''Die Sicht der anderen Seite''
Seine Liebe zu Comics entdeckte Ahmed schon früh: Mit sieben Jahren begann er, mit seinem Bruder um die Wette zu zeichnen: "Wir überlegten uns, was wir darstellen wollten und verglichen am Ende, wer das bessere Händchen hatte. Wir malten alles – Ninja-Turtles, Captain Magid, Power Rangers und auch viele eigene Kreationen." Während seines Studiums der bildenden Kunst in Kairo professionalisierte der aus Alexandria stammende Künstler seine Technik weiter.
Auf der Suche nach einem Partner, der Texte für seine Zeichnungen schreiben könnte, traf Ahmed schließlich Eslam Abu Shady. Eslam erzählte ihm, dass der bekannte Zeichner Magdy El-Shafee ein größeres Comic-Projekt plante – das Comic-Magazin "El-Doshma".
Reale Spannungsfelder
Das Magazin behandelt vor allem reale gesellschaftliche und politische Missstände und spiegelt somit auch das Betätigungsfeld des Sponsors des Magazins, des "Hisham Mubarak Law Center", einer ägyptischen Menschenrechtsorganisation, wider.
Die Texte des Heftes stammen von Eslam Abu Shady, der inzwischen fast alle Geschichten für Ahmeds Zeichnungen entwickelt. Da jedoch auch nach der dritten Ausgabe im März diesen Jahres keine Möglichkeit gefunden wurde, die Künstler für die Erstellung des Magazins zu bezahlen, ist die Zukunft des bisherigen Teams im Moment ungewiss. Den Großteil seiner Zeit widmet Ahmed derzeit seiner Arbeit als Grafikdesigner und Concept Artist für eine Computerspielfirma.
Ahmeds Geschichte in der ersten, in schwarz-weiß gezeichneten Ausgabe von "El-Doshma" bündelt mehrere Handlungsstränge, die schließlich in den Ereignissen um den Kairoer Tahrirplatz im Januar 2011 zusammengeführt werden. Ahmed mag diese Geschichte besonders, "weil sie auf den tatsächlichen Ereignissen auf dem Tahrirplatz aufbaut".
Da ist einmal Mustafa, ein eigentlich unpolitischer, verbeamteter muslimischer Buchhalter, der ein Kind mit einer Christin erwartet, deren strenge Mutter auch noch als Predigerin in einer Kirche arbeitet.
Der zweite Protagonist verkörpert ein immer wieder auftretendes Phänomen auf Demonstrationen, nämlich den plötzlich erscheinenden bezahlten Schläger, der die Proteste zu Gunsten seiner Auftraggeber manipuliert.
Für seine Dienste wird dieser Raufbold von der Polizei bezahlt. Auch ein einfacher Bereitschaftspolizist wird porträtiert, der jedoch im Gegensatz zu den meisten anderen Rekruten der Truppe über ein ungewöhnlich stark ausgeprägtes Moralempfinden verfügt.
"Wir gehörten zur Sofa-Fraktion"
Das Spannende an Ahmed Omars Charakteren ist ihre Entwicklung im Laufe der Geschichte. Mustafa zum Beispiel, dessen schwangere Frau bei einem Autounfall während der Demonstrationen zu Tode kommt, macht zunächst die Demonstranten für die chaotischen Zustände - und damit den Tod seiner Frau - verantwortlich. Doch im Laufe der Handlung begreift er die Hintergründe der Proteste mehr und mehr, und beginnt seine teilnahmslose Sicht auf die Zustände im Land zu hinterfragen.
Die Entwicklung des fiktionalen Mustafas ist kein Zufall, sondern reflektiert auch Ahmed Omars eigene Veränderungen seit Revolution. "Ich blieb während der ganzen 18 Tage zu Hause. Zusammen mit meinem Bruder saßen wir mit Knüppeln bewaffnet nahe der Tür und haben das Haus vor Einbrechern geschütz", sagt er lachend.
Für den Sohn eines Polizisten war dieses Verhalten naheliegend. "Damals stand ich den Protesten noch kritisch gegenüber. Wir gehörten so gesehen zur Sofa-Fraktion", meint Ahmed, in Anspielung auf die Bevölkerungsgruppe, die sich nicht um die große Politik kümmert, sondern zu Hause lethargisch "auf dem Sofa" sitzt. Inzwischen haben sich seine politischen Ansichten jedoch sehr verändert, was sich auch in seinen Comics widerspiegelt.
Spiegel des gesellschaftlichen Umbruchs
Wichtig ist für Ahmed vor allem "die Sicht der anderen Seite", also zu zeigen, dass es immer mehrere Perspektiven auf ein Problem gibt. So zeichnet er den bezahlten Raufbold zwar einerseits als kantige und muskulöse dunkle Gestalt. Andererseits gibt er ihm auch freundliche, manchmal fast sanfte Gesichtszüge, die unterstreichen, dass er sich von dem kriminellen Polizisten nicht aus Freude an der Arbeit bezahlen lässt, sondern um ihm und seiner Mutter eine ärmliche Wohnung bezahlen zu können.
Auch der Bereitschaftspolizist wird nicht nur als anonymer, prügelnder Vertreter des Regimes dargestellt: Er entwickelt eine zunehmend kritische Sichtweise auf das von oben befohlene brutale Vorgehen gegen die Demonstranten und erschießt am Ende sogar den kriminellen Polizisten. Ähnlich wird dem Leiden Mustafas christlicher Frau unter ihrer strengen, die Beziehung mit ihrem muslimischen Mann verurteilenden Mutter viel Raum eingeräumt. Damit soll gezeigt werden, was starre gesellschaftliche Konventionen einem jungen Menschen bedeuten können. An einer Stelle verlässt Ahmed sogar die realistische Darstellungsweise und stellt die Mutter als männlich wirkenden Priester dar.
In seinem neuesten, noch unveröffentlichten Comic räumt er solchen abstrakteren Darstellungsformen noch mehr Raum ein. Auch seinen thematischen Schwerpunkten bleibt er in der von ihm ausgesuchten Geschichte treu: Diese handelt von einem von Schicksalsschlägen und gesellschaftlichen Konventionen erdrückten Menschen, der an Halluzinationen leidet und Medikamente nimmt, um sich unter Kontrolle zu behalten.
Ahmed Omars Comics stellen also einen Spiegel der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche Ägyptens und damit auch vieler anderer arabischer Länder dar. Sie thematisieren die Unzufriedenheit vieler vor allem junger Menschen mit Korruption, verkrusteten Konventionen und überall sichtbarer Ungerechtigkeit – oder in Ahmeds Worten: "die Suche der jungen Generation nach einem besseren Leben."
Matthias Sailer
© Goethe-Institut Kairo 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de