Potpourri der Widersprüche
Auf der Suche nach einem neuen außenpolitischen Kurs gegenüber Frankreichs früheren Kolonialstaaten in Nordafrika verstrickt sich Präsident Sarkozy in widersprüchliche Aussagen, um sich Allianzen sowohl in Frankreich als auch im Maghreb zu sichern. Von Bernhard Schmid
"Der Freundschaftsvertrag zwischen uns ist tot, es lebe unsere unverbrüchliche Freundschaft!" – mit diesen Worten ließe sich die Botschaft des französischen Präsidenten Sarkozy im Juli in Algier wohl am treffendsten zusammenfassen.
Und die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde titelte am vergangenen 12. Juli: " Nicolas Sarkozy beerdigt während seines Besuchs in der algerischen Hauptstadt den Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und Algerien."
Er sei "weder gekommen, um zu verletzen, noch um sich zu entschuldigen, sondern als Freund", zitierte die Zeitung ferner Sarkozy. Man möge sich nicht so sehr mit der Vergangenheit aufhalten, sondern "sich entschlossen der Zukunft zuwenden", fügte er hinzu.
Damit versuchte Sarkozy mit einem Handstreich, die Polemik über die französische Kolonialvergangenheit der vergangenen beiden Jahre vom Tisch zu wischen. Eine Polemik, die insbesondere durch die Verabschiedung des "Gesetzes vom 23. Februar 2005" von der französischen Nationalversammlung ausgelöst worden war.
Entlastet von historischer Verantwortung
Die gesetzlichen Bestimmungen entsprechen einer deutlichen Rehabilitierung der Kolonialgeschichte des Landes, die großen Teilen der regierenden Rechten in Frankreich äußerst gelegen kommt – können sie sich doch, nachdem sie lange Zeit in einer Periode der Entkolonialisierung in die Defensive gedrängt worden waren, nunmehr lautstark ideologisch zurückmelden.
Bereits in der Präambel des Gesetzes heißt es: "Die Nation spricht den Männern und Frauen, die an den von Frankreich verrichteten Aufgaben in den ehemaligen französischen Départements in Algerien, in Marokko, in Tunesien und in Indochina (...) teilgenommen haben, ihre Anerkennung aus."
Das Projekt eines bilateralen Vertrags, der politische und diplomatische, ebenso wie wirtschaftliche und eventuell militärische Aspekte umfassen sollte, war der große Plan von Sarkozys Amtsvorgänger gewesen. Das Vorhaben eines neuen Freundschaftsvertrags folgte, abgesehen von historischen Beweggründen, stets auch geopolitischen Motiven. Nicht zuletzt deshalb, weil die US-amerikanische und chinesische Konkurrenz Frankreich auf vielen Gebieten in Nordafrika den Rang abzulaufen drohte.
Sarkozys außenpolitische Gratwanderung
Dieses strategische Interesse ist in der französischen Außenpolitik auch weiterhin präsent. Dennoch hat sich unter Sarkozys Präsidentschaft der Ton geändert. Dem Projekt eines umfassenden Freundschaftsvertrags kehrt er heute jedenfalls den Rücken zu. Und dies gleich aus mehreren Gründen:
Einerseits möchte Sarkozy sicherlich nicht zu deutlich in die Fußstapfen seines Vorgängers Chirac treten, sondern klar signalisieren, dass mit seiner Wahl eine neue Ära begonnen hat. Andererseits ist Nicolas Sarkozy unterschiedlichen Erwartungen seitens seiner Wählerschaft ausgesetzt.
Ein Teil seiner Wählerschaft bei den französischen Präsidentschaftswahlen im April und Mai (sowie den Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres) stammt von der extremen Rechten.
Insbesondere in der Wählerschaft Südostfrankreichs, wo Nicolas Sarkozy sehr viele Stimmen aus den früheren Kreisen des Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen gewonnen hat, sind auch zahlreiche frühere Algerienfranzosen vertreten. Die auch als "Pieds Noirs" bezeichneten, ehemaligen Algeriensiedler wurden nach der Unabhängigkeit 1962 vor allem in Südwest- und Südostfrankreich angesiedelt.
In seiner Rede vom 7. Februar dieses Jahres in Toulon, eine der Hochburgen der rechtslastigen "Vertriebenenlobby" des "Pieds Noirs"-Milieus, hatte Nicolas Sarkozy ausgiebig gegen das vermeintliche "Büßertum" in punkto Kolonialgeschichte gewettert.
Und im vergangenen April, wenige Tage vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl, versprach er vor einem Verein ehemaliger Algerienfranzosen: "Ich bin gegen einen Freundschaftsvertrag mit Algerien." Damit entsprach er den in diesen Kreisen gehegten Ressentiments gegen den Maghrebstaat auf ganzer Linie.
Unvereinbares in Einklang bringen
Ganz andere Töne schlug Sarkozy dagegen noch im gkleichen Monat gegenüber der algerischen Zeitung "Djazaïr News" an: "Ich werde den Freundschaftsvertrag unterzeichnen! Und ich verurteile vorbehaltlos das Kolonialsystem. Zwischen Frankreich und Algerien besteht eine innige Beziehung."
Durch diese zum Teil äußerst konträren Erwartungen, die Sarkozy damit geweckt hat, versucht er sich nun hindurch zu manövrieren. So erklärte er vor kurzem in Algier: "Man kann eine Freundschaft praktizieren, ohne einen Freundschaftsvertrag abzuschließen."
Und flugs fügte er hinzu: "Ich habe nicht am Algerienkrieg teilgenommen, auf meiner Generation lastet nicht das Gewicht der Geschichte." Auf diese Weise versucht Sarkozy, scheinbar Unvereinbares miteinander in Einklang zu bringen.
Wirtschaftsbeziehungen und Signale an die alte Koloniallobby, bilaterale Freundschaftserklärungen und as Bedienen von Ressentiments in einem bestimmten Teil der Wählerschaft: Nichts soll das andere ausschließen. Sarkozy versucht sich an der Aussöhnung der Gegensätze. Ob ihm dies gelingen wird, bleibt jedoch abzuwarten.
Bernhard Schmid
© Qantara.de 2007
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