Nicht "Boy Friend" sondern "Ehe-Freund"
Mit seinem Rechtsgutachten, das eine neue Art der Ehegemeinschaft für im Westen lebende Muslime legitimiert, sorgte der jemenitische Scheich Abd al-Madjid az-Zandani, Intellektueller und islamischer Gelehrter, für einiges Aufsehen. Die so genannte "Ehefreundschaft" ist die Alternative zur im Westen vielfach praktizierten zwischengeschlechtlichen Beziehung ohne Trauschein und sorgt für positive aber auch negative Resonanz. Im Kern geht es bei dem neuen Konzept darum, dass junge Männer und Frauen eine Bindung eingehen können, die auf einem nach islamischem Gesetz geschlossenen Ehevertrag basiert, obwohl sie noch nicht zusammen leben, sondern sich vorerst damit begnügen, im jeweiligen Elternhaus wohnen zu bleiben. Die Zupassung der islamischen Ehevorschrift zielt darauf ab, die jungen Leute vor der moralisch verwerflichen Versuchung einer außerehelichen intimen Beziehung zu bewahren.
Unbeeindruckt von dem Disput, das Rechtsgutachten hervorrief, sind der Ägypter Karim und die Niederländerin Hillary vor wenigen Monaten die darin konzipierte neue Form der Ehe eingegangen. Beide versichern, diese Erfahrung als äußerst positiv zu erleben. Für Qantara.de berichten Karim und Hillary über ihre Sicht der "Ehefreundschaft".
Was hat euch veranlasst, die "Ehefreundschaft" zu schließen?
Karim: Ehrlich gesagt, wollte ich gar nicht auf diese Weise heiraten, wären da nicht die schwierigen finanziellen Umstände. Ich mache gerade eine Ausbildung zum Bankkaufmann und habe noch kein geregeltes Einkommen. Ich verdiene sehr wenig, das reicht nicht, um eine Wohnung zu kaufen und sie einzurichten. Aber ich wusste sofort, als ich auf Besuch bei meinem Onkel in den Niederlanden war, und Hillary das erste Mal traf, dass ich sie liebe und nicht den Wunsch habe, mit ihr eine Beziehung als "Boy Friend und Girl Friend" zu beginnen, die der Islam nicht erlaubt. Andererseits besitze ich keine Wohnung, was notwendig wäre, um sie zu heiraten, wenn sie nach Ägypten käme. Die "Ehefreundschaft" bot sich für uns also als ideale Lösung an, so können wir jetzt schon verheiratet sein und erst später, wenn wir es uns leisten können, eine Wohnung kaufen.
Meinst du nicht, dass die "Ehefreundschaft" sich in finanzieller Hinsicht allzu leicht verwirklichen lässt und daher für den Mann sehr attraktiv ist, da sie ihn von jeglicher tatsächlichen Verantwortung entbindet? Geht es nicht ganz einfach um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse?
Karim: Ich meine, wenn auch die "Ehefreundschaft" in den Augen mancher Leute lediglich der Befriedigung sexueller Bedürfnisse dient, dann ist das im Prinzip doch eine ausgezeichnete Sache, denn so werden diese Bedürfnisse im Schutz eines nach islamischem Recht gültigen Gesetzes befriedigt. Und das ist sowohl gottgefällig als auch für die Gesellschaft verträglich. Und wenn es um die Verantwortung geht, so glaube ich, dass für jede Form der Ehe die ehrliche Absicht, diese zu übernehmen, zählt, das gilt nicht bloß für die "Ehefreundschaft". Mein Wunsch und mein Ziel ist es, ein Haus zu bauen und eine Familie zu gründen, und gemeinsam mit Hillary unternehme ich alles, was in meiner Macht steht, um dieses Ziel zu erreichen.
Hillary, denkst du nicht, dass die "Ehefreundschaft" zu Lasten des Ansehens der Frau geht, insbesondere da du mit einem Muslim verheiratet bist, dem seine Religion auferlegt, die Verantwortung für dich zu übernehmen und ein Heim bereit zu stellen, auch wenn du ihn hierbei finanziell unterstützen müsstest?
Hillary: Das empfinde ich nicht so. Karim ist doch nach religiösem und staatlichem Recht mein Mann, und daher schadet es meinem Ansehen nicht, wenn ich mit ihm zusammen bin. Außerdem weiß ich sicher, dass dies nicht die endgültige Form unseres Zusammenlebens ist, sondern eine Übergangslösung, bis die Zeit kommt, in der wir eine richtige Ehe führen und in eine gemeinsame Wohnung ziehen, wo wir uns die Verantwortung für alles teilen werden, nicht nur fürs Materielle.
Manche fordern, diese Form der Ehe auch in den arabischen Ländern einzuführen, um so die Eheschließungen zwischen den jungen Leuten zu erleichtern. Wie ist eure Meinung dazu?
