Zementierung der Ungleichheit

A man pushes his bicycle along a sandy path. In the background a green wall, several people walking and clothes being hung up to dry.
Der Alltag zieht wieder ein in Khartum, Juli 2025. (Photo: picture alliance / Xinhua News Agency | M. Khidir)

Sudans De-facto-Regierung will der Hauptstadt Khartum neues Leben einhauchen. Doch die Wiederaufbaupläne folgen einem bekannten Muster: Das Zentrum wird gestärkt, die kriegsgeplagte Peripherie weiter marginalisiert.

Von Mahitab Mahgoub

Im vergangenen Mai verkündeten die sudanesischen Streitkräfte (SAF), sie hätten – nach mehr als zwei Jahren des Konflikts – die Hauptstadt Khartum zurückerobert und vollständig von den Rapid Support Forces (RSF) befreit. Der Sieg war von symbolischer und strategischer Bedeutung.  

Symbolisch steht die Rückeroberung des Präsidentenpalasts, des Hauptsitzes der Armee und anderer Regierungsinstitutionen für die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität. Strategisch betrachtet war sie ein wichtiger Wendepunkt, der die Machtverhältnisse in dem Land verschoben hat: Die SAF haben wieder die Oberhand gewonnen.   

Aus Khartum abziehen zu müssen, war ein schwerer Schlag für die RSF, die die Hauptstadt zu Beginn des Krieges gerade wegen ihrer symbolischen und strategischen Bedeutung eingenommen hatten. Der Verlust der Hauptstadt schwächte sowohl den politischen Einfluss als auch die militärische Position der RSF.   

Und doch war die Rückeroberung Khartums keinesfalls der Anfang vom Ende des Krieges. Im Gegenteil: Die RSF haben es seitdem geschafft, ihre Kontrolle über einen Großteil der sudanesischen Regionen Darfur und Kordofan zu festigen, und haben vor kurzem eine Parallelregierung gebildet.  

Nachdem die SAF die Hauptstadt wieder eingenommen hatten, erklärte die De-facto-Regierung des Sudan die Wiederherstellung der Normalität in Khartum zu ihrer Priorität. Und tatsächlich unternahm sie einiges, um die Stadt wieder aufzubauen und öffentliche Dienstleistungen wieder verfügbar zu machen. Die Maßnahmen wurden von vielen Seiten begrüßt, besonders von den vielen Vertriebenen, die es absolut verdienen, ihre Stadt zurückzubekommen.   

Dass sich die Regierung mit dem Wiederaufbau zunächst auf die Hauptstadt konzentriert, ist einerseits nachvollziehbar und wenig überraschend, zumal Khartum zu den am stärksten vom Konflikt betroffenen Gebieten gehört. Andererseits ist genau das Teil des Problems im Sudan.  

Seit langem wird Khartum im Vergleich zum Rest des Landes bevorteilt, wenn es um Ressourcen und politische Macht geht, obwohl die Hauptstadt der flächenmäßig kleinste Bundesstaat ist und auch nur etwa ein Fünftel der Bevölkerung dort lebt. Die überwiegende Mehrheit der Sudanes:innen wohnt außerhalb der Hauptstadt, in Regionen, die jahrzehntelange politische und wirtschaftliche Marginalisierung und Konflikte erlebt haben. 

Dass Khartum beim Wiederaufbau gegenüber anderen Bundesstaaten und Städten priorisiert wird, birgt die Gefahr, genau die Disparitäten zu reproduzieren, die die Kriege im Sudan seit jeher angeheizt haben. Dieser zentralen Herausforderung scheint sich die De-facto-Regierung nicht bewusst zu sein.  

Normalität wiederherstellen?

Am 12. Juli erließ General Abdel Fattah al-Burhan, Anführer der SAF und De-facto-Staatschef, eine Direktive zur Gründung des „Höheren Ausschusses für die Vorbereitung der Rückkehr der Bürger:innen von Khartum“. Der Ausschuss wird geleitet von Generalleutnant Ibrahim Jaber, der ebenfalls Mitglied des Souveränitätsrats ist. 

Jaber erhielt ein weitreichendes Mandat, das die Wiederherstellung der Sicherheit, die Wiederaufnahme von Dienstleistungen, den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Rückkehr der Regierungsinstitutionen umfasst. 

