Zeitgenössische Kunst trifft auf frühislamische Hochkultur
Im Mschatta-Saal des Museums für Islamische Kunst in Berlin ist seit 1. Dezember 2021 eine markante Rauminstallation des deutsch-syrischen Künstlers Ali Kaaf zu sehen. Aus der Perspektive des zeitgenössischen Künstlers bezieht sich Kaaf mit seiner Intervention in Form eines symbolhaften Dreiecks auf die wechselvolle Geschichte des Bauwerks, bevor die Mschatta-Fassade im Frühjahr 2022 abgebaut, restauriert und im sanierten Pergamonmuseum ab 2026 neu präsentiert werden wird.
Woher stammt der Titel "Ich bin Fremder. Zweifach Fremder“ und wie verweist er auf deine Installation und die Mschatta-Fassade?
Ali Kaaf: Der Titel stammt aus einem Gedicht des Philosophen und Dichters Abū Hayyān al-Tawhīdī, der im 10. Jahrhundert in Bagdad wirkte. Die Fremde meint in seiner Denkweise und in der damaligen Zeit zunächst eine selbstgewählte Absonderung von der Gemeinschaft zur Erlangung kontemplativer Ruhe. In der Doppelung verweist Fremde auf die Entfernung vom Selbst zur geistigen Vereinigung mit der Welt nach Vorstellung der Gnostiker und islamischen Sufisten.
Die Mschatta-Fassade ist für mich wie ein Spiegel meines eigenen Schicksals aus Wanderung und Ankommen in einer neuen Kultur, wobei das Ankommen nie endgültig ist.
Wie kam es zur Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin?
Ali Kaaf: Mit Herrn Dr. Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst, hatte ich während seines Besuchs in meinem Atelier ein intensives Gespräch über den Einfluss der byzantinischen auf die frühislamische Kunst. Wir sprachen in diesem Zusammenhang auch über die im Pergamonmuseum ausgestellte Mschatta-Fassade als ein herausragendes Beispiel dieser Hybridität. Daraus entwickelte sich nach und nach die Idee für meine Intervention. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Mschatta-Fassade im Frühjahr 2022 abgebaut wird, um 2026 im dann sanierten Pergamonmuseum in einem anderen Saal wieder aufgebaut zu werden.
Was für ein Ort ist das Pergamonmuseum für dich? Was bedeutet die Sammlung für Islamische Kunst der staatlichen Museen zu Berlin für dich und deine Arbeit?
Ali Kaaf: Ich wohne seit mehr als 20 Jahren in Berlin. In dieser Zeit ist das Pergamonmuseum für mich zu einem Ort geworden, den ich regelmäßig besuche – nicht nur wegen der bedeutenden und beeindruckenden Objekte, die es präsentiert, sondern auch wegen des einzigartigen Museumskonzepts, nämlich der Präsentation von Räumen im Raum.
Woran denkst du und was fühlst du, wenn du die Mschatta-Fassade betrachtest?
Ali Kaaf: Sie weckt Kindheitserinnerungen in mir. Ich bin in Damaskus aufgewachsen, war mit meiner Familie aber oft in Süd-Syrien, einem Gebiet mit vielen Ruinen sowie römischen und byzantinischen Städten verschiedener Größe. Im Rückblick sehe ich uns Kinder, wie wir in der Nähe dieser Ruinen spielten. Sie waren für mich Teil der Natur und des Lebens dort. Ursprünglich befand sich die Mschatta-Fassade kaum 200 Kilometer von diesen Orten entfernt. Als ich sie zum ersten Mal im Berliner Museum abgekapselt in einem Raum erlebte, erschien mir die Fassade ihrer Umgebung entfremdet.
Andererseits fasziniert mich genau dieses Gefühl: Ein monumentales Architekturobjekt, das selbst einmal einen Raum umschlossen hat, heute in einem Raum zu betrachten.
Wie greifst du diese Aspekte in deiner Installation auf – in Bezug auf Raum, Position und Form?
Ali Kaaf: Es gibt eine zweite Ebene, die das Prinzip des "pars pro toto“ betrifft. So riesig die Fassade beim Betreten des Museumsraums auch erscheint, einst war sie Teil eines sehr viel größeren Bauwerks in Jordanien. Vor dem Inneren entwickelt sich eine Art Puzzle aus Kenntnissen, Ideen und Fragen der Wahrnehmung. Aus der Schmuckfassade greife ich das Dreieck als wesentliches und symbolbehaftetes Element heraus, um es metaphorisch als "Spitze des Eisbergs“ davorzustellen.
