Zwischen nützlicher Technologie und Teufelswerk
In der Uno kommen nicht nur verschiedenste Länder, sondern auch verschiedenste Rechtsauffassungen zusammen. Gerade bei der Regulierung des reproduktiven und therapeutischen Klonens werden rechtlich-kulturelle Differenzen offenkundig. Allerdings stehen sich die verschiedenen Kulturen nicht in einheitlichen Blöcken gegenüber. In der islamischen Welt etwa ist die Meinung zum Klonen differenziert. Um diese aber richtig einschätzen zu können, müssen einige Besonderheiten des islamischen Rechts beachtet werden.
Im Herbst 2003 kam es bei der Uno zu einer dramatischen Abstimmung: Man befand darüber, ob man die Technologie des Klonens zur Gänze oder doch zumindest teilweise verbieten solle. Eine Gruppe warb für einen Vorschlag, der vor allem von Deutschland und Frankreich eingebracht worden war. Er besagte, dass man lediglich das reproduktive Klonen beim Menschen verbieten solle.
Ein anderer Vorschlag ging auf die Initiative Costa Ricas zurück und erhielt die Unterstützung der USA. Er hatte zum Inhalt, dass alle Formen des Klonens verboten werden sollten, also auch jene, die man gemeinhin als therapeutisches Klonen bezeichnet. Mit Hilfe des therapeutischen Klonens versprechen sich einige Naturwissenschafter, eventuell Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson heilen zu können.
In letzter Minute wurde von einer Seite, mit der bisher niemand gerechnet hatte, ein dritter Vorschlag eingebracht, der eine knappe Mehrheit gewann: Die gesamte Abstimmung solle doch einfach vertagt werden. Dieser Vorschlag ging auf Iran zurück, das zu diesem Zeitpunkt die Organisation des Islamischen Kongresses (OIC) bei der Uno vertrat, einen Zusammenschluss von 56 Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung. Spätestens seit diesem Zeitpunkt sind sich Kommentatoren darin einig, dass man in Schlüsselfragen der Bioethik auf politischer Ebene an der sogenannten islamischen Welt nicht einfach wird vorbeigehen können.
Gewöhnliche Organtransplantation
Auf welche Argumente stützte sich die OIC, als sie offenbar eine endgültige Entscheidung über ein Klonverbot verzögern wollte? Zentral war eine Rechtsauskunft (Fatwa) des ägyptischen Religionsgelehrten Ahmad at-Tayyib von Anfang 2003, als Tayyib noch für das Justizministerium in Kairo arbeitete. In dessen Namen hatte er auch die Fatwa ausgestellt.
Darin argumentierte er, dass reproduktives Klonen zwar zu verbieten sei, therapeutisches Klonen jedoch im islamischen Recht (Scharia) kein Problem darstelle. Schliesslich nütze diese Technologie den Menschen, da sie dem Zwecke diene, bestimmte Organe oder Gewebe zu erzeugen, die dann eingepflanzt werden könnten. Somit sei dieser Vorgang wie eine gewöhnliche Organtransplantation zu bewerten, die wiederum gemäss der Scharia erlaubt sei, wenn dadurch Menschenleben dauerhaft gerettet oder erheblich in seiner Qualität verbessert werde.
Warum dann die OIC aufgrund dieser Fatwa nicht einfach den auf Deutschland zurückgehenden Vorschlag unterstützte, das therapeutische Klonen zu erlauben, ist unklar. Einer der Gründe mag vielleicht darin gelegen haben, dass in den letzten Jahren erhebliche Bewegung in die bioethischen Debatten in Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung gekommen ist und von einer einheitlichen Meinung «des Islam» ohnehin nicht mehr die Rede sein kann.
Reproduktives Klonen
Betrachten wir das reproduktive Klonen, also die Technologie, in der ein Zellkern in eine entkernte Eizelle eingepflanzt, diese zur Zellteilung gebracht und dann einer Frau eingepflanzt wird, die das heranwachsende neue Leben austrägt und zur Welt bringt. Dieser neue Mensch hätte die gleiche DNA wie der Spender oder die Spenderin des Zellkerns.