Das Vorhaben ist, gelinde gesagt, gewaltig. Als eines der Hauptschlachtfelder des Krieges ist Khartum heute kaum wiederzuerkennen. Die Bilder, die seit der Rückeroberung Khartums zirkulieren, zeigen ein erschütterndes Ausmaß der Zerstörung der Infrastruktur, Schulen und Krankenhäuser. Alle Stromkraftwerke Khartums und zwölf der 13 Trinkwasseraufbereitungsanlagen wurden zerstört. 

Zudem liegen noch immer zehntausende nicht explodierte Bomben in der Hauptstadt verstreut und stellen eine Lebensgefahr dar. Die UN schätzen, dass allein die Wiederinstandsetzung der grundlegenden Infrastruktur der Hauptstadt 350 Millionen US-Dollar und ihr vollständiger Wiederaufbau mehrere Milliarden US-Dollar kosten wird. 

Trotz dieser düsteren Lage erklärte Premierminister Kamil Idris, Khartum werde „innerhalb von sechs bis neun Monaten wieder vollständig instandgesetzt“ sein. Kurz nach seinem Amtsantritt ordnete er an, dass alle Ministerien und Regierungsinstitutionen in die Hauptstadt zurückkehren. Auch Universitäten und Polizeistationen sollten wieder eröffnen und die Reparatur der Brücken innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden.  

Der Höhere Ausschuss versprach zudem, die Stromversorgung der Trinkwasseraufbereitungsanlagen und Krankenhäuser bis vergangenen August wiederherzustellen, und die Zentralbank sagte die nötigen Devisen zu – ein ehrgeiziger Zeitplan, der nicht eingehalten wurde. 

Unterdessen haben sowohl Idris als auch al-Burhan die Bürger:innen aufgefordert, nach Khartum zurückzukehren. Das Leben sei wieder normal und die Menschen sollten beim Wiederaufbau helfen.  

Mehr als 1,3 Millionen Sudanes:innen sind tatsächlich bereits zurückgekehrt, darunter auch Beamte, die durch Ultimaten gezwungen wurden, entweder ihre Arbeit in Khartum wieder aufzunehmen oder entlassen zu werden. Am 26. August hielt schließlich das kürzlich von Idris gebildete Kabinett seine erste Sitzung in der Hauptstadt ab. 

Fixiert auf Khartum

Am 12. September sprach Premierminister Idris in einem Interview über den Wiederaufbau, wobei er ausschließlich auf Khartum einging. Auf die Frage, warum er mehr Wert auf die Rückkehr nach Khartum lege, als darauf, Frieden zu schaffen, antwortete er: 

„Khartum verkörpert die staatliche Würde; es ist die nationale Hauptstadt und ein Symbol der Nation. Nach Khartum zurückzukehren, seine Symbolkraft und seine Bedeutung als Hauptstadt wiederherzustellen, ist nicht verhandelbar… Wir arbeiten rund um die Uhr daran, die Dienstleistungen instand zu setzen: Strom, Wasser, Abwassernetze sowie die Sicherheit und Lebensgrundlagen der Bürger:innen sind alles Prioritäten.“  

Die Regierung sei trotz des jüngsten Drohnenangriffs der RSF auf Khartum entschlossen, in die Hauptstadt zurückzukehren. Auch der internationale Flughafen der Stadt werde innerhalb weniger Tage wieder voll funktionsfähig sein, so Idris. 

Nach der als „katastrophal“ beschriebenen Situation in den anderen SAF-kontrollierten Bundesstaaten gefragt, gab der Premierminister jedoch zu, dass die Regierung dort nicht dieselbe Präsenz zeige, und machte weitgehend die internationale Gemeinschaft für die Versäumnisse bei der Bewältigung der humanitären Krise verantwortlich. Dies verdeutlichte das überproportionale Engagement der Regierung in Khartum, während sie sich vom Rest des Landes distanziert. 

Zwar gelobt die Regierung gelegentlich, auch den Wiederaufbau außerhalb Khartums voranzutreiben: So besuchte der Minister für Stadtentwicklung, Straßen und Brücken kürzlich den Bundesstaat Sinnar und versprach, Straßen sowie andere Infrastruktur zu reparieren, und Idris besichtigte das Al-Gezira-Projekt, dessen Wiederaufnahme er zusagte. Das tatsächliche Engagement ist jedoch begrenzt und wird oft durch die Flut an Nachrichten über den Wiederaufbau Khartums überschattet.  

Ironischerweise waren kürzlich die Gouverneure der Bundesstaaten in der Hauptstadt zu Gast, wo sie ihre Unterstützung für den Höheren Ausschuss und den Wiederaufbau Khartums bekräftigten – während ihre eigenen Bundesstaaten mit dem Wiederaufbau kämpfen und vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erhalten. 

