Peinlicher Medienhype

Die seit 2003 in Schweden lebenden syrischen Schwestern Faia Younan und Rihan Younan haben mit ihrem Friedenslied "To Our Countries" einen weltweiten Hype ausgelöst. Während westliche Medien größtenteils begeistert auf das Video reagierten, gab es in der arabischen Welt Spott und beißende Kritik. Von Martina Sabra

Von Martina Sabra

Zeitgenössische arabische Sängerinnen oder Künstlerinnen sind im Westen nur selten ein Thema. Wenn einflussreiche europäische Medien wie Spiegel Online oder die BBC ausführlich über ein einzelnes Youtube-Video von zwei bis dahin weitgehend unbekannten syrisch-schwedischen Künstlerinnen berichten, dann muss es einen triftigen Grund geben.

Ist es die aktuelle Weltlage, sind es die schrecklichen Bilder aus der Ukraine und dem Nahen Osten, die die Menschen rund um den Globus immer verzweifelter nach Zeichen der Hoffnung auf Frieden suchen lassen? Oder sind es die beeindruckenden blauen Augen der beiden Sängerinnen, kristallklar und tief wie der sprichwörtliche Bergsee? Oder die Tatsache, dass hier arabische Frauen mit knackigem Selbstbewusstsein und OHNE KOPFTUCH auftreten, was man sich im Westen offenbar immer noch nicht vorstellen kann? Oder ist es der forcierte ästhetische Minimalismus des Videos? Eine schlichte geweißelte Mauer, zwei top gestylte junge Frauen, in deren sorgfältig drapiertem Langhaar ein leichter Lufthauch spielt – dazu der starr geradeaus gerichtete Blick, den man aus der Parfümwerbung kennt und der Individualität und Modernität suggerieren soll?

An der Oberfläche

Die Motive für die Lobhudeleien westlicher Medien sind sicher verschieden, aber eines haben sie gemeinsam: Die meisten Berichterstatter/innen waren vom Aussehen der beiden Damen offenbar so geblendet, dass sie vergessen haben, sich mit dem Text des Videos zu befassen. Anders kann es nicht sein, denn sonst hätten sie realisiert, dass dieses Youtube-Video inhaltlich exakt nichts enthält, was eine wie auch immer geartete öffentliche Aufmerksamkeit rechtfertigt.

Faia Younan, die bis vor wenigen Wochen außerhalb Schwedens kaum jemand kannte und deren Fangemeinde zumindest auf Facebook sehr überschaubar zu sein schien, interpretiert Hits des libanesischen Superstars Fairuz. Das kann sie gern tun, doch viele ihrer Altersgenossinnen machen es täglich wesentlich besser, ohne dafür Lorbeeren in westlichen Medien zu ernten.

In den Gesangspausen deklamiert Faias Schwester Rihan Younan Selbstverfasstes zum Thema Krieg im Nahen Osten. Anders als von westlichen Medien kolportiert, geht es in den Texten nicht um die schwindende Schönheit der Levante, sondern ziemlich oberlehrerinnenhaft um die vermeintlichen Ursachen der Konflikte in Syrien, im Irak, im Libanon und in Palästina. Der feierlich anmutende Rezitationsduktus, mal anklagend, mal aufmunternd, soll wohl künstlerische Bedeutungsschwere und poetische Ambivalenz suggerieren, kann aber bei genauem Mitlesen über die Hohlheit der Phrasen nicht hinwegtäuschen.

Erstaunt erfährt man, dass in Syrien seit drei Jahren "ein unlogischer Krieg" tobt. Aha. Gibt es einen "logischen" Krieg? Man hofft hier noch, dass die Autorin Rihan Younan es dabei belässt. Doch weit gefehlt, es kommt noch schlimmer: "Ein Krieg, der sich durch die Tür hereinschlich, ohne anzuklopfen", deklamiert sie. Natürlich, denken die Zuhörenden kopfschüttelnd: Ein Krieg, der einfach so hereinschleicht, das geht gar nicht. Hätte der Krieg doch angeklopft, wir hätten ihn mit arabischem Mokka begrüßt!

Man ahnt, das kann nicht mehr gut werden, und es kommt wie erwartet: "Ein Krieg, der nie erfuhr, wann er begonnen hatte, und der von seinem eigenen Ende träumte". Richtig! Ein Krieg ohne Anfang und ohne Urheber! Wie sollte man auch auf die Idee kommen, dass für diesen Krieg jemand verantwortlich sein könnte? Womöglich das Assad-Regime, das vor mittlerweile fast vier Jahren eine anfangs friedliche Revolution zusammenschießen ließ und das seither steif und fest behauptet, alle Oppositionellen seien Terroristen?

Nach dem Syrien-Kapitel handelt die – stimmlich durchaus nicht unbegabte – Diseuse Rihan Younan auf dieselbe verlogene Weise die Konflikte im Irak, im Libanon und in Palästina ab. Schuld sind dabei immer die anderen: Die Kolonialmächte des 20. Jahrhunderts, England, Frankreich und die USA. Als Ur-Konflikt – wie sollte es anders sein – wird Palästina beschworen: "Palästina, der älteste aller Konflikte, der Kompass der nationalen Tragödien (ar. qadaia)".