Entscheidend ist zudem meine Beschäftigung mit dem Raum im Raum. Die Mschatta-Fassade, die als solche in einen neuen Kontext gestellt wurde, erfährt durch meine Installation eine erweiterte Raumwahrnehmung. Das vor der Fassade positionierte Dreieck wird zu einem Tor, das Vergangenheit und Gegenwart sowie die frühislamische Kultur mit der christlichen verbindet. Durch die filigran bearbeitete Vorderseite meines Werks entsteht in der Durchsicht eine neue Perspektive des Raums, inspiriert von der sensiblen Trennung des Innen und Außen anhand der in der islamischen Kultur präsenten Fenstergitter. Mit den Durch- und Einblicken auf die monumentale Mschatta-Fassade versuche ich ein Spannungsfeld aufzubauen, das einen Raum der Ambivalenzen im Dazwischen erschafft, zwischen Fassade und Intervention, Historie und Gegenwart, Bekanntem und Fremdem, Sichtbarem und Unsichtbarem.
Wo siehst du konkret eine Verwandtschaft zwischen deiner Arbeit "Ich bin Fremder. Zweifach Fremder“ von 2021 und der aus dem 8. Jahrhundert stammenden Mschatta-Fassade?
Ali Kaaf: Im Fragmenthaften – der Entwurzelung, der Wanderung und dem Wechsel der kulturellen Umgebung. Meine Installation ist eine Verkörperung der damit verbundenen Fragen. Denn ich beschäftige mich künstlerisch mit einem Fragment. Mein Kunstwerk ist Teil und Ausgangspunkt eines umfassenden Kunstwerks, das seine Inspiration aus der Fassade selbst nimmt, die auch Teil eines Ganzen ist.
Wie unterscheidet sich "Ich bin Fremder. Zweifach Fremder“ von deinen früheren Arbeiten?
Ali Kaaf: Ein Unterschied liegt in der körperlichen Erfahrung der Installation im Raum mit dem Bezug zu einem schon bestehenden Objekt. Eine besondere künstlerische Verbindung besteht zu meinen Skulpturen und der Reihe von Fotocollagen unter dem Titel "Die byzantinische Ecke“, mit denen ich mich in den letzten Jahren intensiv beschäftigt habe. In diesen Arbeiten versuche ich die zeichnerische Ebene und die fotografische Ebene als Raum und Zeichnung zu verkörpern. Die radikalen Schnitte waren für mich notwendig, um einen magischen Raum zu schaffen. Mit dieser Installation konnte ich diese Erfahrungen in einer neuen Größenordnung räumlich ausprobieren, die eine intensive Arbeit mit Modellen und Projektionen erforderte, um die richtige Raumvorstellung zu gewinnen.
Magdalena Heinrich von "ARTPRESS — Ute Weingarten“ sprach mit Ali Kaaf über seine Installation
© ARTPRESS — Ute Weingarten 2022
Der syrisch-deutsche, in Algerien geborene Künstler lebt und arbeitet in Berlin. Zunächst absolvierte er ein Studium der Bildenden Kunst am Institut des Beaux-Arts in Beirut und setzte später sein Studium an der Universität der Künste Berlin (UdK) unter Leitung von Rebecca Horn und Marwan Kassab Bachi fort. Seine Arbeiten bewegen sich spielerisch zwischen arabischen und europäischen Bildtraditionen. Durch zahlreiche Ausstellungen und Residencies finden sich seine Werke in internationalen Sammlungen wieder. 2020 war Kaaf Stipendiat des Programms AArtist in Residence des Auswärtigen Amts.
Weiterführende Links:
Ali Kaaf online: https://alikaaf.com/
Infos zur Ausstellung: https://www.smb.museum/en/exhibitions/detail/goodbye-mshatta/
Kaaf im Interview bei radio eins: https://www.radioeins.de/programm/sendungen/mofr1921/_/ali-kaaf.html
Im März 2022 erscheint ein umfangreicher Katalog im Hatje Cantz Verlag: https://www.hatjecantz.de/ali-kaaf-8054-0.html