Inspiration Politik

Aktivismus und Kunst gehen in diesen Tagen in Tunesien Hand in Hand. Die junge politische Künstlerszene des Mittelmeerstaates blüht auf seit Diktator Ben Ali im Januar fluchtartig das Land verlassen hat. Sarah Mersch stellt einige Beispiele aus der Hauptstadt Tunis vor.

Von Sarah Mersch

Wir hatten schon lange Lust, so etwas zu machen. Aber dafür wären wir sofort im Gefängnis gelandet." Selim Tlili sitzt auf der Terrasse eines Cafés in La Marsa, einem Vorort von Tunis und nippt an einem Glas Tee.

Nicht weit von hier steht eines der Häuser der Trabelsis, der Familie von Zein El Abidine Ben Alis Frau Leila, das am 14. Januar geplündert und teilweise niedergebrannt wurde. Zusammen mit dem befreundeten Künstler Jaye hat Tlili das Haus in vier Tagen Arbeit mit einem meterhohen Graffiti verziert.

"Amour, Gloire et Beauté" (Liebe, Ruhm und Schönheit) ist dort auf Französisch zu lesen, neben einem Fußballer, der mit dem Kopf des gestürzten Präsidenten als Ball einen eleganten Fallrückzieher hinlegt.

Die Fußballfans waren die ersten, die sich trauten, den Polizeistaat Ben Alis öffentlich zu kritisieren, erklärt Tlili. "Auch wenn das nicht immer bewusst politisch war: sie haben Respekt verdient."

"Es ist vorbei mit der Flussokratie" prangt auf Arabisch neben dem Fußballspieler – ein dreifaches Wortspiel. Flussokratie, das ist die Herrschaft des Geldes, kann aber auch mit Geld und Stühlen übersetzt werden. Korruption und Posten auf Lebenszeit wollen Tlili und Jaye im neuen Tunesien nicht mehr sehen.

Symbolische Rache

"In meiner Kunst war ich immer frei", erzählt Tlili. Doch einige seiner politischen Arbeiten stellten die Galeristen gar nicht oder nur mit geändertem Titel aus, um Problemen mit der Regierung zu entgehen. Einmal wurde Tlili gebeten, ein Porträt Ben Alis zu erstellen. Er lehnte ab, und wurde seitdem von der Polizei nicht mehr in Ruhe gelassen.

"Es lag nie etwas Konkretes vor, aber jede Kleinigkeit, jede Straßenkontrolle wurde genutzt, um mich zu schikanieren", berichtet er. Hätte er nicht neben der tunesischen auch die französische Staatsangehörigkeit gehabt, der Vorfall wäre weit weniger glimpflich abgelaufen, ist sich Tlili sicher.

Die Graffitis am Haus der Präsidentenfamilie seien für ihn wie eine Psychotherapie gewesen, erzählt er, eine Möglichkeit, sich symbolisch an der Diktatur zu rächen. "Als wir am Sprayen waren kam eine Nachbarin vorbei und sagte zu uns: 'Sie haben aus einem Horror etwas Schönes gemacht', das war ein wunderbarer Moment."

Politische Kunst als Therapie: Mal rufen in Nadia Khiaris Zeichnungen die streunenden Katzen der Stadt zu einer Demonstration auf, da sie in den Mülltonnen der Stadt nichts mehr zu fressen, sondern nur noch verbrannte Dokumente finden, mal echauffiert sich eine über ein Gerichtsurteil zur Zensur pornographischer Internetseiten.

​​Kunst als eine Form der Therapie. So entstanden auch die Zeichnungen von Nadia Khiari. Am Vorabend des 14. Januar, als Ben Ali seine letzte Fernsehansprache hielt und ganz Tunesien wegen der Ausgangssperre angespannt zu Hause saß, begann sie, kleine Karikaturen zu zeichnen – eine Katze, die die aktuellen Ereignisse kommentiert.

"Für mich war das zunächst einfach eine Art, den Stress abzubauen." Mal rufen in ihren Zeichnungen die streunenden Katzen der Stadt zu einer Demonstration auf, da sie in den Mülltonnen der Stadt nichts mehr zu fressen, sondern nur noch verbrannte Dokumente finden, mal echauffiert sich eine über ein Gerichtsurteil zur Zensur pornographischer Internetseiten: "Ihr könnt mir nicht die Freiheit nehmen, einen Ständer zu kriegen."

