Tiefpunkt einer Wahlfarce
Nach seiner umstrittenen Wiederwahl muss Afghanistans Präsident Karsai nun mit heftigem Widerstand der Opposition unter Abdullah Abdullah rechnen. Dass dieser seine Teilnahme an der Stichwahl absagt hatte, ist nur allzu verständlich, meint Andreas Zumach in seinem Kommentar.
Die ursprünglich für kommenden Samstag (7.11.) geplante Stichwahl um das Präsidentenamt in Afghanistan ist abgesagt. Amtsinhaber Karsai wurde offiziell zum Sieger der manipulierten ersten Wahlrunde erklärt.
Mit dieser Entscheidung der nominell unabhängigen, tatsächlich aber Karsai-hörigen afghanischen Wahlkommission ist ein kaum mehr zu unterbietender Tiefpunkt erreicht in der nun schon seit über zwei Monaten andauernden Wahlfarce.
Die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten - der Kabuler Politiker, der USA und ihrer westlichen Verbündeten sowie der UN - bei der afghanischen Bevölkerung ist womöglich irreparabel zerstört.
Damit sind die Chancen für die von den USA geführte internationale Afghanistan-Mission, das durch Krieg, Terror, Drogenwirtschaft und Korruption zerrüttete Land am Hindukusch zu stabilisieren, geringer als je zuvor seit Beginn dieser Mission im Herbst 2001.
Alle Macht den Warlords und Stammesführern
In den letzten acht Jahren hat der Westen mit geradezu erschreckender Konsequenz seine eigenen Handlungsoptionen in Afghanistan immer weiter eingeschränkt.
Schon die Entscheidung, in Kabul eine Zentralregierung einzusetzen, die zunächst die Hauptstadt und dann das ganze Land befrieden und unter ihrer Kontrolle bekommen sollte, war höchst fragwürdig. Denn historisch gab es in Afghanistan nie eine funktionierende Zentralregierung, die tatsächlich das ganze Land unter ihrer Kontrolle hatte.
Die Macht lag immer bei lokalen und regionalen Stammesführern und Warlords. Doch selbst wenn es vor acht Jahren keine Alternative gegeben haben sollte zu der Entscheidung für eine solche zentralistische Strategie: danach machte der Westen so ziemlich alle nur denkbaren Fehler.
Mit Karsai wurde ein Vertreter der paschtunischen Mehrheit als Präsident eingesetzt ohne ausreichende Konsultation und Einbindung der ethnischen Minderheitsgruppen des Landes.
Bis heute hat der Präsident nicht einmal die Hauptstadt Kabul ganz unter Kontrolle. Der mangelnde Willen Karsais, gegen Korruption und Drogenwirtschaft vorzugehen - und seine eigene Beteiligung an diesen Grundübeln - wurde vom Westen allzu lange toleriert.
Die willigen Helfer des Präsidenten
Und obwohl kritische Stimmen und Zweifel an dem Präsidenten auch in Washington in den letzten Jahren immer lauter wurden, hielt der Westen alternativlos an ihm fest.
Dass Karsai im Wahlkampf Absprachen mit berüchtigten Warlords und Drogenbaronen traf und ihnen für den Fall seiner Wiederwahl Regierungsposten und die Armeeführung zusagte, wurde vom Westen ebenso gedeckt, wie die massiven Wahlfälschungen am 20. August.
Ursprünglich hatten die Regierungen der USA und der anderen am Afghanistan-Krieg beteiligten NATO-Staaten Karsai schon Anfang Oktober endgültig zum Wahlsieger ausrufen wollen.
Und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte zu dieser Scharade seinen Segen gegeben - unter klarem Verstoß gegen den Auftrag der UN-Mission in Afghanistan, deren US-amerikanischen Vizechef er entließ, weil dieser auf einer Überprüfung aller mutmaßlichen Wahlfälschungen bestanden hatte.
Dass Karsais Herausforderer Abdullah Abdullah unter diesen Voraussetzungen seine Teilnahme an der Stichwahl absagte, ist völlig verständlich.
Er musste noch mehr Fälschungen und Manipulationen als beim ersten Wahlgang befürchten, zumal derzeit weit weniger Wahlbeobachter von UN, EU und anderen internationalen Organisationen in Afghanistan sind als im August.
Die vage Hoffnung, Karsai könne sich doch noch zu einer Regierung der nationalen Einheit mit Abdullah bereit finden, ist eine Illusion, nachdem US-Präsident Barack Obama seinem Kabuler Amtskollegen bereits zum "Sieg in dieser historischen Wahl" gratuliert hat.
Mit exakt den selben Worten beglückwünschten die USA 1969 ihrem korrupten Statthalter in Südvietnam, Le Duc Tho, zu seinem Wahlsieg. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Andreas Zumach
© Qantara.de 2009
Andreas Zumach, Jahrgang 1954, UN-Korrespondent der taz mit Sitz in Genf, ist gelernter Volkswirt, Journalist und Sozialarbeiter. Seine letzte Buchpublikation "Die kommenden Kriege" erschien im Verlag Kiepenheuer & Witsch.
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