Reminiszenzen an Assads Rhetorik

Doch dann blitzt unversehens der Hoffnungsschimmer am Horizont auf: Die erneuerte arabische Nation, in neuen Grenzen, mit neuer Hoffnung. Woher die Erneuerung kommen soll, bleibt ungesagt. Aber man kann es sich denken, denn Rihan Younans implizite Analyse und die verschwurbelte Wortwahl ähneln fatal der Rhetorik, mit der der immer noch amtierende syrische Staatspräsident Baschar al-Assad gelegentlich die arabophone Öffentlichkeit martert.

In der arabischen Welt wurde die Friedensbotschaft teilweise durchaus dankbar aufgenommen. Doch anders als die meisten westlichen Medien suggerieren, gibt es auch harsche und meist wohl begründete Kritik. „Naiv und dümmlich“ urteilt der populäre libanesische TV-Satiriker Nadim Koteich in einem langen, detaillierten Beitrag. Koteich arbeitet allerdings für den Hariri-Sender Future TV und ist damit politisch nicht ganz unabhängig.

Aber auch einfache Leute auf der Straße lehnen das Video ab. "Künstlerisch nicht auf der Höhe und auch nicht neu", sagt etwa ein in Berlin lebender syrischer Flüchtling im Gespräch mit Qantara.de. "Das musikalische Arrangement ist ekelerregend, der Gesang wirkt künstlich und verlogen".

Immerhin – die Frisuren und das Makeup seien ordentlich und ganz hübsch anzusehen. "Das ist aber auch alles". Eine syrische Studentin, die im Exil in Köln lebt, wird noch deutlicher: "Man kann nicht vom Frieden in Syrien singen, ohne die Verantwortlichen für die Tragödie zu benennen. Und der Hauptverantwortliche ist das Assad-Regime".

Oppositionelle Aktivisten rücken das vermeintliche Friedensvideo in die Nähe der Pro-Assad-Propaganda. "Im allerersten Moment haben wir gedacht, dass es diesen Frauen wirklich um Frieden geht", sagt ein syrischer Aktivist von der in Istanbul ansässigen Exiltheatergruppe Firqat Khutwa Al Fanniya. "Aber dann haben wir entdeckt, dass die beiden dem syrischen Staatsfernsehen ein langes Interview über ihr Projekt gegeben haben. Das heißt für uns, dass sie mit dem Assad-Regime sympathisieren, denn das syrische Staatsfernsehen betreibt Regimepropaganda und es nutzt solche Beiträge in eigener Sache".

Satirischer Gegenangriff

Die Gruppe Firqat Khutwa Al Fanniya hat ein satirisches Gegenvideo gedreht, das in der aktuellen Fassung seit dem 22. Oktober 2014 auf youtube steht und das seinerseits ebenfalls bereits weit über 100.000 Mal angeklickt worden ist. In der Parodie stellen zwei bärtige männliche Schauspieler die Frauen nach – in allen Details, mit Langhaarperücken, grellrot geschminkten Lippen und treuherzig-naivem Augenaufschlag.

Sogar die wehenden Haarsträhnen stimmen. Die beiden machen in ultrakurzen zwei Minuten mit geballter Ironie deutlich, wie sie die Botschaft des angeblichen Friedensvideos der Younan-Schwestern verstehen: "Syrien. Agenten ausländischer Mächte zogen aus, um unser Land zu verbrennen und zu zerstören", deklamiert der eine. "Sie braaaaaandschaaaatzeeeeen", lamentiert der andere herzzerreißend. "Die Kolonialmächte unterstützten sie. Sie säten Furcht in den Herzen der Unschuldigen. Unser Führer Doktor Bashar Hafez Al Assad versprach ihnen Reformen und freies Geleit…. Doch sie setzten ihren Terror fort und zwangen unseren lieben Präsidenten zu Dingen, an denen er unschuldig war. Oh, du großartiger Führer des Vaterlandes! Doktor Bashar Hafez Al Assad ist ein guter Mensch, aber seine Berater sind A…löcher. Aaaaaaa….. lööööööcher".

Trotz aller Vorwürfe: Bislang gibt es keine Belege, dass es sich bei dem Video der Younan-Schwestern tatsächlich um einen Propagandacoup des Assad-Regimes handelt. Die beiden Schwestern haben in mehreren Interviews gesagt, dass sie sich auf eine Debatte über das Thema nicht einlassen wollen. Tatsache ist aber, dass die inhaltliche Botschaft des Videos perfekt dem aktuellen Propagandadiskurs des Assad-Regimes entspricht: Der Fokus wird nur auf die Gräueltaten von ISIS und das Ausland gerichtet, die Verantwortung des Assad-Regimes wird mit keiner Silbe erwähnt.

Und nicht nur das: Das Produktionsteam von "For Our Countries" dem neben den Younan-Schwester auch angehende junge Medienfachleute aus dem Libanon, dem Irak und Palästina angehören, muss sich darüber hinaus auch fragen lassen, ob neben der vermeintlichen Friedensbotschaft nicht Selbstmarketing das eigentliche Ziel war. Das ist nicht per se verwerflich, aber es sollte zumindest erwähnt werden.

Martina Sabra

© Qantara.de 2014