Assad gegen Makhlouf
Das offen zutage getretene Zerwürfnis zwischen dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und Rami Makhlouf, der mit seinen dubiosen Geschäften ein beträchtliches Segment der syrischen Wirtschaft kontrolliert, lässt den Ernst der Krise erahnen, die das syrische Regime derzeit durchläuft. Und es zeigt auf, was für ein exzessives Ausmaß die Korruption innerhalb des Regimes angenommen hat.
Die Zerfallserscheinungen, die Militär und Sicherheitsapparat ebenso wie das Wirtschaftsleben schon längst erfasst haben, beginnen nun auch auf den alles beherrschenden Familienclan durchzuschlagen. Das lässt – vor dem Hintergrund der militärischen und politischen Präsenz Russlands und Irans sowie der seit Wochen lauter werdenden Kritik der russischen Medien am Vorgehen Assads – noch einige Überraschungen erwarten.
Ein Machtkampf mafiöser Akteure um ökonomische Ressourcen und politische Vorherrschaft, dazu die gewaltige Zahl von Opfern unter der syrischen Bevölkerung seit 2011: Das werden prägende Ingredienzen des kommenden Szenarios sein.
Politik der verbrannten Erde – ein Rückblick
Zunächst stellt sich allerdings die Frage, wie Syrien in diese trostlose Situation geraten konnte. Blicken wir also zurück: Die Revolution von 2011 radikalisierte sich erst aufgrund der auf Repression und militärischer Gewalt basierenden Strategie des Assad-Regimes zur Niederschlagung der in ihren ersten Monaten friedlichen Revolution.
Es besteht kein Zweifel, dass die militärische Reaktion auf die Aufstände und die Eliminierung des zivilgesellschaftlichen und volksnahen Charakters der syrischen Revolution in den Jahren 2011 und 2012 zu einer Spaltung der Freien Syrischen Armee und zur Entstehung all der verschiedenen Milizen geführt hat.
Doch das Regime setzte lieber auf eine Politik der verbrannten Erde als auf eine Beschneidung der Machtbefugnisse des syrischen Präsidenten, oder auch nur ein Mindestmaß an politischen Reformen für gesellschaftliche Partizipation und Rechenschaftspflicht der Regierenden.
Das mag für Diktaturen nichts Ungewöhnliches sein. Und doch macht es einen gewaltigen Unterschied, ob ein Regime zu der Einsicht gelangt, dass die Zeichen auf Umbruch stehen (so wie in einigen arabischen Ländern, wo es immerhin zu einem Präsidentenwechsel kam), oder ob ein Regime bis zum letzten Atemzug an dem Mann an der Spitze festhält, ohne sich auch nur im Mindesten um den Preis dieses Festhaltens zu scheren.
Im Schlepptau externer Mächte
In der Hoffnung, eine politische Lösung und Reformen umschiffen zu können, holte sich das syrische Regime zunächst die Hisbollah aus dem Libanon zu Hilfe, danach Milizen der iranischen Regierung.
Als es aber dem Regime auch dann nicht gelang, gegenüber der Schlagkraft der Aufständischen die Initiative zurückzuerlangen, rief es Russland und dessen Kampfflieger und Militärbasen auf den Plan. Im September 2015 schloss sich Russland mit vollem Einsatz der Niederschlagung der Revolution an, zu einem Zeitpunkt, als diese kurz davor stand, eine entscheidende Wende im Kräfteverhältnis gegenüber dem Regime herbeizuführen.
Das Resultat all dessen waren Millionen von vertriebenen und Hunderttausende von getöteten Syrerinnen und Syrern. Das Regime begab sich immer mehr in die Geiselhaft Irans und Russlands. Mittlerweile ist mit der Türkei im Norden ein weiterer Player im syrischen Spiel hinzugekommen.
Die vom syrischen Regime betriebene fanatische, auf puren Machterhalt ausgerichtete Politik hat dem Präsidenten und seiner Regierung das letzte bisschen Ansehen und Souveränität geraubt. Die blutige Therapie, die Baschar al-Assad zur Behandlung der 2011 begonnenen Revolution gewählt hat, erwies sich als hundertmal schlimmer als es sich Aufständische und Aktivisten in Gesprächen zu Beginn der Revolution hatten ausmalen können.
Der Nährboden des Extremismus
Eines der Produkte der gewaltsamen Niederschlagung der Revolution sowie des herrschenden Chaos war die Terrororganisation "Islamischer Staat". Jenes Chaos hätten sich der IS und andere niemals zunutze machen können, wenn sich das Regime von Anfang an um eine politische Verständigung mit den Aufständischen bemüht hätte. Das Regime hatte die Ereignisse und die tief sitzende Wut in der syrischen Bevölkerung völlig falsch eingeschätzt. Dies sollte schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Folge haben.
