"Meinungsfreiheit lässt sich nicht kaufen"

Die kurdische Frauenrechtlerin Eren Keskin weigert sich, eine vom Istanbuler Strafgerichtshof verhängte Geldstrafe wegen angeblicher Verunglimpfung des Türkentums zu zahlen, weil sie dadurch ihre Meinungsfreiheit verletzt sieht. Von Elmas Topcu

Die kurdische Frauenrechtlerin Eren Keskin weigert sich, eine vom Istanbuler Strafgerichtshof verhängte Geldstrafe wegen angeblicher Verunglimpfung des Türkentums zu zahlen, weil sie dadurch ihre Meinungsfreiheit verletzt sieht. Unterstützung erhält sie dabei von Mitgliedern des Aachener Friedenspreises. Elmas Topcu informiert

Foto: Eren Keskin; Foto: &copy Medica Mondiale
Die Anwältin Eren Keskin ist Mitbegründerin eines Frauenhilfeprojektes, das Opfern von Vergewaltigungen und Übergriffen in der Türkei kostenlos Rechtshilfe gewährt

​​Die renommierte Istanbuler Anwältin Eren Keskin wurde nach Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches verurteilt und befindet sich derzeit im Berufungsverfahren.

Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Keskin während einer Rede in Köln 2002 gesagt haben soll, dass die türkischen Streitkräfte Frauen belästigen und sexuelle Gewalt gegen sie ausüben.

Nach Auffassung der Istanbuler Staatsanwaltschaft bedeutet dies eine Beleidigung des türkischen Militärs. Es handele sich daher nicht etwa um eine Frage der freien Meinungsäußerung. Der Vorsitzende des Aachener Friedenspreises, Ottmar Steinbicker, sieht das jedoch völlig anders:

"Sie hat diesen Satz, ohnehin so nicht gesagt", so Steinbicker. Was sie in Köln vorgetragen habe, seien konkrete Fälle aus ihrer Anwaltspraxis gewesen, wo sich Frauen, die belästigt wurden Eren Keskin gewandt hätten, um juristischen Schutz zu erhalten. "Sie hat diese Fälle zitiert", meint Steinbicker. "Das kann unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten aber keine Beleidigung sein."

Paragraph 301 im Mittelpunkt der Kritik

Das türkische Strafgesetzbuches war unter dem Druck der Europäischen Union bereits grundlegend reformiert worden, dennoch beinhaltet das neue Gesetz den - unter demokratischen Rechtsprinzipien - angreifbaren Paragraphen 301, der u.a. drakonische Freiheitsstrafen für Äußerungen vorsieht, die dem Ansehen des Militärs schaden.

Dabei bleibt den Richtern ein großer Ermessensspielraum. So kann beispielsweise eine Kritik als Beleidigung, Erniedrigung oder Verunglimpfung bewertet werden, wie im Falle von Eren Keskin geschehen. Die Mitglieder des Aachener Friedenspreises sind nicht nur um ihre Preisträgerin besorgt:

"Wir haben nicht nur den Fall Eren Keskin", so Steinbicker, "wir haben ja auch den in Deutschland bekannten Orhan Pamuk, bei dem die Anklage fallen gelassen worden ist. Es gibt in der Türkei einige Intellektuelle, die unter Anklage stehen, die mit diesem Paragraphen zu tun haben."

Strafrecht auf dem Prüfstand

Die Mitglieder des Aachener Friedenspreises fordern daher die deutsche und europäische Politik auf, mit der türkischen Regierung Kontakt aufzunehmen, um diesen Paragraphen zu entschärfen oder zu präzisieren und in eine rechtstaatliche Praxis umzuwandeln.

Doch es bleibt fraglich, ob dies schon bald Auswirkungen auf das Verfahren gegen die Menschenrechtlerin Eren Keskin haben könnte. Nicht nur in Deutschland, auch in der Türkei engagieren sich verschiedene Frauen- und Menschenrechtsorganisationen für Keskin. Sie fordern, dass die Anklage ganz fallen gelassen wird.

Inzwischen bekommt die 47jährige Anwältin in ihrer Heimat noch mehr anonyme Drohungen als bisher. Sie gibt jedoch nicht nach. Weiterhin arbeitet sie in ihrem Rechtshilfebüro für Frauen, die im Gefängnis oder auf der Polizeistation misshandelt oder vergewaltigt wurden. Dafür bekam Eren Keskin vor zwei Jahren den Aachener Friedenspreis.

Nun versuchen die Initiatoren des Aachener Friedenspreises erneut auf den Fall Keskin in der deutschen Öffentlichkeit aufmerksam zu machen.

Es wird erwartet, dass das Gericht in Istanbul bereits im September ihren Fall erneut verhandelt. Bis dahin wollen die Mitglieder des Aachener Friedenspreises an ihrer gemeinsamen Forderung jedenfalls festhalten: Die türkischen Behörden sollen die Anklage gegen die Menschenrechtlerin gänzlich fallen lassen.

Elmas Topcu

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

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