Was haben nun muslimische Religionsgelehrte (Ulama) hierzu zu sagen? Einerseits gibt es eine Gruppe, die dies mit Bezug auf einen Koranvers als Teufelswerk verurteilt. Diese Meinung vertreten etwa der schiitische Gelehrte Shams ud-Din aus Libanon oder der vormalige Mufti von Ägypten, Nasr Farid Wasil. In besagtem Koranvers sagt der Teufel zu Gott, er werde den Menschen dazu verführen, die Schöpfung Gottes zu verändern (Koran 4: 118–119).
Andere, wie der Libanese Hussein Fadlallah, argumentieren, dass dieser Vers hier nicht passe, da das Klonen keine Veränderung der Schöpfung sei, sondern die Entdeckung neuer Formen der Fortpflanzung innerhalb dieser Schöpfung. Wenn überhaupt, so sei das Klonen nicht aufgrund der Tat selber zu verbieten, da es Gottes Prärogativ der Schöpfung nicht in Frage stelle, sondern aufgrund der zu befürchtenden gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Technologie.
Reine Abstammungslinien
Die Scharia sieht es als eine ihrer Hauptaufgaben an, die Abstammungslinien (nasab) möglichst rein zu halten. Gemeint ist hierbei jedoch nicht nur, dass man immer weiss, wer wen gezeugt hat. Die Scharia legt darüber hinaus enormen Wert darauf, dass diese Zeugung in einem legitimen rechtlichen Rahmen erfolgt, also eine Ehe vorliegt.
Dieses rechtlich-moralische Element ist für die Scharia so wichtig, dass es sogar weitgehend die Biologie ausblendet: Ein Kind, das ausserhalb einer Ehe gezeugt wird, hat keinen nasab zu seinem Erzeuger (Mutterschaft wird für die Mehrheit der Rechtsauslegungen durch die Geburt konstituiert). Es ist also nicht das illegitime Kind des Mannes, in gewissem Sinne ist es überhaupt nicht sein Kind.
Wenn also die Ulama das Klonen verbieten wollen, weil es dazu führen würde, dass die nasab-Linien unklar seien, so ist damit nur begrenzt gemeint, dass der Klon nicht mehr aus der Vermischung von DNA eines Mannes und einer Frau entstünde. Vielmehr sprechen sie vor dem Hintergrund der Möglichkeiten, wie sie bei der Zeugung des Schafes Dolly genutzt wurden: Hier wurde die DNA eines weiblichen Schafs in die entkernte Eizelle eines weiteren (weiblichen) Schafes eingepflanzt, die dann von einem dritten Schaf ausgetragen und geboren wurde.
Klonen im Rahmen der Ehe
Würde man das Beispiel auf den Menschen übertragen, ist klar, dass hier keine Ehebindungen mehr im Spiel sein könnten, die das islamische Recht zulässt. Betrachtet man die Äusserungen der Rechtsgelehrten etwas genauer, so wird deutlich, dass das Klonen für sie nicht unbedingt ein Problem darstellen muss, wenn der Rahmen der Ehe gewahrt bleibt. Dies wird meist nicht klar gesehen.
So wurde ein Interview des Shaikh al- Azhar Muhammad Sayyid at-Tantawi Anfang 2003 in der arabischen Tagespresse schön in die Schlagzeile gepresst: «Der Shaikh al-Azhar verbietet das Klonen.» Jedoch gab das den Wortlaut des Interviews reichlich verkürzt wieder. Tantawi hatte gesagt: «Alle Formen, die einen Menschen neu aus nichts erschaffen und ausserhalb einer Ehe erfolgen, sind in der Scharia verboten.»
Auch andere sehr einflussreiche und anerkannte Gelehrte wie Wahba az-Zuhaili aus Damaskus hatten bereits 1998 gegen das Klonen als Fortpflanzungsform innerhalb einer Ehe keinerlei Bedenken gehabt.
Unterschiede zu USA und Europa
Hierbei wird ein grosser Unterschied zu den Debatten deutlich, wie wir sie aus Europa und den USA kennen. Dort ist eines der Hauptargumente, die Technologie des Klonens stelle einen Eingriff in die Menschenwürde dar, da der Mensch damit zum Zweck für etwas anderes wird und nicht mehr Selbstzweck ist.
Diese Definition der Menschenwürde findet sich kaum in den Debatten der muslimischen Religionsgelehrten, was natürlich nicht heissen soll, Muslime hätten keinen Begriff von Menschenwürde oder Menschenrechten. Es ist nur so, dass diese Begriffe in der Debatte um das Klonen kaum auftauchen.
