"Die Welt ist zu Recht besorgt"

Proteste im Sudan gegen den Militärputsch: Die internationale Gemeinschaft ist weit von einer Einigung in der Antwort auf die Krise im Sudan entfernt.
Proteste im Sudan gegen den Militärputsch: Die internationale Gemeinschaft ist weit von einer Einigung in der Antwort auf die Krise im Sudan entfernt.

Die Krise im Sudan kann Wellen schlagen, die nicht nur die Stabilität in Afrika beeinflussen, sondern über Kontinent hinaus wirken, sagen Analysten. Den Putsch mit Worten zu verurteilen, reiche dabei nicht aus. Hintergründe von Cristina Krippahl

Von Cristina Krippahl

Die Lage im Sudan bleibt instabil: Tausende von Menschen gehen nach dem Militärputsch Anfang der Woche weiter auf die Straße und demonstrieren. Am Donnerstag bauten sie Straßenbarrikaden wieder auf, die von Sicherheitskräften in der Nacht zerstört worden waren. Die Demokratie-Bewegung rief für kommenden Samstag zu "millionenstarken" Protesten auf. 

Die internationale Gemeinschaft verurteilte den Putsch des Militär scharf, bei dem General Abdel Fattah al-Burhan, der bisher gemeinsam mit Abdullah Hamduk an der Spitze einer Übergangsregierung stand, zivile Regierungsmitglieder entmachtete und einen Ausnahmezustand verhängte.

Sicherheitsrat ringt um gemeinsame Position

Im Sicherheitsrats der Vereinten Nationen rangen die fünf ständigen Mitglieder zwei Tage lang um eine gemeinsame Erklärung, denn China und Russland lehnten Sanktionen gegen die Putschisten ab. 

"Alle Staaten haben ihre bestimmten Interessen und Vorstellungen, was den Sudan angeht. Die sind in den letzten zwei Jahren nahe beieinander gewesen", sagte Volker Perthes, Sonderbeauftragter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für den Sudan, am Mittwoch im Deutschlandfunk. In Bezug auf die Sitzung sagte Perthes, die Analysen von Russland auf der einen und den USA auf der anderen Seite seien noch weit voneinander entfernt. 

Der deutsche Politikwissenschaftler und Diplomat Volker Perthes, 63, ist seit Anfang des Jahres Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Sudan. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance).
Der deutsche Politikwissenschaftler und Diplomat Volker Perthes, 63, ist seit Anfang des Jahres Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Sudan. Im Auftrag des UN-Generalsekretärs soll er den Übergang zur Demokratie am Nil unterstützen. Perthes fordert mehr Geschlossenheit der Großmächte in den Verhandlungen zur Sudan-Krise.

An diesem Donnerstag konnte sich der Sicherheitsrat dann doch auf eine gemeinsame Formulierung einigen - Diplomaten zufolge wirkte Russland auf eine stark abgeschwächte Formulierung hin. Nun fordert das Gremium die Wiederaufnahme des politischen Dialogs "ohne Vorbedingungen", die "sofortige Freilassung" der Verhafteten und die Achtung des "Rechts auf friedliche Versammlung".

Perthes warnte vor schlimmen Folgen, wenn nicht ein "Minimum" an Einheit gewahrt werde. Dies könnte dazu führen, dass sich die Weltgemeinschaft in eine ähnliche Situation manövriere wie in den letzten Jahren zu Libyen oder Syrien. "Denn jede Fragmentierung, jede größere Differenz im Sicherheitsrat zwischen den Großmächten schlägt irgendwann auf die innere Situation in Ländern wie dem Sudan durch." Inzwischen bestätigten die UN, dass sich Perthes mit Putschistenführer al-Burhan getroffen und dabei auf die Freilassung aller politischen Gefangenen gedrungen habe.

Erhöhter Druck auf Khartum

Die Afrikanische Union dagegen beschloss schon am Mittwoch einstimmig, die Mitgliedschaft des Sudan auszusetzen. Auch die Europäische Union verurteilte die Machtübernahme durch das Militär scharf.  

Analyst Theodore Murphy sagt im DW-Gespräch, dass dies nicht ausreiche. "Wenn man einen Staatsstreich durchführt, erwartet man nicht, dass er begrüßt wird. Man erwartet, dass er verurteilt wird. Das ist die normale Reaktion. Eine Erklärung allein wird von den Militärs so interpretiert werden, dass es keine Konsequenzen geben wird", so der Direktor des Afrika-Programms bei der Denkfabik ECFR, dem Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen.

