Israels neue Rolle im Nahen Osten
Auf den ersten Blick verspricht die Botschaft des historischen Negev-Gipfels weniger Spannungen in der Region, den Beginn einer Neugestaltung der regionalen Sicherheitsarchitektur und eine größere Fähigkeit des Nahen Ostens, für sich selbst einzutreten. Ein Blick hinter die Fassade legt allerdings nahe, dass der Schulterschluss von den Außenministern der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Ägyptens, Bahrains, Marokkos, Israels und den Vereinigten Staaten möglicherweise nicht ganz so eng ist.
Die VAE wurden einst vom ehemaligen US-Verteidigungsminister Jim Mattis wegen ihre begrenzten militärischen Fähigkeiten als "Klein-Sparta“ bezeichnet. Denn ebenso wie die übrigen Golfstaaten sind auch sie nicht in der Lage, sich gegen äußere Bedrohungen zu verteidigen, obgleich sie weltweit im großen Stil modernste Waffen einkaufen. Anders als Israel hätten sie auch kaum die Mittel, die Vereinigten Staaten zu einem fortgesetzten Engagement im Nahen Osten zu bewegen, falls Washington seine nationalen Sicherheitsinteressen geopolitisch neu gewichten sollte.
Bisher haben die VAE genauso wie Saudi-Arabien keinen Militäreinsatz erfolgreich abgeschlossen oder ihr Territorium erfolgreich gegen Angriffe aus dem Ausland verteidigt. Die VAE ziehen sich teilweise aus dem seit sieben Jahren andauernden Jemenkrieg zurück, ohne ihre militärischen Ziele erreicht zu haben, wenngleich sie vor Ort lokale Stellvertreter zurückgelassen haben. Saudi-Arabien sucht derweil nach einem gesichtswahrenden Ende des Konflikts.
Ende März erklärte die von Saudi-Arabien angeführte Koalition gegen die Huthi-Rebellen im Jemenkrieg während eines Gipfeltreffens von Staats- und Regierungschefs des Golf-Kooperationsrats einen einmonatigen Waffenstillstand für die Dauer des Monats Ramadan. Dem Golf-Kooperationsrat gehören Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain, Kuwait, Qatar und Oman an. Allerdings weigerten sich die Huthi-Rebellen, an dem Treffen teilzunehmen, weil es in Riad stattfand, der Hauptstadt einer der Kriegsparteien.
Beiden Golfstaaten waren bislang nicht in der Lage, ihre Infrastruktur und ihre Ölanlagen vor Raketen- und Drohnenangriffen der Huthi-Rebellen zu schützen – und wären es auch nicht bei einem möglichen direkten Angriff des Iran.
— ORF (@orfonline) April 3, 2022
Erstes arabisch-israelisches Gipfeltreffen auf israelischem Boden
Die Bedeutung Israels für die arabischen Staaten wird dadurch deutlich, dass das erste Treffen dieser Art nicht etwa von den VAE einberufen wurde, sondern von Israel und auf israelischem Boden im ehemaligen Wohnhaus von David Ben-Gurion, dem Gründer und ersten Ministerpräsidenten des jüdischen Staates, stattfand.
Derweil lenkt der Krieg in der Ukraine die Aufmerksamkeit wieder auf den Nahen Osten. Sei es weil Europa seine Öl- und Gasversorgung diversifizieren will, weil der Nahe Osten für die Sicherheit auch jenseits seiner Grenzen zentral ist und seine Stabilität wichtig ist in einer durch zahlreiche Herausforderungen und Konflikte geprägten Zeit. Denn erneut drohen in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens Unruhen wegen steigender Lebensmittelpreise.
Indem die arabischen Außenminister ausgerechnet einem Treffen in jenem Kibbuz zustimmten, in dem das zum Museum umgestaltete Wohnhaus von Ben-Gurion liegt, unterstreichen sie die Macht Israels in der Region. Schließlich ist Ben-Gurion aus Sicht der Palästinenser für ihre Misere mitverantwortlich. Gleichzeitig sehen die Außenminister darüber hinweg, dass eine Reihe von Terroranschlägen auf Israelis durch mutmaßliche palästinensische Einzelkämpfer daran erinnert, dass die Palästinenser ebenso Teil der Sicherheit Israels und der Region sind wie der Iran, die Huthi-Rebellen oder die Hisbollah als schiitische Miliz und politische Partei des Libanon.
Die Anschläge fielen auf den Vorabend eines Monats mit bedeutenden muslimischen, jüdischen und christlichen Feiertagen, die die Gemüter an den heiligen Stätten in Jerusalem erhitzen können. Zudem haben nicht nur die Palästinenser aufmerksam beobachtet, dass zu einer Zeit, in der der russische Überfall auf die Ukraine die Schlagzeilen beherrscht, drei der sechs Gipfelteilnehmer – nämlich Israel, die VAE und Marokko – derzeit fremde Gebiete besetzen oder militärisch in Konflikte jenseits ihrer Grenzen eingreifen.
Jordanien und Sudan bekräftigen Solidarität mit Palästinensern
Jordaniens König Abdullah und die Vertreter des Sudan – zwei weitere arabische Länder, die Israel anerkannt haben – nahmen nicht an dem Treffen teil. Stattdessen besuchten sie gemeinsam am Gipfeltag den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas in Ramallah im Westjordanland, das Israel seit dem Sechstagekrieg 1967 besetzt hält.
Israels Bedeutung ergibt sich nicht nur aus der militärischen und technischen Leistungsfähigkeit des Landes und seiner Fähigkeit und Entschlossenheit, anders als die USA, den Iran im eigenen Land sowie in Syrien und im Cyberspace zu bekämpfen. Es ist auch das einzige Land im Nahen Osten, das über eine bedeutende Anhängerschaft in den Vereinigten Staaten verfügt.
Das verleiht Israel mehr Einfluss in Washington als die Golfstaaten je mit millionenschweren Ausgaben für die Dienste von PR- und Lobbyfirmen erreichen können. Daraus folgt zudem, dass Israel der einzige Staat in der Region ist, der auch dann die volle Aufmerksamkeit Washingtons behalten wird, wenn die Vereinigten Staaten ihr Engagement im Nahen Osten zurückfahren sollten, um sich im Zuge des Ukraine-Kriegs besser auf den Indopazifik und Europa konzentrieren zu können.
Israel wird also voraussichtlich eine immer wichtigere Rolle spielen – so wie bereits in der Vergangenheit. Dies betrifft nicht nur die Sicherheit in der Region, sondern auch die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und den arabischen Staaten in zahlreichen Angelegenheiten, wie beispielsweise Waffengeschäften.
"Angesichts der Tatsache, dass die USA aus arabischer Sicht ihr Engagement im Nahen Osten zurückfahren, wäre Ben-Gurion wohl stolz darauf, dass Israel von maßgeblichen arabischen Staaten darin unterstützt wird, sein regionales Profil zu erweitern und die entstehende Lücke zumindest teilweise auszufüllen," fasst David Makovsky, Analyst am Washington Institute for Near East Policy, diese Entwicklung zusammen.
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Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers