Gefängnis? Das wäre doch ein Witz!

Weil die libanesische Comedian Shaden Fakih angeblich die Sicherheitskräfte erniedrigt habe, musste sie sich vor dem Militärtribunal verantworten. Lena Bopp hat mit ihr über ihr Outing im Fernsehen, Sexismus und die Veränderungen in ihrem Land gesprochen.

Von Lena Bopp

Shaden Fakih ist eine von ganz wenigen, wenn nicht die einzige Frau in der Comedy-Szene im Libanon. Als Shaden Esperanza tritt sie im ganzen Land auf und ist berüchtigt für ihre politischen Witze. Sie stammt aus einer linken, ­schiitischen Familie und outete sich vor zwei Jahren im Fernsehen als queer. Weil sie in einem online geposteten Video angeblich die libanesischen Sicherheitskräfte erniedrigt und deren Ruf geschadet habe, musste sie sich im letzten Jahr als Zivilistin vor dem Militärtribunal verantworten.

Shaden, wenn Sie auf die Revolte im Libanon zurückblicken, als das ganze Land im Herbst 2019 auf der Straße war, was sehen Sie dann?

Shaden Fakih: Ich bin voller Kummer, weil es Hoffnung gab. Während der Revolution hat jeder etwas riskiert und gehofft. Es gab keine Möglichkeit, durch die Straßen zu gehen, ohne das zu spüren. Aber jetzt ist da eine große Wunde. Wir haben es versucht. Für mich wird der Kampf nie aufhören, der Moment, in dem ich aufhöre zu kämpfen, ist das Ende des Lebens. Aber wenn man jetzt in die Gesichter der Menschen auf den Straßen blickt, sieht man eine kollektive Enttäuschung, einen kollektiven Verlust. Es gab die Möglichkeit, etwas zu ändern, und es wurde nur noch schlimmer. Manchmal ist es schwer, darin etwas Komisches zu finden.

Wann haben Sie angefangen, als Comedian aufzutreten?

Fakih: Es war zufällig im Jahr 2017. Ich war bei einer Veranstaltung mit einem „open mic“, und alle erzählten ihre Geschichten. Also habe ich meine erzählt.

Welche war das?

Fakih: Meine Coming-out-Geschichte. Es war eine Veranstaltung im Rahmen der „Pride Week“. Ich habe mich meinen Eltern gegenüber geoutet, als ich 19 Jahre alt war. Und wenn man sich vor seinen Eltern geoutet hat, ist die Welt nicht mehr wichtig.

Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Fakih: Ich bin sehr privilegiert. Ich komme mit meinen Freundinnen zu Familienfeiern wie normale Menschen (lacht). Die meisten Leute, die ich kenne, die homosexuell oder queer oder was auch immer sind, leben ein Doppelleben. Ich habe großes Glück. Das ist auch der Grund, warum ich es für wichtig halte, mich zu outen – weil ich dieses Privileg habe und weil ich selbst mit meiner Identität und meiner Selbstakzeptanz zu kämpfen hatte. Deswegen ist es eine Notwendigkeit für mich.

Lebanese comedian Shaden Fakih, who covers topics such as politics, religion, and homosexuality, says stand-up helps her live her ‘absolute truth’ pic.twitter.com/ZqQQOeRjvw

— Reuters (@Reuters) March 10, 2022

 

Vor zwei Jahren, kurz nach dem Beginn der Revolution, haben Sie sich öffentlich im libanesischen Fernsehen geoutet. Was hat Sie dazu bewogen?

Fakih: Ich war in einer Fernsehsendung namens „Lebanon 2030“, und während des Interviews habe ich gedacht: Okay, ich bin im nationalen Fernsehen, und jetzt reicht es. Wir sollten auch im nationalen Fernsehen zeigen, dass es homosexuelle Menschen gibt, also habe ich es laut gesagt: Ich bin lesbisch. Ich habe einen Witz darüber gemacht.

Was für einen?

Fakih: „Wenn Sie jemanden kennen, der mich ändern könnte, schicken Sie ihn zu mir.“ Aber was ich eigentlich sagen will, ist: Ich glaube, jeder, der einer Minderheit angehört, weiß, dass jedes Maß an Rechten oder Akzeptanz, das man von der Gesellschaft erhält, unbeständig ist. Das perfekte Beispiel sind die Vereinigten Staaten und die Abtreibung. In dem Moment, in dem man aufhört zu kämpfen, können einem Rechte leicht wieder genommen werden.

