Gegen den Strich

Viele arabische Comics rund um den Arabischen Frühlings sind gesellschaftskritisch und provokant. Die Arbeitsbedingungen und die strengen Auflagen der Zensur stellen die unbequemen Künstler bis heute vor Probleme.

Von Charlotte Bank

Auf dem diesjährigen Internationalen Comic-Salon in Erlangen, der vom 7. bis 10. Juni stattfand, wurde eine Reihe junger Comic-Zeichner aus der arabischen Welt vorgestellt und ihre Werke in einer vielbeachteten Ausstellung präsentiert.

In Europa kaum bekannt, gehörten die Arbeiten dieser jungen Künstler auch in ihren Heimatländern bislang eher zu den Randerscheinungen der Kunst- und Kultur-Szene. Im Verständnis des breiten Publikums in der arabischen Welt waren Comics und Animationsfilme lange reine Kinderunterhaltung. Als Lektüre für Erwachsenen, die aktuelle oder gar brisante Themen aufgreift, ist das Genre immer noch bloß einem begrenzten Publikum bekannt.

Initiativen wie das ägyptische Comic-Magazin "TokTok" versucht dem entgegenzuwirken. Die Publikation wurde Anfang 2011 von einer Gruppe junger Grafikdesigner und Illustratoren mit dem Ziel gegründet, der jungen Comic-Szene des Landes ein lebendiges Forum zu bieten. Neben der Veröffentlichung neuer Geschichten wollen die Initiatoren auch gezielt über Vorgänger ihrer Kunst informieren.

Hand in Hand mit lokalen Traditionen

Cover des Comic-Magazins TokTok aus Ägypten; Foto: Hesham Ali
Zeichnungen über die Nöte des "kleinen Mannes von der Straße": Comic-Magazin "TokTok" aus Ägypten; Foto: Hesham Ali

​​So erschien sie in der gänzlich eigenfinanzierten ersten Ausgabe eines Artikel über den Illustrator und Karikaturisten Hegazi, einen der bedeutendsten Karikaturisten der 1960er Jahre, der für seine Zeichnungen über die Nöte des "kleinen Mannes von der Straße" bekannt war.

Dass ihre Kunst nicht aus dem Nichts entstanden ist und lediglich eine Kopie westlicher Vorbilder darstellt, sondern durchaus auf lokale Traditionen fußt, ist den Machern von "TokTok" ein besonderes Anliegen.

Daneben gab es in den letzten Jahren weitere Fortschritte. Hierzu gehört auch das internationale Comic-Festival, das seit 2008 in Algier veranstaltet wird.

Allerdings existieren in vielen Ländern der Region kaum Möglichkeiten zur Veröffentlichung. Aus diesem Grund kommt dem Internet als Plattform für die Verbreitung der Arbeiten eine wichtige Rolle zu – dies gilt auch im besonderen Maße nach den arabischen Revolutionen.

Neben den Vorteilen der weiten Verbreitung ermöglicht das Internet auch, die staatliche Zensur zu umgehen, mit der viele Zeichner sonst in Konflikt geraten würden. Die 2008 erschienene Graphic-Novel "Cairo Underground" des Ägypters Magdy El-Shafee wurde wenige Wochen nach ihrem Erscheinen von der ägyptischen Zensurbehörde beschlagnahmt, Künstler und Verleger wurden inhaftiert und mussten, aus dem Gefängnis entlassen, hohe Geldstrafen bezahlen.

Spiegel der gesellschaftlichen Missstände

Das Werk thematisierte in Form einer Kriminalgeschichte die sozialen Missstände in Ägypten wie Verarmung, Elend und die verbreitete Korruption der Eliten – also genau die Missstände, die zu den Protesten Anfang 2011 führten. Wie so viele andere künstlerische Arbeiten, die sich mit diesen Themen beschäftigen und vor der Revolution entstanden sind, scheint El-Shafees Werk im Nachhinein beinahe prophetisch.

Aber trotz der gesellschaftlichen Relevanz und der ihnen gelegentlich bezeugten Anerkennung (El-Shafees Arbeiten sind in der "Townhouse Gallery" ausgestellt worden, dem wohl bekanntesten unabhängigen Kunstraum Kairos) sind die meisten Comic-Zeichner auf andere Einnahmequellen angewiesen. Viele produzieren deshalb hauptsächlich für Kinder, sind als Grafik-Designer tätig oder gehen gänzlich anderen Berufen nach.