Lediglich der ehemalige Mufti von Tunesien, Muhammad Mukhtar as-Salami, argumentiert so. Seine Formulierungen lesen sich wie direkte Übersetzungen kantischer Begriffe ins Arabische. Dadurch werden diese Äusserungen nicht per se unislamisch, weniger authentisch oder gar diskreditiert. Es zeigt sich jedoch deutlich, dass Salamis Argumente kaum in der muslimischen Debatte rezipiert wurden.
Recht und Moral – nicht scharf getrennt
Will man sich mit den Äusserungen moderner muslimischer Rechtsgelehrter zu einem bestimmten Thema auseinandersetzen, muss man erst einmal zwei grundlegende Dinge begreifen.
Erstens ist das islamische Recht – wie der Begriff schon andeutet – ein Recht, d. h., in weiten Teilen geht es in den jeweiligen Äusserungen um die Frage, welche Konsequenzen ein konkreter Regelbruch hat. Diese Konsequenzen müssen nicht immer unbedingt strafrechtlicher Natur sein, sondern können sich genauso wie im deutschen Recht etwa um Fragen des Unterhalts- und Erbrechts drehen.
Zweitens hat ein konkreter Regelbruch im islamischen Recht in vielen Fällen nicht auf der rechtlichen, dafür aber auf der moralischen Ebene Konsequenzen: Die Bestrafung eines Sünders wird explizit Gott und dem Jenseits überlassen. Das bedeutet, dass die Scharia keine so scharfe Trennung zwischen Recht und Moral vornimmt, wie man das aus säkularen Rechtssystemen gewohnt sein mag.
Antworten auf konkrete Fragen
Moderne Rechtsfortentwicklung vollzieht sich weitgehend in der Form von Fatwas. Diese Rechtsauskünfte folgen einer bestimmten Form: Sie sind immer Antworten auf konkrete Fragen, die an die Muftis herangetragen werden.
Hier kann wirklich alles gefragt werden, angefangen bei konkreten Essensvorschriften, wie man sein Gebet korrekt verrichte, bis hin zur Legitimität des Irak-Krieges, zur Beurteilung von Oralverkehr oder eben zur Frage nach dem Klonen. Der Mufti antwortet in der Regel nur auf die konkret gestellte Frage.
Lautet diese etwa, welche verwandtschaftlichen Bindungen eine Chimäre – also eine Kreuzung zwischen Mensch und Tier – hätte, so wird der Mufti (in diesem Falle das geistige Oberhaupt der Republik Iran, Ali Khamenei) auf diese Frage antworten. Seine nüchterne Umgangsweise mit dieser Frage sollte jedoch nicht als Indiz dafür gelesen werden, er halte derartige Experimente für erlaubt oder unbedenklich.
Das wäre eine andere Frage gewesen: Nicht «Wie verhält es sich mit den verwandtschaftlichen Bindungen von Chimären?», sondern eben: «Ist die Erzeugung von Chimären schariarechtlich erlaubt?» Dies wird von muslimischen Juristen eindeutig verneint, weil es sich hierbei um eine Veränderung der Schöpfung Gottes handeln würde.
Diese beiden Punkte – einerseits das beständige Oszillieren der Scharia zwischen Recht und Moral und andererseits die Rechtsfortentwicklung anhand sehr konkreter Fatwa-Anfragen – machen es dem aussenstehenden Beobachter unabhängig von seiner eigenen Religionszugehörigkeit immer wieder schwer, die Äusserungen moderner muslimischer Rechtsgelehrter exakt zu analysieren.
«Kopieren von Organen»
Doch noch einmal zurück zu der eingangs erwähnten Fatwa des Ägypters Ahmad at-Tayyib. Er war u. a. gefragt worden, ob therapeutisches Klonen zu erlauben sei, und hatte diese Frage mit einem klaren «Ja» beantwortet. Begründung: Schliesslich nutze diese Technik dem Menschen bei der Bekämpfung von Krankheiten.
