Das Ende der Toleranz
Seit einigen Jahren bemühen sich die Golfstaaten durch eine aufwendige Re-Branding-Kampagne darum, sich als Standort für Kultur, Kunst und Wissenschaft zu festigen. Führende internationale Universitäten wie die New York University und Paris IV (Sorbonne) haben in Abu Dhabi Dependancen eröffnet, renommierte Museen wie der Louvre und das Guggenheim planen Zweigstellen vor Ort.
Die Kunstmesse Art Dubai hat sich zu einem Anziehungspunkt für Künstler, Galleristen und Branchenexperten nicht nur aus der Region, sondern auch aus Europa, den USA, Südasien und Australien entwickelt. Das Emirat von Sharjah präsentiert alle zwei Jahre eine Kunst-Biennale von internationalem Rang. Das alles passt in das Bild eines offenen Klimas für internationalen kulturellen Austausch auf hohem Niveau.
Allerdings zeigt diese Fassade jetzt Risse und man muss sich fragen, ob sich in autoritären, konservativen Staaten wie den Emiraten derartige Freiräume für unabhängiges Denken und Kunst überhaupt schaffen lassen.
Ausbeutung und Hochkultur
Anfang März initiierten zwei bekannte arabische Künstler, die Palästinenserin Emily Jacir und der Libanese Walid Raad eine Online-Petition, um gegen die miserablen Arbeitsbedingungen beim Bau des Guggenheim-Museums zu protestieren.
Nach einem Bericht der NGO Human Rights Watch würden diese mit Hungerlöhnen bezahlt und müssten oft bis zu 12 Stunden täglich in Temperaturen von 38 Grad körperliche Schwerstarbeit verrichten. Außerdem würden und ihre Pässe sowie die in der Regel exorbitanten Anwerbegebühren vom Arbeitgeber einbehalten, so das die Tätigkeit Merkmale von Zwangsarbeit aufweise.
Die Petition wurde von einer Reihe internationaler Künstler und Kuratoren unterschrieben, die damit drohten, das Museum in Zukunft zu boykottieren, falls sich nichts an den Verhältnissen ändere.
Zensur für Kunst und Wissenschaft
Am 10. April wurde der Wirtschaftsexperte Dr. Nasser bin Ghaith, Dozent für Internationale Ökonomie an der Sorbonne in Abu Dhabi festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht, ohne dass eine öffentliche Erklärung zu den Gründen seiner Festnahme folgte. Bin Ghaith hatte sich mehrfach für politische Reformen, unter anderem auch für freie Wahlen ausgesprochen.
Aufsehen erregte des Weiteren die Entlassung des Direktors der Sharjah Biennale, Jack Persekian, am 6. April, auf direkter Veranlassung des Herrschers von Sharjah, Sheikh Sultan Bin Mohammad Al Qassimi. Persekian war seit 2005 Leiter dieses Events, das sich unter seiner Leitung zu einem der Höhepunkte der Kunstszene in der Region entwickelt und viele internationale Künstler und Besucher angezogen hat.
Die Entlassung des Direktors wurde damit begründet, dass eines der von ihm ausgestellten Werke für öffentliche Empörung gesorgt hätte. Das betreffende Kunstwerk des algerischen Künstlers und Autors Mustapha Benfodil wurde anschließend aus der Ausstellung entfernt.
Eine Gruppe internationaler Künstler, Autoren und Kuratoren verfassten Stellungnahmen und organisierten eine Online-Petition, in der sie gegen die Art der Entlassung von Persekian sowie die fehlende Transparenz des Vorgangs kritisierten. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass solche Ereignisse den Ruf Sharjahs beschädigen würden, weil damit der Welt gezeigt würde, dass freies künstlerisches Arbeiten in diesem Emirat nicht möglich sei.
Freie Kunst in unfreiem Umfeld?
Angesichts der Ereignisse mag sich darüber wundern, dass dieses Experiment eines freien, kritischen Kunst-Events in einem so konservativen, autoritär geführten Staat wie Sharjah überhaupt so lange gut gegangen ist. Doch möglicherweise haben Künstler und Kuratoren bisher auch im Stillen Selbst-Zensur geübt, um in diesem Umfeld überhaupt arbeiten zu können.
Die Äußerungen von Jack Persekian sind in diesem Zusammenhang vielsagend und reichen von anfänglicher Überraschung über Selbstkritik. Er hätte die ausgestellten Arbeiten "nicht gründlich genug geprüft hätte", wie er sagt. Sogar von den vielen Solidaritätsbekundungen und der genannten Petition distanzierte sich Persekian. Mit keinem Wort verteidigte der Ex-Direktor die Arbeit des zensierten Künstlers oder sein Recht auf künstlerische Freiheit.
Persekian war offensichtlich mit sich selbst unzufrieden, weil er in seiner Selbst-Zensur nicht gründlich genug gewesen ist. Um die Stellung freier Kunst in den Emiraten ist er offensichtlich nicht besorgt.
Missbrauch der Kunst
So hat denn auch der betroffene Künstler Mustapha Benfodil, dessen Arbeit "Maportaliche/It Has No Importance" Anlass der Kontroverse war, sich verständlicherweise enttäuscht über die fehlende Solidarität seitens des Biennale-Direktors geäußert.
Die Installation bezieht sich auf die religiösen Rechtfertigungen der islamistischen GIA (Groupe Islamique Armée) für ihre Gräueltaten während der 1990er Jahre. Das Kunstwerk zitiert einen Monolog aus einer literarischen Arbeit Benfodils, in dem eine junge Frau im Delirium von ihrer Vergewaltigung durch Islamisten erzählt. Die Sprache ist roh, aber sie spiegelt die Realität der Grausamkeiten, von der das Kunstwerk handelt.
Die Zensur des Kunstwerkes ist ein Skandal, und sie wirft die Frage auf, ob sich überhaupt künstlerische Freiheit mit autoritären Regimen vereinen lässt. Zeitgenössische Kunst ist mitunter unbequem und provokant. In einem Klima aber, in der sich Künstler und Kulturschaffende zur Selbstzensur verpflichtet fühlen, kann keine Kunst gedeihen.
Kunst eignet sich nicht für bloße Image-Pflege oder zur Förderung von Luxus-Tourismus. Hierin besteht vielleicht das größte Missverständnis der Herrscher am Golf.
Charlotte Bank
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de