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Währenddessen ändert sich die Lage in Khartum tatsächlich. Allmählich öffnen Märkte, Verkehrsverbindungen werden wieder in Betrieb genommen und die Wirtschaft läuft an. Allein im letzten Monat wohnte der Vorsitzende des Höheren Ausschusses der Wiedereröffnung einer Raffinerie, mehrerer Mehlfabriken und der Fleischverarbeitungsanlage AlKadaro bei. Letztere ist ein SAF-eigenes Konglomerat, das aktuell unter US- und EU-Sanktionen steht.  

Die Regierung hat darüber hinaus mit dem Wiederaufbau von Krankenhäusern begonnen, wobei die erste Aufbauphase des Soba-Krankenhauses, eines der größten in Khartum, abgeschlossen ist. Auch ist die Räumung und Zerstörung der rund 50.000 nicht explodierten Sprengkörper in Khartum angelaufen. 

Eine Stadt ohne Frauen, Arme und Migrant:innen

Eine nähere Betrachtung des Mandats und der Maßnahmen des Höheren Ausschusses lässt darauf schließen, dass es der Regierung nicht nur darum geht, Khartum so wieder aufzubauen, wie es einmal war, sondern es letztendlich in eine stark militarisierte und von Männern dominierte Stadt zu verwandeln.  

Drei Punkte des Mandats verdeutlichen die Vision der Regierung:  

  • die „ausnahmslose Beseitigung aller informellen Wohngebiete im Bundesstaat Khartum“, 

  • das „Management der ausländischen Bevölkerung durch die Abschiebung von Ausländer:innen ohne Papiere und die Ansiedlung von Menschen mit Aufenthaltserlaubnis außerhalb des Bundesstaats Khartum“, 

  • „alle notwendigen Maßnahmen, um Sicherheit zu garantieren sowie alle negativen Einflüsse aus der Hauptstadt zu entfernen und die Durchsetzung des Rechtsstaats und der Staatsgewalt sicherzustellen“. 

Seit der Rückeroberung Khartums haben bereits groß angelegte Räumungskampagnen informelle Wohngebiete ins Visier genommen, in denen Arme, Migrant:innen und Vertriebene leben. Allein in einem Viertel von Omdurman wurden 806 Häuser zerstört, oft ohne Vorwarnung.  

Generalleutnant Jaber, der Vorsitzende des Höheren Ausschusses, behauptete, die informellen Wohngebiete seien das Epizentrum der RSF-Aufstände gewesen. Auch würden sich dort kriminelle Machenschaften zur Kriegsfinanzierung abspielen – ein Narrativ, das auch vom Direktor der Agentur für Landschutz wiederholt wurde, als er die vom Abriss betroffenen Gebiete auflistete. 

Die Vorwürfe von offizieller Seite kriminalisieren nicht nur die Bewohner:innen informeller Wohngebiete, sondern gehen darüber hinaus so weit, dass Berichten zufolge auch Stadtviertel, die als mit den RSF sympathisierend gelten, vom Abriss bedroht sind – unabhängig davon, ob informell oder nicht.  

Als Folge dieser Kampagne sind öffentliche Anfeindungen gegenüber Bewohner:innen informeller Wohngebiete auf ein gefährliches Maß angestiegen. Oft haben sie einen rassistischen Unterton, da die Bewohner:innen als Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen wahrgenommen werden.  

Ähnliche Kampagnen fuhr die Regierung auch gegenüber Geflüchteten und Migrant:innen aus Äthiopien, Eritrea und dem Südsudan, die sie als „Krebsgeschwür“ bezeichnete und beschuldigte, in illegale Machenschaften verwickelt zu sein und mit den RSF zusammenzuarbeiten.  

Im Mai waren bereits erste Schritte des Abschiebe- und Umsiedlungsplans des Höheren Ausschusses umgesetzt worden, wobei Geflüchtete in Lager in den Bundesstaaten Weißer Nil, Gedaref und Kassala verlegt wurden.  

Bis Juli mussten schätzungsweise 1.087 Geflüchtete Khartum verlassen und 3.000 Südsudanes:innen und 502 Äthiopier:innen wurden abgeschoben – viele ohne Vorwarnung oder ausreichende Prüfung ihres Aufenthaltsstatus. Darunter waren auch Menschen mit Aufenthaltsdokumenten oder UNHCR-Flüchtlingsausweisen.  

Einige berichteten von willkürlichen Verhaftungen und Geldstrafen von bis zu 609.000 sudanesischen Pfund (rund 170 US-Dollar). Wenn sie diese nicht aufbringen konnten, wurden die Geldstrafen in bis zu sechsmonatige Freiheitsstrafen umgewandelt.  