Nadia Khiaris provokante Zeichnungen stoßen nicht nur auf Gegenliebe. "Mir ist nichts heilig. Ich versuche, niemanden zu verletzen, aber ich nehme mir die Freiheit, mich lustig zu machen."

Inspiration Taxi

Frech, politisch, provokant: Auf Drängen von Freunden stellte Nadia Khiari ihre Zeichnungen unter dem Pseudonym "Willis from Tunis" auf Facebook und erhöhte damit ihren Bekanntschaftsgrad.

​​ Innerhalb weniger Tage wuchs die Fangemeinde. Inzwischen hat die freche, lakonisch kommentierende virtuelle Katze, die den gleichen Namen trägt wie Nadias reale Hauskatze, rund zehntausend Fans.

Ein Buch mit einer Auswahl Karikaturen hat Khiari im Eigenverlag herausgebracht und eine Ausstellung in ihrer Galerie Artyshow in einem Vorort von Tunis organisiert. Inspiration findet Khiari im Alltag, im Gespräch mit Taxifahrern, Studenten, dem Zeitungsverkäufer oder der Nachbarin.

Vor der Revolution hat sie ihre Arbeiten zwar auch ausgestellt, aber Kritik war nur sehr subtil unterzubringen. "Wenn eine Ausstellung 'Slumberland', Land des Schlummers, und ein Bild 'Lokale Betäubung' heißt, dann versteht das, wer es verstehen will. Viel weiter konnte man damals nicht gehen."

Nadia Khiari ist froh, dass sich die junge Kunstszene von Tunis nach der Revolution endlich bewegt. "Ich habe viele junge Talente getroffen, die hervorragende Dinge machen. Keiner von ihnen hatte sich vor der Revolution getraut, an die Öffentlichkeit zu gehen."

Quasi der einzige, der unter der Herrschaft Ben Alis politische Karikaturen veröffentlichte, versteckt sich hinter dem Pseudonym _Z_. Auf seinem Blog "Debatunisie" schrieb und zeichnete er seit 2007 gegen das Regime an.

Vor der Revolution war das Böse offensichtlich

"Mein Antrieb war die Wut, die Wut gegen das politische System." Bissige Karikaturen, in denen er sich Präsident Ben Ali und seine Familie vornahm, und die in kürzester Zeit zensiert wurden, sind das Markenzeichen von _Z_. Von der Vetternwirtschaft der Familien Ben Ali und Trabelsi bis zur Selbstverbrennung Mohamed Bouazizis – die tunesische Politik lieferte dem anonymen Zeichner mehr als genug Stoff.

Bewusst schrieb _Z_ von Anfang an auf Französisch, um ein größeres Publikum zu erreichen. "Ich hatte den Eindruck, dass im Ausland keiner wirklich begriff, was in Tunesien eigentlich vor sich geht, welches Ausmaß die Unterdrückung erreicht hatte."

Blutige Nasen als Markenzeichen der Revolution und des demokratischen Aufbruchs? Karikatur des Bloggers Z, des wohl bekanntesten oppositionellen Karikaturisten Tunesiens.

​​Mit der Flucht Ben Alis sieht _Z_ seine Mission jedoch noch lange nicht als beendet an. Er beobachtet nach wie vor mit schwarzem Humor den Weg seines Landes zur Demokratie.

"Die Errungenschaften der Diktatur: Die Polizei lernt, mit den Bürgern einen Dialog aufzunehmen" prangt es über einer Zeichnung, auf der ein Polizist einem Demonstranten die Nase blutig geschlagen hat und sich im Namen des Innenministeriums sogleich dafür entschuldigt.

"Vor der Revolution war es für mich natürlich einfach – das Böse war sehr leicht zu identifizieren. Nach dem 14. Januar ist die Situation völlig unübersichtlich geworden. Es ist sehr schwierig einzuschätzen, wer ehrlich ist und wer versucht, von der Situation zu profitieren."

Deshalb denkt er auch gar nicht daran, seine Identität preiszugeben. "Man weiß ja nicht, wie sich die Demokratie in Tunesien weiter entwickelt und ob wir hier nicht bald die Islamisten oder einen neuen Diktator an der Regierung haben."

Sarah Mersch

© Deutsche Welle 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de