Iraner müssen erneut ihre Stimme abgeben
Mehdi Karroubi ist ein schlechter Verlierer: Der ehemalige iranische Parlamentspräsident, der bei den Wahlen am Freitag zunächst überraschend auf die zweite Position katapultiert, dann aber - noch überraschender - vom erzkonservativen Teheraner Bürgermeister Mahmoud Ahmadinejad überrundet worden war, wittert faules Spiel und wirft den Mullahs im mächtigen Wächterrat vor, Einfluss genommen und den Verlauf der Wahl in ihrem Sinne beeinflusst zu haben. Und das, obwohl Karroubi selbst Mullah ist, der Bürgermeister aber nicht. Der ist einfach stockkonservativ.
Rechnung tragen Iraner
Wer den Mullahs kritisch gegenübersteht im Iran, könnte sich nun eigentlich freuen über den Streit im klerikal-konservativen Lager, aber auch solche Schadenfreude wäre fehl am Platz. Denn die Rechnung werden die Iraner selbst zahlen müssen. Und diese Rechnung wird sehr hoch, wenn es Ahmedinejad gelingen sollte, bei der nun anstehenden Stichwahl am kommenden Freitag den bisherigen Favoriten aus dem Feld zu schlagen - den ehemaligen Präsidenten Haschemi Rafsanjani.
Auch dieser ein Mullah, gleichzeitig aber erfahren wie kein anderer im politischen Geschäft und auf seine alten Tage - Rafsanjani ist 71 - offensichtlich entschlossen, als Retter der Nation in die Geschichte einzugehen: Im Wahlkampf zeigte er sich offener und aufgeschlossener als die Reformer und selbst Themen wie Atom waren ihm nicht tabu: Bei beiden sei er der richtige Mann.
Massives Ringen um Wählerstimmen
Liberale Iraner staunen deswegen nicht schlecht: Hatten sie vor zehn Jahren gegen Rafsanjani opponiert, weil er ihnen zu konservativ schien, so stellen sie heute fest, dass er jetzt die einzige Hoffnung für Reform und Fortschritt ist.
Eine Erkenntnis, die ihnen besser vor dem ersten Wahlgang gekommen wäre: Statt sich der Wahl zu enthalten oder die Stimme auf den farblosen Reformpolitiker Mustafa Moin zu vergeuden, hätten sie gleich für Rafsanjani stimmen sollen. Jetzt aber liegt dieser nur eine halbe Million Stimmen vor dem Teheraner Bürgermeister und die nächsten Tage werden wohl massives Ringen um Wählerstimmen bringen.
Rein statistisch könnten dabei die Konservativen einen Vorteil haben, denn drei der sieben Kandidaten vom letzten Freitag gelten als Hardliner. Stellen sie sich hinter Ahmedinejad, dann wird Rafsanjani einen schweren Stand haben. Weil er dann wenigstens die Unterstützung der erfolglosen Reformer braucht, dieser aber keineswegs sicher sein kann.
Iran am Scheideweg
Die nächsten Tage sollten den Iranern eines klar werden lassen: Ihr Land steht am Scheideweg zwischen Reform und Rückfall. Reform nicht durch die Reformer, sondern durch einen, der sich erst langsam dazu hat durchringen müssen. Der aber - im Gegensatz zum bisherigen "Reform-Präsidenten" Mohammed Khatami - die Macht dazu hätte.
Oder Rückfall, verordnet durch einen, der zwar einiges für seine Stadt Teheran getan hat, sonst aber in der islamistischen Ideologie und Denkweise verharrt und jede gesellschaftliche Öffnung als deren Todfeind betrachtet.
Die Wähler müssen sich in den nächsten Tagen - und vor allem bei der Stichwahl - pragmatisch zeigen: Zwar möchten viele lieber einen modernen weltlichen Führer, aber den gibt es nicht. Noch nicht. Es gibt nur einen modernen Kleriker und einen weltlichen Konservativen. Eigentlich dürfte die Wahl nicht so schwer fallen.
Peter Philipp
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