Die Politik und Rhetorik der Regierung zeigen eine offene Fremdenfeindlichkeit. Migrant:innen und Geflüchtete werden als Sicherheitsrisiken dargestellt statt als Bevölkerungsgruppen, die zwar Schutz benötigen, aber Teil der Stadtgesellschaft Khartums sind. 

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Das Mandat zur „Beseitigung negativer Einflüsse“ wurde außerdem wiederholt gegen informelle Arbeiter:innen und Straßenhändler:innen eingesetzt. Aktuelle Maßnahmen richteten sich gezielt gegen Verkäufer:innen von Lebensmitteln und Getränken, nachdem zuvor der Teeverkauf im öffentlichen Raum verboten worden war – ein Beruf, den traditionell mehrheitlich Frauen ausüben.  

Die Regierung erkannte die gravierenden Konsequenzen dieser Entscheidung für den Lebensunterhalt der Frauen zwar an und versprach, in Khartum Verkaufsstände und Märkte speziell für Frauen auszuweisen.  

Doch die Maßnahmen bleiben auf mehreren Ebenen problematisch: Sie zerstören nicht nur eine wichtige Einnahmequelle für Frauen, sondern zielen auch darauf ab, sie aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen und zu kontrollieren, wo und wie sie arbeiten. 

Indem Frauen in bestimmte Bereiche gesperrt werden, schränkt der Regierungskurs die Mobilität und Sichtbarkeit von Frauen weiter ein und grenzt sie letztendlich aus dem informellen Sektor und dem öffentlichen Leben aus. 

Diese Politik erinnert stark an das Regime Omar al-Bashirs, unterscheidet sich aber in einem Punkt: Die aktuellen Kampagnen stellen die marginalisierten Gruppen systematisch als Unterstützer:innen der RSF dar und erhöhen so das Risiko ihrer Kriminalisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung aus der Öffentlichkeit und der Wirtschaft. 

Keine Lehren gezogen

Wie soll Khartum wiederaufgebaut werden? Für wen und auf wessen Kosten? Das sind die zentralen Fragen, an denen sich unsere Bewertung der Politik und Maßnahmen der De-facto-Regierung in der Hauptstadt orientieren muss. 

Statt das Momentum zu nutzen und die historisch gewachsene ungleiche Entwicklung im Sudan zu beenden, konzentriert die De-facto-Regierung – wie ihre Vorgänger – ihre Energie und Ressourcen auf das Zentrum und selbst dort nur auf ausgewählte Stadtteile, Bevölkerungsgruppen und Verbündete der SAF.  

Aus der Vergangenheit wurden offenbar keine Lehren gezogen. Frühere Konflikte im Sudan, einschließlich jener im Süden und Westen des Landes, sind wegen ebenjener langjährigen sozioökonomischen Missstände aufgrund der ungerechten Ressourcenverteilung eskaliert.  

RSF-Anführer Mohamed Hamdan Dagalo hat selbst bereits versucht, dieses Narrativ zu nutzen, indem er behauptete, der aktuelle Krieg sei ein Versuch, den „Staat von 1956“ zu demontieren – ein Verweis auf die postkoloniale Ordnung, in der Eliten aus dem Zentrum Macht und Reichtum auf Kosten der Peripherie angehäuft haben.  

Dass sich die Regierung nun erneut auf Khartum konzentriert, deutet auf eine Fortführung dieses Musters hin, mit neuen und noch gesteigerten Formen der Ausgrenzung. 

In einem herzzerreißenden Video, das vielfach in sozialen Medien geteilt wurde, richtete sich eine ältere Frau aus dem belagerten al-Faschir*, dem letzten großen Stützpunkt der SAF in Darfur, wo eine akute Hungersnot herrscht, mit zitternder Stimme an General al-Burhan: „Warum baut ihr jetzt Khartum auf und rettet nicht die Menschen von al-Faschir?“ Ein Appell voller Leid, verursacht durch vergangenes Unrecht und gegenwärtige Vernachlässigung. 

 

* Die RSF haben al-Faschir Ende Oktober nach Fertigstellung dieses Artikels gestürmt und dort die Kontrolle übernommen. Es existieren Berichte über weit verbreitete Misshandlungen und Gräueltaten. 

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich vom Tahrir Institute for Middle East Policy veröffentlicht. Übersetzung aus dem Englischen für Qantara: Vanessa Barisch.  

 

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