Karim: Ich denke, das wäre für die Gesellschaften der arabischen Länder noch viel wichtiger als für die Muslime im Westen, denn dort sind die finanziellen Probleme wesentlich größer. Auch der Druck, den die Gesellschaft auf die jungen Leute ausübt, ist enorm hoch. Die arabischen Familien könnten doch für einen kurzen Zeitraum die Anwesenheit der frisch verheirateten Kinder im Elternhaus verkraften, die so die einmalige Chance hätten, ihr Leben einzurichten und mit ganzer Kraft auf den Erwerb einer kleinen Wohnung hin zu arbeiten. Gleichzeitig wären sie so davor bewahrt, der sexuellen Versuchung zu erliegen. Hier muss einem neuen Denken Platz gemacht werden, wir müssen uns von den falschen Traditionen unserer Gesellschaft lösen, ohne uns dabei von der Religion zu entfernen.
Gott sei Dank habe ich Hillary gefunden, wobei vielleicht ihr westlicher kultureller Hintergrund dafür verantwortlich ist, dass sie den Gedanken so gut aufgenommen hat. Hinzu kommt, dass sie den Islam sehr gründlich studiert hat, viel darüber liest und Seminare dazu besucht, obwohl sie Christin ist.
Hillary: Ich finde dieses Modell der Ehe eine geeignete Lösung für die arabischen Gesellschaften. Es eignet sich auch für einen Araber, der eine Frau aus dem Westen heiraten will. So sind die beiden nicht gezwungen, eine Beziehung miteinander einzugehen, die der islamische Glaube verbietet und die viele Problemen mit sich bringt.
Was unterscheidet eure von einer normalen Ehe?
Karim: Es gibt natürlich viele Probleme. Zum Beispiel, einen Ort zu finden, wo wir uns treffen können. Meine Verwandten, die die Idee inzwischen akzeptiert haben, haben uns sogar aufgefordert, uns in ihrer Wohnung zu treffen oder in preisgünstigen Hotels. Es ist aber vor allem auch ein psychologisches Problem für mich, denn ich muss akzeptieren, dass ich, wenn ich nach Hause komme, dort nicht meine Ehefrau antreffe, die bereits das Essen für mich vorbereitet hat.
Hillary: Dank meiner Arbeit für die Hilfsorganisation für arabische Einwanderer in den Niederlanden habe ich, schon bevor wir uns in Ägypten eingerichtet haben, viel über die islamische Religion erfahren. Als ich mich in Karim verliebt habe, spürte ich in meinem tiefsten Inneren den Wunsch, dass er, wie es Brauch ist, die Morgengabe für mich bezahlt und mir den Brautschmuck schenkt. Meine Morgengabe bestand allerdings aus einer ägyptischen Viertelpfund-Münze. Aber ich erinnere mich noch ganz genau, wie glücklich ich über diese Münze war. Anstelle des Brautschmucks habe ich nur einen Ehering bekommen, den Schmuck bekomme ich später, wenn unsere finanzielle Situation sich verbessert hat.
Außerdem musste ich mich damit abfinden, dass ein Teil der ägyptischen Verwandten und Freunde das neue Modell ablehnten. Ich musste ihre gehässigen Blicke ertragen. Darauf musste ich mich innerlich schon vor der Heirat einstellen, damit es mich dann später nicht so belastet.
Ihr führt offensichtlich eine erfolgreiche Beziehung. Gibt es etwas, das ihr den jungen Leuten, die vorhaben, wie ihr die "Ehefreundschaft" zu schließen, raten würdet?
Karim: Stimmt, unsere Erfahrung damit ist sehr positiv, und ich empfehle das Modell weiter. Aber ich würde nicht jedem jungen Mann, der finanziell schlecht gestellt ist, zur "Ehefreundschaft" raten. Auf jeden Fall muss man bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, und man muss aufrichtig zu sein. Diese beiden Punkte sind sehr wichtig, weil sie für den Erfolg oder Misserfolg einer Beziehung entscheidend sind. Ich empfehle den beiden Partnern auch, sich nicht zu lange in dieser Übergangssituation einzurichten. Sie sollten sehr ernsthaft nach einer festen Bleibe suchen, wo sie ein gemeinsames Leben führen können. Auch darf der junge Mann nicht mit dem Gedanken spielen, seine junge Frau zu verlassen, nachdem sie ihn geheiratet hat und bereit ist, geduldig mit ihm diese schwierige Situation zu überstehen.
Hillary: Der jungen Frau rate ich nachdrücklich, sich in der Tugend der Geduld zu üben, um das Ziel, diese Übergangszeit durchzustehen, zu verwirklichen. Zuletzt möchte ich aber noch betonen, dass die "Ehefreundschaft" nichts anderes als ein Experiment ist, das fehlschlagen oder von Erfolg gekrönt sein kann, vielleicht sogar beides gleichzeitig.
Interview: Nelly Ezzat
Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell
© Qantara.de 2003