugnen.
Firas Zbib
© Babelmed 2006
Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol
Qantara.de
Dossier: Der Streit ums Kopftuch
Die Kontroverse über das Tragen des Kopftuchs ist nicht nur in Deutschland allgegenwärtig. Auch in den Nachbarstaaten und in der islamischen Welt erhitzt das Thema zunehmend die Gemüter. Wir beleuchten die Aspekte, Hintergründe und gesellschaftlichen Realitäten der Kopftuchdebatte.