Muslime sehnen sich nach dem Gebetsruf
Im Ramadan haben auch die arabischen Geschäfte und Restaurants in Europa Hochkonjunktur, die Bäckereien stellen ganz besondere Süßwaren her. Muammar Atwi sprach in Berlin mit Muslimen, die fasten oder auch nicht.
Mit dem Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan ist in den muslimisch geprägten Vierteln Berlins eine Veränderung zu spüren. Eine besondere Stimmung durchdringt den gewohnten Alltag, viele Menschen aus der arabisch-islamischen Welt stellen ihren Tagesrhythmus um. Dies äußert sich in ihrem Verzicht auf Speisen und Getränke, das Rauchen und sexuelle Kontakte in der Zeit zwischen der Morgendämmerung und dem Sonnenuntergang. Auch zeigt sich gerade jetzt eine besondere Geschäftstüchtigkeit der Inhaber arabischer Geschäfte, die eine Vielzahl von Lebensmitteln importieren, die besonders in diesem Monat nachgefragt werden. So befinden sich unter anderem Datteln, „Suus“ (Getränk aus Süßholzwurzel), „Dschellab“ (Sirup aus karamellisiertem Zucker und Datteln) und „Qamruddin“ (getrockneter Aprikosensaft in gepresster Form) im Angebot. Die Bäckereien stellen Gebäck her, das man in den anderen Monaten des Jahres vergeblich sucht, so z.B. „Qata’ef“ (mit Zuckersirup getränkte Teigtaschen), „Kalladsch“ (Blätterteigkuchen gefüllt mit Nüssen) und andere Spezialitäten.
Es liegt wohl auch an den Auswirkungen der Politik auf das religiöse Leben der Muslime, dass seit einiger Zeit bestimmte Limonadensorten auf dem Markt aufgetaucht sind. Gerade in diesem Monat aber sind die Getränke für Kunden, die nach Alternativen zu Getränken US-amerikanischer Firmen suchen, nicht zu übersehen. Den Kunden der arabischen Geschäfte springen die Getränkedosen geradezu ins Auge, die mit Namen wie „Muslim Cola“, „Muslim Up“, „Mecca Cola“ und „Arab Cola“ das Getränkeangebot erweitern. Ähnliches gilt für das Fleischwarensortiment, dort werden z.B. „Halal- Wurst“ oder „Halal- Salami“ und andere Wurstsorten angeboten, die aus dem Fleisch geschächteter Tiere hergestellt werden.
Das Fasten in Europa ist nicht anders
In einem der arabischen Geschäfte Berlins treffen wir inmitten der vielen Menschen, die gerade mit dem Einkauf der notwendigen Lebensmittel für das Fastenbrechen („Iftar“) beschäftigt sind, eine Frau namens Maha, die uns über die besondere Freude der Muslime in diesem Monat berichtet. Sie meint, dass das Fasten auch in einer europäischen Stadt wie Berlin keinen Unterschied mache, „solange der Mensch danach strebt, gottgefällig zu sein und seine Bedürfnisse zurückzustellen“. „ Es ist besser, Ramadan in einem islamischen Land zu verbringen“, entgegnet ihre Freundin, „da dort eine feierliche Atmosphäre den Monat bereits ankündigt. In Deutschland dagegen trifft einen der Ramadan recht unvorbereitet.“
Bilal Heikal, Inhaber eines arabischen Lebensmittel- und Spezialitätengeschäfts, erzählt uns von der besonderen Freude, die die Menschen in seiner Heimat empfinden, wenn der Ramadan naht. Ramadan in einem islamischen Land sei nicht zu vergleichen mit Ramadan in Europa: „Wenn sich der Ramadan ankündigt, wenn wir also den Fastenmonat erwarten, dann spüren wir dies vor allem durch die Vorbereitungen, die wir treffen. Wir importieren deshalb besondere Waren, denn wir wissen, dass die Nachfrage nach bestimmten Lebensmitteln gerade zu dieser Zeit besonders hoch ist“. Es gäbe eine steigende Nachfrage nach Gemüsesorten, die in den deutschen Großmärkten nicht angeboten würden und extra aus Jordanien eingeführt werden müssten. Heikal weist auch auf die Nachfrage deutscher Kunden nach besonderen Waren für das „Id-al-Fitr“ (Fest des Fastenbrechens am Ende des Ramadan) hin, wie z.B. Datteln, besondere Käsesorten, „Rahatlukum“ (eine orientalische Süßigkeit) und andere Spezialitäten.