Für mich ist das ein Kampf gegen das System. Und ich kämpfe nicht nur, indem ich über meine Homosexualität spreche. Ich bin vor allem eine homosexuelle Person, eine queere Person, die über Politik spricht, damit wir eine Stimme in der Politik haben. Damit wir vertreten sind. Die Frage, ob mich die Leute akzeptieren oder nicht, steht gar nicht zur Debatte. Akzeptanz war nie mein Thema. Wenn die Leute es nicht mögen, dann werde ich sie nicht zu überzeugen versuchen, das ist ihr Problem. Ich bin hier, und ich bin queer. Ich frage nicht nach Platz, ich nehme mir meinen Platz. Und dass ich mir den Raum nehme, den ich will, liegt auch an meinen Privilegien. Eine andere Person, die queer ist und in anderen Umständen, einer anderen Klasse lebt, mag einen anderen Ansatz haben.

Welche Reaktionen gab es auf Ihr Coming-out im Fernsehen?

Fakih: Ich weiß es nicht. Es spielt keine Rolle. Für mich war es wichtig und groß, es fühlte sich gut an. Ich werde in meiner Karriere erfolgreich sein, und ich werde euch nicht die Wahl lassen, ob ihr mich akzeptiert oder nicht, denn ich werde existieren.

Haben Sie den Eindruck, dass Sie sich in Gefahr bringen?

Fakih: Wenn es um Dinge geht, die ich über bestimmte Leute sage: Ja, manchmal. Was ist die Alternative? Wenn ich auftrete, ist es nicht erlaubt, mich zu filmen.

Aber Sie treten trotzdem auf?

Fakih: Die Sicherheitsleute sind verantwortlich: Wenn sie jemanden sehen, der filmt, löschen sie es.

Wo treten Sie als Comedian auf?

Fakih: In verschiedenen Bars und Cafés, in Beirut, Batroun, Tripoli, Broumana. Ein- oder zweimal pro Woche oder alle zwei Wochen. Ich arbeite gerade an meinem neuen Material. Ich möchte über alle abrahamitischen Geschichten schreiben, in denen von Vergewaltigung die Rede ist und die Frau beschuldigt wird. In denen Vergewaltigung nicht einmal anerkannt wird.

 

 

Wie ist es, eine Frau in der Comedy-Welt zu sein?

Fakih: Sie haben keine Ahnung, wie groß der Sexismus in der Comedy-Welt ist. Die Comedians, die angeblich woke und fortschrittlich sind! Du bist buchstäblich eine Frau oder maximal zwei, umgeben von zehn Männern. Und die Art und Weise, wie sie sich gegenseitig anschauen, wenn du sie zur Rede stellst oder wenn sie dich nach deiner Meinung fragen und du ihnen tatsächlich deine Meinung sagst . . . Das ist so ermüdend. Selbst Komiker wollen ohne Verantwortungsbewusstsein reden. Was ist falsch an Vergewaltigungswitzen? Ich sage gar nicht, dass sie keine Vergewaltigungswitze machen sollen! Macht Vergewaltigungswitze! Aber mit einem Sinn für Verantwortung. Nicht Zensur, Verantwortung. Macht die Witze nicht auf Kosten der Frau oder des Opfers. Aber nein. Nein. Sie wollen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, unter dem verdammten Vorwand der freien Meinungsäußerung. Aber ich sage ja nur: Was man sagt, hat eine Wirkung. Man kann einen tollen, gut geschriebenen Witz über Vergewaltigung schreiben – der nicht auf Kosten von Frauen geht.

Ihre Witze sind kritisch oft gegenüber Religion und Politik. Aber der eine Witz, für den Sie vor einer Weile ins Cybercrime Bureau der libanesischen Sicherheitskräfte geladen wurden, war eigentlich harmlos . . .

Fakih: Das war in einem Lockdown, in dem die Website für die Passierscheine noch nicht funktionierte und ich trotzdem zwei Strafzettel bekam, weil ich aus dem Haus gegangen bin. Also habe ich diesen Witz gemacht, bei den Internal Security Forces angerufen und gesagt: Ich habe meine Tage, was soll ich tun, bitte bringen Sie mir Binden! Deswegen hatte ich im Juni einen Termin vor dem Militärgericht. Wollen Sie meine Meinung hören? Sie haben sich auf diesen Scherz gestürzt, weil es der einzige legale Weg ist, gegen mich vorzugehen.