Ähnlich sieht die Situation auch in anderen arabischen Ländern aus. So gibt es z.B. in Syrien seit vielen Jahren eine aktive Comic-Szene, die Anzahl der bisher veröffentlichen Comic-Geschichten ist allerdings immer noch gering und obwohl mittlerweile mehrere Versuche unternommen wurden, eine Comic-Zeitschrift für Erwachsene zu initiieren, scheiterten diese Versuche letztlich an fehlenden Sponsorengeldern.

Allgegenwärtige Zensur

Schwierigkeiten bereiteten auch immer wieder die strengen Auflagen der Medien-Zensur. So ist es den Protagonisten der Szene nicht gelungen, eine bleibende Plattform zu etablieren. Unterstützung für nicht-kommerzielle künstlerische Projekte, die den Künstlern die Freiheit eröffnet hätte, unabhängig von Marktinteressen zu produzieren, gibt und gab es kaum in Syrien – weder vor der Revolution noch heute.

Also blieben die meisten syrischen Zeichner auf Aufträge der Medienindustrie angewiesen und haben fürs Fernsehen oder private Produktionsfirmen gearbeitet, die Cartoons für Kinder produzierten. Die Geschichten, die ihnen wirklich am Herzen lagen, nämlich solche aus dem Alltagsleben junger Syrer, ihre Sorgen und Hoffnungen, konnten kaum ihr Publikum erreichen.

Eine Wende könnte das Internet bringen. Seit dem Beginn der Proteste in Syrien entwickelt sich das Internet immer mehr zu einem Forum für künstlerisch-kreativen Dissens und dient längst nicht nur dem Austausch von Informationen.

Für die Online-Aktivisten spielt Grafik neben Video eine wichtige Rolle. Und viele Künstler nutzen das Internet auch, um ihre Solidarität mit der Revolution zu bekunden und die Gewalt im Land zu verurteilen. Diese "Entdeckung" des Internets als Plattform für die Verbreitung künstlerischer Arbeiten gibt auch den syrischen Comic-Zeichnern neue Hoffnungen.

Der Zeichner Salam Al-Hassan, der vor zwei Monaten aus Syrien nach Dubai gezogen ist, und dessen Arbeiten auch auf dem 15. Internationalen Comic-Salon in Erlangen zu sehen sind, sieht in der zunehmenden Bedeutung des Internets neue Möglichkeiten: "Künstler in Syrien haben in der Vergangenheit das Internet kaum genutzt. Das ändert sich jetzt zum Positiven, aber diese Entwicklung steht erst am Anfang und muss sich noch entwickeln", so Al-Hassan.

Der Zeichner betreibt selbst einen Blog, auf der er seine Arbeiten präsentiert und spricht mit viel Enthusiasmus über den direkten Kontakt zwischen Publikum und Künstler, den Comics seiner Meinung nach ermöglichen.

Künstlerischer Balance-Akt

Die Protagonisten der jungen arabischen Comic-Szene haben wie andere Künstler in der Region einen Balance-Akt zu vollbringen: Einerseits müssen sie ihr Publikum unterhalten und darauf achten, dass ihre Arbeiten auch einer breiten Leserschaft zugänglich sind, was oft eher durch eine gedruckte Zeitschrift als im Internet gewährleistet ist. Andererseits möchten sie auf soziale und politische Missstände aufmerksam machen, und die Sensibilität ihres Publikums für diese Fragestellungen stärken, ohne dabei die Zensur, sei sie politischer oder gesellschaftlicher Art allzu sehr zu ärgern.

Noch sehen sich Künstler weiterhin viele Restriktionen ausgesetzt. Die arabischen Revolutionen haben gerade der jungen Kunst neue Impulse und ihr eine neue, unmittelbare gesellschaftlichen Relevanz gegeben. Dabei muss sich noch herausstellen, ob auf längere Sicht die erhofften zivilen Freiheitsrechte und eine größere gesellschaftliche Akzeptanz erreicht werden, für die so viele Menschen auf die Straße gegangen sind und für die gerade die Jugend so viel riskiert hat.

Charlotte Bank

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de