Gemeinsames Fastenbrechen und Beten
Szenenwechsel: In einem der libanesischen Restaurants treffen wir den Studenten Ahmad, der sich mit Hingabe seinem Sandwich widmet. Sein Freund Mustafa, ebenfalls Student, steht daneben und spricht mit ihm, ohne selbst etwas zu essen. Wir fragen ihn, warum er nichts isst. Er antwortet, dass er faste und dass dies das erste Mal sei, dass er es den ganzen Monat durchhalte. In den vergangenen Jahren habe er das Fasten immer wieder abgebrochen. Er erzählt uns von der besonderen Atmosphäre, die sich die muslimischen Studenten an der Uni durch ihre Vorbereitungen auf das gemeinsamen „Iftar“ und das gemeinsame Beten schaffen. Die Bedingungen für das Fasten in einem islamischen Land seien aber besser, da die Menschen dort zumindest den Gebetsruf hören könnten. Ahmad erklärt sein Nicht-Fasten damit, dass er nicht gläubig sei und fährt fort: „In meiner Heimat ist die Situation anders. Ich kann dort nicht in der Öffentlichkeit essen, da ich die Gefühle der Anderen respektiere. Hier in Europa aber gibt es ein anderes Klima, hier kann jeder frei nach seinen Überzeugungen leben.“
Der Restaurantbesitzer Hassan erzählt, dass viele Muslime hier gar nicht fasten würden, „aus Angst vor Unannehmlichkeiten aber nicht in den Restaurants essen wollen“. Die Deutschen, fährt er fort, erführen über die Medien von der Bedeutung des Ramadans und des Fastens und begegneten ihren muslimischen Mitbürgern mit Respekt. Suhaib glaubt, dass viele arabische Jugendliche nicht religiös sind, jedoch dennoch fasten, weil sie es so gewohnt sind oder weil sie die Situation nutzen, ihr Gewicht zu reduzieren: „Dann besinnen sie sich auf Allah, enthalten sich dem Alkohol und haben keinen Kontakt mehr zu Frauen. Sobald aber der heilige Fastenmonat vorbei ist, kehren sie wieder zum Alltag zurück“.
Ramadan ist wie Weihnachtszeit
In einer Süßwarenbäckerei treffen wir den Syrer Heitham, der uns von seiner Sehnsucht erzählt, den Gebetsruf und den „Mussaharati“ (Weckrufer) zu hören. Er sehne sich nach den Mahlzeiten, die seine Mutter immer zubereitete und die im Kreise der Familie eingenommen wurden. „Der Muslim im Ramadan“, sagt er, „ist wie der Deutsche zur Weihnachtszeit. Es herrscht eine festliche Stimmung, und er bereitet sich auf das Fest vor, indem er Geschenke dafür einkauft.“
Die deutsche Katharina betrachtet den Ramadan aus einer anderen, jedoch nicht minder emotionalen Perspektive: „Ohne Zweifel ist dieser Monat bei den Muslimen ein heiliger Monat. Ich habe erlebt, wie sich die ganze Familie zur Dämmerung um den Tisch herum versammelte, und mir hat die Zuneigung, die zwischen ihnen herrschte, sehr gefallen. Das Fasten bei den Muslimen ist schwer und verlangt von jedem Einzelnen, den ganzen Tag lang auf die Befriedigung eines Großteils menschlicher Bedürfnisse zu verzichten. Ich finde das sehr beeindruckend, denn ich selbst könnte das nicht. Zwar kenne ich als Christin das Fasten, nicht aber ein so schwieriges.“
Muammar Atwi
Übersetzung aus dem Arabischen: Helen Adjouri
© Qantara.de 2003