Die libanesische Comedian Shaden Fakih geht sarkastisch mit ihrer Coming-out-Geschichte um. (Foto: Screenshot Youtube)
Die Probleme des Libanon sind vielfältig und teils hausgemacht: Die ethnisch-konfessionelle Ordnung ist am Rande des Kollapses; die soziale und wirtschaftliche Situation hat sich in den letzten Jahren unerträglich verschlechtert. Dennoch trugen die jüngsten Massenproteste zur Liberalisierung des Landes bei. „Wir entwickeln uns gesellschaftlich weiter. Die Gespräche sind viel offener, die Menschen sind viel offener. Sieh dir an, was in Tripoli passiert ist, wo sich sechzehnjährige Mädchen gegen ihren schikanierenden Lehrer gewehrt haben – und er wurde rausgeschmissen. Wenn das nicht das Ergebnis einer Revolution ist“, stellt die libanesische Comedian Shaden Fakih fest.

Viele Leute, immer Zivilisten, sind nach Beginn der Revolution vor das Militärgericht gerufen worden. Wer steht an Ihrer Seite?

Fakih: Gott! Nein, Gott ist nicht an meiner Seite. Gott ist immer auf der anderen Seite. Ich werde eine Onlinekampagne machen. Meine Freunde außerhalb des Libanons stehen bereit. Aber ich glaube nicht, dass sie mich ins Gefängnis stecken werden, das wäre lächerlich. Stellen Sie sich vor, die Leute, die für die Explosion im Hafen von Beirut verantwortlich sind, sind immer noch draußen. Und die Leute, die unser Geld gestohlen haben, sind auch noch draußen. Und ich bin wegen eines Witzes mit Slipeinlagen im Gefängnis? Das ist doch lächerlich. Aber das ist ihre Art, uns Angst zu machen. Ich persönlich bin nicht beunruhigt. Als sie mich anriefen, um mir meinen Termin vor dem Militärgericht mitzuteilen, habe ich ein Video gepostet, in dem ich sagte: Leute, wenn ihr denkt, dass ich Angst habe – nein, Habibi! Ich werde keine Angst bekommen.

Haben Sie nie daran gedacht, das Land zu verlassen?

Fakih: Es gab eine Zeit nach der Explosion, in der ich dachte: Vielleicht können wir hier nicht bleiben. Aber zu keinem Zeitpunkt habe ich dieses Land für tot erklärt. Hierzubleiben ist auch Widerstand. Ich weiß nicht, ab wann man das als Selbstzerstörung betrachten kann. Wir wissen nicht, wo die Grenze zwischen Widerstand und Selbstzerstörung liegt. Aber ich will auch nicht weg. Wohin sollte ich gehen? Deutschland oder Kanada. In Deutschland müsste ich eine neue Sprache lernen, es ist kalt, und was sollte ich dort tun? Wie kann das ein gutes Leben sein? Okay, ich hätte Rechte und würde wie ein Mensch behandelt – ein Kulturschock! Hier im Libanon ist der Ort, an dem ich bleiben möchte. Das Problem ist, dass ich die Möglichkeiten dieses Ortes erkenne.

Man merkt auf jeden Fall, dass die Revolution trotz allem, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, eine gewisse Offenheit in das Land gebracht hat.

Fakih: Unsere Generation hat viel bewirkt, wenn es um Begriffe geht und darum, Dinge zu benennen. Und wenn man die Dinge einmal benennt, kann man sie nicht mehr übersehen. Wenn ich mich unwohl fühle, weil jemand dies oder das tut, dann liegt das nicht daran, dass ich verrückt bin und er nur einen Scherz macht, sondern daran, dass er mich unter Druck setzt, abtut, was ich sage, und mich belästigt. Das nennt man „Mansplaining“. Dafür gibt es jetzt ein Wort. Und sogar meine Mutter benutzt diese Worte jetzt. Deshalb ist es so schwer, dieses Land für tot zu erklären. Wir entwickeln uns gesellschaftlich weiter. Die Gespräche sind viel offener, die Menschen sind viel offener. Wenn vor fünf Jahren ein Sextape herauskam, wurde die Frau als Schlampe beschimpft und beschuldigt. Vor zwei Jahren veröffentlichte jemand ein Sextape einer Studentin, und alle standen auf ihrer Seite. Sie können es also vor ihren Augen sehen – der Wandel findet statt. Nicht so, wie wir es uns gewünscht haben. Aber sieh dir an, was in Tripoli passiert ist, wo sich sechzehnjährige Mädchen gegen ihren schikanierenden Lehrer gewehrt haben – und er wurde rausgeschmissen. Wenn das nicht das Ergebnis einer Revolution ist.

Eine Art von #MeToo?

Fakih: Ganz genau. Was bewirkt das? Dass andere Schülerinnen wissen werden: Wenn ich sechzehn Jahre alt bin und mein vierzig Jahre alter Lehrer mich massiert, gibt es ein Problem. Sie werden wissen, dass sie nicht einfach nur verrückt sind, weil sie sich unwohl fühlen. Und sie werden ihre Meinung sagen.

Lena Bopp

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2023

 

 

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