Das eigene Universum erschaffen
Abdelrasoul greift Themen der afrikanischen Gegenstandskunst auf – folkloristische Darstellungen und die Interaktion zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen bei gleichzeitiger Einbeziehung der traditionellen europäischen Porträtkunst, was zu einer Reimagination der menschlichen Gestalt führt, die verborgene Gefühle freilegt und den Bildern zudem etwas Geheimnisvolles verleiht.
"Als ich noch ein College in Minya besuchte und dort in Biologie eingeschrieben war, nutzte ich erstmals das Zeichnen als Mittel, mich selbst auszudrücken", sagt Abdelrasoul, die in ihren Werken häufig eine anatomisch korrekte Wiedergabe des menschlichen Herzens als zentrales ikonographisches Element einsetzt. "Ich sehe mich auf einer Reise, die mich dem Wesen der Geschöpfe näherbringt, die ich male."
"Im Laufe meiner Arbeit nahm ich auch Elemente aus der Botanik auf, da ich der Vorstellung etwas entgegensetzen wollte, der Mensch sei wichtiger als Tiere und Pflanzen", erklärt Abdelrasoul mit Blick auf die Äste, Weinreben sowie Tiergesichter und -beine in ihren Porträts.
Aus Freude am Zeichnen
Abdelrasoul promovierte 2012 an der Helwan University zum Thema "Neuere Kunstgeschichte". Ihr Werk ist Ausdruck einer tiefen Verbundenheit mit den technischen, psychosozialen und multikulturellen Aspekten der zeitgenössischen Malerei.
"Die meisten von uns beginnen aus Freude am Zeichnen. Auch ich bin mit der Tradition der realistischen Malerei verbunden, da sich mein Studium auf die maßgeblichen europäischen Künstler konzentrierte, die ich respektiere und schätze."
"Fokus und Formen der europäischen Tradition hatten es mir angetan. Aber als ich dann an Orte wie Kenia und Äthiopien reiste, floss allmählich die kühne, raue Schönheit der afrikanischen Kunst, einschließlich ihrer Textilien und Skulpturen, in meine eigene Malerei ein. Das sieht man deutlich an den großen Augen und sogar an der Hautfarbe der Figuren, die ich jetzt male."
Blick nicht nur auf das Äußere
Stefania Angaro, Leiterin der Kairoer "Mashrabia Gallery of Contemporary Art", zeigt die Werke von Abdelrasoul bereits seit zehn Jahren in mehreren Gruppenausstellungen. Im Oktober letzten Jahres beschloss sie, Abdelrasoul auf die 1-54 mitzunehmen, die Londoner Messe für zeitgenössische afrikanische Kunst.
"Die Leute mochten die Werke ungemein. Dabei spielte es gar keine Rolle, dass Abdelrasoul Ägypterin ist. Sie waren einfach begeistert", so Stefania Angaro.
Dennoch ist der ägyptische Kontext eine zentrale Bezugsgröße für Abdelrasouls Werk. "2012 wurde mir immer deutlicher, dass Frauen in Ägypten ständig von sexueller Belästigung bedroht sind und auf der Straße oft Übergriffe befürchten müssen", erklärt Abdelrasoul. Da kam mir der Gedanke, nicht nur das Äußere der Frauen, sondern auch ihr Inneres zu porträtieren. Also begann ich, ihre Lunge und ihren Bauch zu zeichnen in dem Versuch, die innere Angst darzustellen."
"Wir leben in einer Gesellschaft, die Frauen diskriminiert, und wir wachsen in einem Zuhause auf, das diese Ideen nährt. Auch wenn man als Individuum versucht, seinen eigenen Charakter zu entwickeln, seine Ausbildung zu absolvieren, seinen Platz in Institutionen und Beziehungen wie Mutterschaft und Ehe zu finden, die durch traditionelle Erwartungen eingeengt sind."
Das Werk von Abdelrasoul und die Fähigkeit, die Szenerie ihrer Motive gleichermaßen zu enthüllen wie zu verdecken, brachten ihr den Beifall von Kairoer Kollegen und Kunstkritikern ein.
"Souads 'Virtual Gardens' wurzeln im Realismus, schaffen aber gleichzeitig eine magische Welt", erklärt Samir Fouad. Der 75-jährige Maler gilt als Repräsentant der modernen ägyptischen Kunstszene. "Sie zieht uns in ihre Bilder und lässt uns fragen, ob die Kunst der Logik der Dinge folgt, wie wir sie kennen, oder ob sie ihr eigenes Universum erschafft."
Mahmoud Saber
© Qantara.de 2019
Aus dem Englischen von Peter Lammers