Die Angst des Staates vor dem traditionellen Klerus
Einem prominenten Geistlichen droht in Iran möglicherweise die Hinrichtung: Ajatollah Seyyed Hossein Kazemeini Borudscherdi, der seit Oktober 2006 im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis sitzt.
Wie die in Paris ansässige internationale Föderation für Menschenrechte (FIDH) in einer Erklärung mitteilte, wurden Ajatollah Borudscherdi und seine 17 Anhänger am 10. Juni vom "Sondergericht der Geistlichen" zum Tode verurteilt.
Auch viele iranische Blogger haben in den letzten Tagen über das Todesurteil gegen Ajatollah Borudscherdi berichtet.
Später zitierte jedoch die halbstaatliche Nachrichtenagentur ILNA einen Verantwortlichen im Pressebüro des "Sondergerichts der Geistlichen", der die Meldungen über das Todesurteil dementierte und versicherte, dass noch kein Urteil über den Ajatollah und seine Anhänger gefällt worden sei.
Säkuklarismus unerwünscht
Dass Ajatollah Borudscherdi möglicherweise ausgerechnet von seinen "Glaubensbrüdern" in der Islamischen Republik zum Tode verurteilt worden ist, hängt damit zusammen, dass er die Grundlagen der Mullah-Herschaft im Iran in Frage gestellt hat.
In einem Land, das seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 von Ajatollahs regiert wird, sind Geistliche, die die Religion von der Politik zu trennen versuchen, nicht willkommen.
Auch in der Vergangenheit haben viele kritische und "traditionell" orientierte Vertreter des Klerus die Verfolgung durch den "islamischen Staat" erlebt. Großajatollah Montazeri etwa, der einst von Ajatollah Chomeini als dessen Nachfolger ernannt worden war, steht nun seit über 16 Jahren unter Hausarrest.
Noch einige Tage vor seiner Inhaftierung hatte Borudscherdi erklärt, er wolle, dass die Menschen ohne jede Einmischung der Politiker ihren Gott anbeten und verehren können. Ein unpolitischer Islam, wie er von Borudscherdi angestrebt wird, ist jedoch nach offizieller Lesart in der Islamischen Republik gleichbedeutend mit Ketzerei.
Islamisierung der Politik, Politisierung des Islams
Ajatollah Chomeini hatte bereits vor dem Sieg der Islamischen Revolution im Jahr 1979 seine Doktrin von der "Herrschaft des religiösen Rechtsgelehrten" (Velāyat-e Faqih) aufgestellt.
Demnach ist jede Regierung ohne Zustimmung dieses Rechtsgelehrten, der den "verborgenen Imam" (d.h. den zwölften Imam der Schiiten) auf der Erde vertritt, illegal und unislamisch. Tatsächlich ist die traditionelle schiitische Geistlichkeit jedoch gegen jede Vermischung von Religion und Politik.
Deshalb löste die von Chomeini angestrebte "Islamisierung der Politik" nach der Revolution unter den Ajatollahs zunächst keine große Begeisterung aus. Nach der Gründung der Islamischen Republik konnten Chomeini und seine Anhänger ihre Vorstellungen von der Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten jedoch durchsetzen.
Die Anhänger einer Trennung von Politik und Religion wurden seitdem oft brutal unterdrückt. Insbesondere seit der Machübernahme Mahmud Ahmadinedschads vor zwei Jahren geht das Regime besonders brutal gegen religiöse Gruppierungen und Gemeinschaften vor, die für ein unpolitisches Islamverständnis werben.
Warnung vor schleichender Säkularisierung
Nach 28 Revolutionsjahren werden die Rufe nach einer säkularen Ordnung in Iran jedoch immer lauter. Ajatollah Ahmad Chatami, ein radikaler Geistlicher um den religiösen Führer Ali Chamenei und ein führendes Mitglied des Expertenrates, der für die Wahl des religiösen Führers zuständig ist, warnte in einer Rede in der Stadt Täbris im Nordwesten Irans davor, dass unter "einigen Mullahs" der Gedanke von der Trennung von Politik und Religion verbreitet werde.
Diese Warnung bezeichnete Hasan Schariatmadari, der Sohn des verstorbenen Großajatollahs Kazem Schariatmadari und ebenfalls ein Anhänger des unpolitischen und traditionellen Islam, unlängst als ein Zeichen der politischen Legitimationskrise der Islamischen Republik.
In einem Gespräch mit dem persischsprachigen Radiosender "Radio Farda" sagte er, dass man sich in der 1400jährigen Geschichte der Schia immer an das Prinzip der Unabhängigkeit der religiösen Schulen und die Trennung von Religion und Politik gehalten habe.
"Nur Chomeini und seine Anhänger haben mit ihrer Theorie über die Herrschaft des religiösen Rechtsgelehrten die Regierung religiös und die Religion staatlich gemacht", so Schariatmadari.
Verlorenes Ansehen
Während nach jeder Inhaftierung der politischen Gegner der Islamischen Republik die oppositionellen Gruppierungen und Aktivisten im In- und Ausland lautstark gegen das Regime protestieren, war davon im Falle Borudscherdis und seiner Anhänger kaum etwas zu spüren.
Die Tatsache, dass ein großer Teil der Bevölkerung, vor allem Studenten und Aktivisten politischer Gruppierungen, den Geistlichen bzw. der Religion den Rücken gekehrt hat, scheint auch ein Ergebnis der totalitären Herrschaft der Mullahs zu sein.
Ajatollah Borudscherdi, der die Islamische Republik als "Diktatur der Klerus" bezeichnet und von einer Trennung von Religion und Politik spricht, versucht nun das "verlorene Ansehen der Religion" in der iranischen Gesellschaft zurück zu gewinnen.
Unter Mohammad Chatami kämpften auch die Reformer auf eigene Weise vergeblich für die "Unabhängigkeit der Religion von der Regierung", indem sie statt einer "staatlichen Religion" eine "religiöse Regierung" (d.h. eine "islamische Demokratie") anstrebten.
Rückkehr zur traditionellen Religion
Andererseits bedeutet die Trennung von Politik und Religion das Ende der Islamischen Republik in ihrer heutigen Form. Anscheinend haben auch die regierenden Ajatollahs dieses Problem erkannt.
Mit Mahmud Ahmadinedschad haben es die Ajatollahs zum ersten Mal nach 24 Jahren zugelassen, dass ein Nicht-Geistlicher zum Präsidenten gewählt wurde.
Zuvor hatten sie – ebenfalls zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik – Gholam Ali Hadad den Posten des Parlamentsvorsitzenden anvertraut.
Damit sollte vielleicht verhindert werden, dass die Geistlichen als Symbole der Religion weiter an Ansehen verlieren, obwohl nur eine kleine Gruppe von Ajatollahs so privilegiert sei, sich in staatliche Angelegenheiten einmischen zu können, meint Hasan Schariatmadari.
"Viele Geistliche vermissen in Iran die Meinungs- und Gedankenfreiheit. Sie versuchen daher nach Kräften, die Rückkehr zur traditionellen Religion zu verteidigen", so Schariatmadari.
Allerdings könnten die Versuche, die Unabhängigkeit der schiitischen Geistlichkeit wiederherzustellen, etwa von Geistlichen – wie Ajatollah Borudscherdi – einen hohen Preis bedeuten.
Ghasem Toulany
© Qantara.de 2007
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Porträt Ayatollah Kazemeini Boroujerdi
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