Der Teufel steckt im Detail

Romuald Karmakar hat in seinem Film "Hamburger Lektionen" Predigten von Mohammed Fazazi in Szene gesetzt. In der Al-Quds-Moschee gingen einige der Attentäter von 9/11 ein und aus.

Von Amin Farzanefar

​​Ein Mann sagt mit gleichmütigem, ausdruckslosem, bisweilen amüsierten Gesicht Ungeheuerliches. Er redet von der verdienten Auslöschung des Westens, von der schuldhaften Verstrickung von Zivilisten in die imperialistischen Machenschaften.

Die Worte stammen von Mohammed Fazazi, jenem Prediger der Hamburger Al-Quds-Moschee, bei dem einige der Attentäter des 11. September ein und aus gingen. Der diese Worte spricht, ist jedoch ein Schauspieler. Außer ihm hört und sieht man in Romuald Karmakars "Hamburger Lektionen" eigentlich nichts.

Die Methode, mit der er zwei Predigten Fazazis aus dem Jahre 2000 inszeniert, nennt er "Rekonkretisierung". Angestrebt wird eine Annäherung an die Geisteshaltung eines "Hasspredigers" nicht über landläufige Klischees, sondern - ja, wie eigentlich: über Reduktion, Verfremdung, Entschleunigung.

Der Schauspieler, Manfred Zapatka, sitzt vor weißem Hintergrund und rezitiert, ab und zu trinkt er aus einem Glas Wasser. Viel mehr ist nicht: Publikumsreaktionen werden unten eingeblendet ("Kinderlachen"), ebenso wie erläuternde Termini oder auch die auf Zetteln notierte Fragen, die Fazazi in den anschließenden Fragestunden beantwortet.

Absonderliche Koranexegese

Zeit, Geduld, dialektische Gesprächsführung - das entspricht nicht den Befindlichkeiten, mit dem man Hassprediger, Demagogen, Terroristen aus Nahost in der medialen Darstellung gemeinhin verbindet: stattdessen emotionale Entgrenzung, geschwungener Säbel.

​​Hier jedoch ist der Ton nicht durchgängig bedrohlich, von Hass ist nicht viel zu spüren, und auch das Unspektakuläre hat es in sich.

Vor allem betreibt Fazazi eine absonderliche, aufwendige Exegese koranischer Vorschriften, unter gelegentlicher Berücksichtigung des umfangreichen Kommentarapparates und der Aussprüche des Propheten, übermittelt in den Hadithen.

Da fragt einer etwa, ob es sich zieme, Frauen alleine im Flugzeug reisen zu lassen, auch wenn sie von einer Begleitperson abgeliefert und abgeholt werde. Nein, lautet Fazazis Entscheid, das Flugzeug könne ja notlanden, und dann sei in Anwesenheit fremder Männer die Ehre der Frau in Gefahr.

Rhetorische Taschenspielertricks

Dass der Marokkaner (inzwischen zu mehreren Jahrzehnten Haft verurteilt) sich hier päpstlicher geriert als der Papst, hat Methode, und zwar die salafistische: Der Maßstab für alle Aspekte der Moderne ist die Lebenswelt Mohammeds im 7. Jahrhundert. Hier tastet sich der Film an einen für den 11. September nicht unmaßgeblichen Begründungszusammenhang:

Im Hamburger Auditorium sitzen junge Männer, Migranten, die trotz ihres extremistischen Sendungsbewusstseins doch auch vom Leben in Deutschland beeinflusst sind, die emotionale Bindungen an ihre Nachbarn, Kommilitonen, Freundinnen ausbilden.

Doch wo der Alltag die höhere "Moral" zu untergraben droht, rückt Fazazi die heilsgeschichtliche Perspektive wieder gerade: Mit ein paar rhetorischen Taschenspielertricks leitet er ab, dass es in Zeiten des Krieges sehr wohl auch jene treffen kann, die sich nur indirekt dem Sieg, den Zielen des Islam entgegenstellen.

Schon wer eine Regierung wählt, die "den Islam" unterdrückt, ist schuldig, mit anderen Worten ein Feind. Fazazi verdammt Männer, Frauen, Kinder aufgrund ihrer bloßen Existenz in einem demokratischen Staat zum Tode. Die Konsequenz ist bekannt, sie in ihrer Herleitung zu sehen, ist beklemmend.

Innere Logik bloßlegen

Aktuell ist bei europaweiten Vorführungen der "Hamburger Lektionen" eine Debatte im Gange: Wie kann man diese Predigten ablehnen und sich zugleich gegen eine Vereinnahmung von rechts schützen?

Auch in Deutschland blieb der Film trotz – oder wegen - seiner Aktualitätsnähe eineinhalb Jahre unter Verschluss. Nach Karikaturenstreit, Moscheedebatte, Terrorgefahr im Sauerland befürchtete man allzu schnell aufflackernde Ressentiments, will die Furcht vor Kellermoscheen, Parallelgesellschaft nicht zusätzlich verstärken.

Karmakars Zielsetzung ist eine andere: Er will die Rede entkleiden von allem Äußerlichen, Zufälligem, die innere Logik einer zerstörerischen Ideologie bloßlegen.

In dieser Reduktion mag ein aufklärerisches Moment liegen, sie mag Zeit und Raum schaffen für eine seit langem nicht geleistete genauere Analyse des gewaltbereiten Islamismus, und sie mag ein westliches Publikum darauf hinweisen, dass Dialektik, Rhetorik, Diskursführung eine lange, tief verwurzelte Tradition im Islam haben.

Diese jetzt ausgerechnet anhand eines denkbar düsteren Beispiels kennen zu lernen, sagt einiges über den aktuellen Zustand des interkulturellen Dialoges aus.

Reduktion auf das Wort

Dafür kann Karmakar nicht verantwortlich gemacht werden, aber bei ihm geht etwas Entscheidendes verloren: die "äußere Logik" von Fleisch, Haut und Knochen, von Körper und Charisma – all das, was der Filmemacher als das "Dämonische" bannen und ausklammern möchte, was aber letztendlich das Wirkmächtige ausmacht von so verschiedenen Figuren wie Demagogen, Propheten und Heiligen.

​​Gestik, Mimik, Stimmfarbe, Mentalität - all das interessiert Karmakar nicht, der bei dem reinen Wort bleibt: Fast scheint es, als wolle er in den Kopf Fazazis steigen und dort irgendwo in einem unerbittlich tickenden Räderwerk den dunklen Produktionsort der reinen konzentrierten Message ausmachen. So geht das nicht.

Dennoch bleiben die "Hamburger Lektionen" ein faszinierendes Experiment. Der Kinosaal, der einzig angemessene Spielort für dieses über zweistündige Video, wird zu einem besonderen Erlebnisraum. Wer die Statik und Reduktion aushält, wer der mäandrierenden Argumentation Fazazis folgt, kann noch einmal einen Ort aufsuchen, von dem aus sich unsere Welt in den letzten sechs Jahren verändert hat.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2007

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