Das monströse Ausmaß an Mord und Vernichtung, das an der syrischen Bevölkerung verübt wurde und wird, hat zahlreiche Bemühungen auf den Plan gerufen, Strafverfolgungsmaßnahmen gegen das Regime einzuleiten. So haben etwa in Deutschland vor einigen Wochen Gerichtsprozesse gegen syrische Geheimdienstleute begonnen, die im Auftrag des Regimes Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben sollen.
Endlich haben Opfer die Gelegenheit, als Zeugen gegen ihre Peiniger auszusagen, denen Folter, Mord und Gefangenenexekutionen zur Last gelegt werden. Die Anklageschrift macht deutlich, dass solche Taten Teil einer systematischen Politik gegen Aktivisten und gewaltlose Freiheitskämpfer waren. Mit den Gerichtsverfahren sollen auch diejenigen belangt werden, die Exekutionen, Morde, Folter und Entführungen angeordnet haben.
Prozesse auch in anderen Staaten
Ferner besteht die Aussicht, dass die Gerichtsverfahren und Anklagen weitere Prozesse nach sich ziehen. Beispielsweise hat in einigen europäischen Ländern wie den Niederlanden eine Aufarbeitung zehntausender Fälle von verschwunden gelassenen und in die Gefängnisse des Regimes verschleppten Personen begonnen. Dem Regime wird es nicht gelingen, sich vor Millionen von Syrerinnen und Syrern in aller Welt zu verstecken.
Der Ausbruch der Revolution erfolgte zu einem Zeitpunkt, als das syrische Volk genug hatte von der Repressionspolitik des Regimes, von seiner Missachtung der Würde und Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger, von der Perspektivlosigkeit seiner Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Das Regime hatte Syrien im internationalen Vergleich auch wirtschaftlich zu einem Schlusslicht gemacht, nachdem es das Land an eine kleine einflussreiche Elite verhökert hatte.
Während sich das Regime unter Präsident Hafiz al-Assad die finanziellen Zuwendungen immerhin noch mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen geteilt hatte, war dies unter seinem Sohn Baschar al-Assad vorbei: Korruption und partikulare Interessen nahmen zu und führten mehr und mehr zu einer Vernachlässigung der unteren und mittleren Schichten. 2011 erhob sich die Bevölkerung Syriens wie die anderer arabischer Länder und forderte ein menschenwürdiges Leben, ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit.
Ein gigantisches Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Dabei merkte das Regime gar nicht, dass die von ihm ausgeübte Repression sowie der Krieg, den es gegen Teile der syrischen Gesellschaft führte, zur Zerstörung des alten politischen Systems beitrugen. Ja, dass seine Propaganda, es werde in jenem Krieg den Sieg davontragen, ein Phantasieprodukt war.
Denn wie kann man von einem Sieg sprechen, während man die Bevölkerung Syriens vertreibt, die eigene Wirtschaft, die Dörfer und Städte zerstört, sowie Hunderttausende Töchter und Söhne umbringt?
Nach dem Massaker von Hama im Jahr 1982 war es dem Regime noch gelungen, die Gräben wieder zu schließen. Das, was in den Jahren seit 2011 geschehen ist, hat völlig andere Dimensionen. Ganz Syrien ist zu einem gigantischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geworden.
Die Fähigkeit des Regimes, für einen Ausgleich mit der Bevölkerung wie auch innerhalb der Herrschaftselite zu sorgen, hat unter der Präsidentschaft von Baschar al-Assad nachgelassen. Dieser hat sein moralisches und politisches Kapital seit Beginn des Aufstands völlig verspielt.
Kein Zweifel: Die Tatsache, dass Groß- und Regionalmächte nun über das Schicksal Syriens bestimmen, ist die natürliche Folge der Zerstörung Syriens und seiner gesellschaftlichen Strukturen seitens der Herrschenden und ihres Sicherheitsapparats.
Die kommenden Ereignisse werden noch einiges an Überraschungen bereithalten. Für Syrien war die Revolution von 2011 gleichsam ein geschichtlicher Neubeginn. Und die Fähigkeit der Syrerinnen und Syrer, sich ihre Würde zurück zu erkämpfen, wird auch in nächster Zeit auf eine harte Probe gestellt werden.
Shafeeq Ghabra
© Qantara.de 2020
Übersetzt aus dem Arabischen von Rafael Sanchez
Shafeeq Ghabra ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kuwait. Der bekannte Publizist schreibt für führende arabische Tageszeitungen.