Dieses Argument des Allgemeinnutzens kann man immer wieder bei muslimischen Rechtsgelehrten finden. Es gehört unter dem Namen maslaha zum festen Bestandteil der Scharia. Das Problem ist hier jedoch ein terminologisches. Der arabische Begriff für therapeutisches Klonen lautet meist istinsakh al-a'da, wörtlich übersetzt «das Kopieren von Organen». Dies und verschiedene Äusserungen einzelner Gelehrter machen klar, dass sie nur unzureichend über die Implikationen der Technik informiert sind.
Manipulieren des Klons
Therapeutisches Klonen impliziert in einem ersten Schritt die Erzeugung eines menschlichen Klons, um diesen nach den ersten Stadien der Zellteilung dahingehend zu manipulieren, dass das Zellmaterial nicht zu einem Menschen, sondern zu einem Organ in einem Gastorganismus heranwächst. Diese Manipulation macht es notwendig, den heranwachsenden Embryo zu zerstören.
Es gibt durchaus Technologien, die sozusagen «Organe kopieren», wie etwa die berühmt gewordenen Versuche, einer Maus ein modelliertes Ohr in ihren Rücken zu implantieren. Diese Technologien haben jedoch zunächst nichts mit therapeutischem Klonen zu tun; ein Ohr oder eine Nase bestehen aus Knorpelgewebe, das sich leichter vermehren lässt und später auch keine echten Körperfunktionen übernehmen muss.
Anders verhält es sich etwa beim Herzen, bei der Lunge oder den Nieren. Diese Organe können nur schwer künstlich «nachgebaut» werden, weswegen man eben hier grosse Hoffnungen auf die Technologie des therapeutischen Klonens setzt.
Und hier beginnen die ethischen Probleme: Denn therapeutisches Klonen bedeutet auch die Erzeugung eines Embryos, um ihn für einen anderen Menschen zu nutzen. In Bioethik-Debatten in Europa und den USA wird dies abermals mit dem Argument der Menschenwürde als Selbstzweck kritisiert. Man könnte nun vermuten, muslimische Religionsgelehrte hätten damit weniger Probleme, da erstens das Argument der Menschenwürde kaum eine Rolle in der muslimischen Debatte spielt und zweitens mit der Argumentationsfigur der maslaha ein Weg zur Verfügung steht, der von Wissenschaftlern vorgebrachten Argumentationslinie zu folgen, therapeutisches Klonen müsse erlaubt werden, da es viele Krankheiten heilen helfen könne.
«Die islamische Meinung» gibt es nicht
Tatsächlich gibt es alles andere als unwichtige Gelehrte, wie Ahmad at-Tayyib, Ayatollah Muhammad Sa'id al-Hakim (Irak) oder den ehemaligen Mufti Ägyptens, Nasr Farid Wasil, die genau mit diesen Argumenten therapeutisches Klonen allgemein erlauben wollen. Wie gesagt scheint dabei aber nicht unbedingt immer wirklich klar geworden zu sein, dass ein Embryo zerstört werden muss.
Andere durchaus gewichtige Gelehrte wie der berühmte Fernseh-Mufti Yusuf al-Qaradawi sehen das therapeutische Klonen durchaus kritisch. Er will lediglich Formen erlauben, in denen Organe «direkt» in den Gastorganismen gezüchtet werden können, ohne den «Umweg» über die Herstellung eines menschlichen Klons.
Ebenso argumentieren schiitische Gelehrte wie Hasan al- Jawahiri aus Qom in Iran, der nur die Formen therapeutischen Klonens erlauben will, die keinen Embryo zerstören, was beim gegenwärtigen Stand der Forschung auf ein Verbot dieser Technologie hinausläuft.
Es wird also deutlich, dass es nicht «die islamische Meinung» zum Klonen schlechthin gibt. Sowohl beim reproduktiven als auch beim therapeutischen Klonen gibt es Gruppen, die sich für oder gegen ein Verbot der jeweiligen Technologie aussprechen. Insgesamt scheint der Trend aber dahin zu gehen, dass die Gruppe derjenigen, die das reproduktive Klonen nicht grundsätzlich verbieten wollen, ebenso wächst wie die Gruppe derjenigen, die gegenüber dem therapeutischen Klonen starke Vorbehalte haben.
Thomas Eich
© Neue Zürcher Zeitung, 27.03.2004
Thomas Eich ist Islamwissenschafter und arbeitet an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema «Kulturübergreifende Bioethik».