Obwohl der abgesetzte sudanesische Premierminister Hamduk am späten Dienstag nach Hause gehen durfte, sind viele zivile und militärische Führer weiterhin in Haft. Noch am Mittwoch verhafteten die Putschisten mehrere prominente Aktivisten, die für die Demokratie eintreten. Auch am Donnerstag gingen Sicherheitskräfte unter anderem mit Tränengas gegen Demonstranten vor.

 

Just met with @SudanPMHamdok at his residence where he remains well but under house arrest. We discussed options for mediation and the way forward for Sudan. I will continue these efforts with other Sudanese stakeholders.

— Volker Perthes (@volkerperthes) October 31, 2021

 

Aufruf: Europa soll handeln

Laut Murphy habe die Europäische Union ein Interesse an der Stabilität in der Region, nicht zuletzt wegen der Gefahr, dass weitere Unruhen neue Flüchtlingsströme auslösen könnten. Wegen der zentralen Rolle, die das Land momentan für den Kontinent spiele, seien andere Faktoren ebenso wichtig, betont der Analyst. "Der Sudan hat das Potenzial, in Äthiopien und im Südsudan - die Länder sind für Europa von Interesse - eine positive Rolle zu spielen. Darüber hinaus im Tschad, der sich selbst in einer Übergangsphase befindet, und schließlich in Libyen, im Norden", so Murphy. "Aber die Voraussetzung dafür ist, dass der Sudan eine stabile, funktionierende und demokratische Regierung hat."

Stabilität und Demokratie scheinen für die Sudanesen derzeit unerreichbar zu sein. Bei den Straßenprotesten nach der militärischen Machtübernahme am Montag sind rund 60 Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche verletzt worden. Der zivile Widerstand ist stark - es gibt keine Anzeichen für ein Nachlassen. "Die Welt ist zu Recht besorgt", sagt Murithi Mutiga, Projektleiter für das Horn von Afrika bei der Denkfabrik International Crisis Group, im DW-Interview.

 

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Auswirkung über den Kontinent hinaus

Die Ereignisse im Sudan werden laut Mutiga zwangsläufig Auswirkungen auf Afrika und darüber hinaus haben. Eine militärische Führung in Khartum werde wahrscheinlich die politische Dynamik zwischen dem Sudan, Ägypten und Äthiopien im Streit um den Großen Renaissance-Staudamm in Äthiopien verändern. Der Grund: Die militärischen Führungen des Sudan und Ägyptens sind eng miteinander verbunden. Auch der Sudan könnte eine aktivere Rolle im äthiopischen Konflikt übernehmen, indem er sich offen auf die Seite der Tigray-Kräfte stellt.

"Wir erleben eine Umkehrung der Situation von vor etwa zehn Jahren, als der Sudan der äthiopischen Regierung sehr nahe stand und deshalb den Bau des Staudamms unterstützte". erklärt Mutiga. Es sei zwar schwer vorherzusagen, was passieren werde, aber Kairo könne die Machtübernahme durch das Militär "zweifellos als ein zufriedenstellendes Ergebnis ansehen".

Laut Mutiga könnten Ägypten und Golfstaaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate ein Regime unterstützen, das versucht, den demokratischen Widerstand zu unterdrücken. Aber das würde die Krise nur verlängern, sagt er.

Verhandlungslösung für Sudan gefordert

"Alle Akteure, einschließlich der Golfmonarchien, müssen sich der Notwendigkeit einer Verhandlungslösung bewusst sein. Der Sudan kann nicht einfach von einem 'starken Mann' beherrscht werden, vor allem nicht, nachdem die Sudanesen im April 2019 die Früchte der Freiheit gekostet haben", betont der Analyst. Dabei bezieht er sich auf die Volksrevolution, die der autokratischen Herrschaft von Präsident Omar al-Bashir ein Ende setzte.

Nicht nur politisch, auch finanziell gibt es Druck von außen. Die Weltbank setze ihre Hilfe für den Sudan aus. Weltbankpräsident David Malpass äußerte Besorgnis über "die dramatischen Auswirkungen, die dies auf die soziale und wirtschaftliche Erholung und Entwicklung des Landes haben kann". Zuvor hatten die Vereinigten Staaten von Amerika mitgeteilt, sie würden ihre Hilfe in Höhe von 700 Millionen US-Dollar (600 Euro) vorübergehend einfrieren.

Die Aussetzung der Hilfe als Druckmittel gegen eine Junta könnten nicht gerade die beste Lösung sein, wenn Menschenrechte und das Wohlergehen der Bevölkerung auf dem Spiel stehen. "Die Tragödie ist, dass ein Großteil dieser finanziellen Unterstützung den Ärmsten der Armen zugute kommen würde, da der Sudan eine schreckliche Wirtschaftskrise durchmacht", sagt Mutiga.

Cristina Krippahl

© Deutsche Welle 2021

Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowski