Kleine Geschichte der arabischen Literatur

Die Islamwissenschaftlerin Wiebke Walther hat pünktlich zur letzten Frankfurter Buchmesse eine Geschichte der arabischen Literatur vorgelegt. Ein lesenswertes Buch, das jedoch einige Mängel aufzuweisen hat, meint Susanne Enderwitz.

Wiebke Walther, Foto: Karlsruhe.de
Wiebke Walther

​​Die literarische Tradition der Araber, die sie selbst lange Zeit vernachlässigten, aber seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend als ihr "Erbe" revaluieren, dies ist im Wesentlichen der Inhalt des Buchs von Wiebke Walther.

Nach einem Einleitungskapitel, das über so wesentliche Fragen wie "Die arabische Sprache", "Mündlichkeit-Schriftlichkeit" oder "Bibliotheken" informiert, geht die Autorin in medias res der arabischen Literatur.

Tatsächlich beginnt sie im zweiten Kapitel mit dem arabischen und nicht erst mit dem islamischen Erbe: Sie greift in die Zeit des Vorislam aus, die sie allerdings mit ihrem islamischen Namen "Die Zeit der Unwissenheit" bezeichnet.

Das dritte Kapitel, "Die arabische Literatur in islamischer Zeit bis etwa 1800", ist das umfangreichste (S. 50-272) und das deutliche Zentrum des gesamten Buchs. Hier werden die wichtigsten Gattungen und Untergattungen der unendlich reichen arabisch-islamischen Literatur abgehandelt: die Dichtung, die Prosa, der Adab, jene typische Mischung aus Prosa und Dichtung, deren vornehmstes Ziel darin bestand, unterhaltend zu belehren, sowie die Volksliteratur.

In die einzelnen Unterkapitel sind auch Abschnitte über die religiöse Literatur eingeflochten: den Koran, die Prophetenüberlieferung und die Dichtung der Mystiker. Vor allem in der Volksliteratur geht Walther über das 13. Jahrhundert hinaus, aber der Akzent liegt auf der Zeit, die die Islamwissenschat als die "klassische" Zeit der arabisch-islamischen Literatur zu bezeichnen gewöhnt ist, die Zeit des Abbasidenkalifats (8.-13. Jh.).

Die Moderne als Appendix

Das letzte Kapitel, das "Reformen und Neuentwicklungen im 19. und 20. Jh." behandelt, wirkt demgegenüber wie ein bloßer Appendix. Es ist wahrscheinlich nicht Frau Walthers Schuld (die in ihrem Vorwort eine Fortsetzung ihrer Literaturgeschichte in Aussicht stellt), dass durch die äußerst knappe Darstellung der modernen arabischen Literatur der Gesamttitel ihres Werks hart an der Grenze zum Etikettenschwindel balanciert.

Der Beck-Verlag hat in jüngerer Zeit auch mit anderen Ober- und Untertiteln jongliert (einer "Geschichte Palästinas", die nur bis zur Staatsgründung Israels reicht, oder dem "Original" von 1001 Nacht, das schon Antoine Galland zu Anfang des 18. Jh. vorlegte). Man sollte es ihm aber abgewöhnen, denn der Leser nimmt den Käuferfang übel und schaut schon etwas argwöhnisch auf Beck'sche Titel.

Bezug auf Literaturgeschichte auf Englisch

Wiebke Walther hat nicht die erste Gesamtschau arabischer Literatur geschrieben, nicht einmal die erste in deutscher Sprache. Und trotzdem schließt sie eine deutliche Lücke, da die Vorläufer ihrer Literaturgeschichte entweder nicht dem neuesten Stand entsprechen oder reine Fachliteratur sind oder in einer anderen Sprache abgefasst wurden.

Sie selbst beruft sich im Vorwort auf den britisch-amerikanischen Arabisten Roger Allen, der mit "The Arabic Literary Heritage" (1998) und "Introduction to Arabic Literature" (2000) erst vor wenigen Jahren zwei Überblicksdarstellungen in englischer Sprache vorlegte. Manches erinnert auch an Allens Darstellung, so etwa die durchaus fruchtbare Angewohnheit, die klassische arabische Literatur, wo es sich anbietet, im Spiegel der modernen arabischen Literatur zu betrachten.

Ein solches Vorgehen bot sich allerdings auch geradezu an, denn ebenso wie Allen ist Walther eine ausgezeichnete Kennerin der arabischen Literatur insgesamt und kann es sich leisten, um der Darstellung willen nonchalant zwischen den Jahrhunderten zu wechseln.

Der Aufbau von Wiebke Walthers Buch ist allerdings schon auf den ersten Blick anders als bei Allen. Die Hauptüberschriften der Kapitel hat Walther mit einem dickeren Pinsel gezogen, aber auf der darunter liegenden Ebene bemüht sie sich um größere Detailgenauigkeit.

Überblick geht teilweise verloren

Während Allen versuchte, "Mentalitäten" anhand einzelner Genres nachzuspüren, ist es Walthers Bestreben, ihren Lesern eine fundierte Bildung zukommen zu lassen. Die Folge davon ist, dass sie weniger einen Überblick über die Literaturgeschichte als eine nach Gattungen geordnete Geschichte von Autoren und ihren Werken vorgelegt hat.

Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass man sich über den Geist einzelner Werke ein gutes Bild machen kann. Aber es hat auch den Nachteil, dass die Verankerung verschiedener Trends in der arabisch-islamischen Sozialgeschichte nur blasse Konturen annimmt. Ja, den Trends selbst wird häufig die Spitze abgebrochen, die ihre Konformität oder Nonkonformität im Gesamtrahmen einer Geschichte der arabisch-islamischen Gesellschaft erweisen könnte, und das wirkt sich dann auch auf die Einzeldarstellungen aus.

Damit ist ein Dilemma angesprochen, das beim Studium der arabischen Literatur bisher noch nicht wirklich befriedigend gelöst werden konnte. Für die europäischen Literaturen existieren in der Regel so viele Untersuchungen, dass sich ein Autor auf entweder die großen Linien oder die feinen Verästelungen konzentrieren kann.

Hohe Anforderung an Leser

Nicht so in diesem Fall. Walthers Buch fordert daher dem Leser, zumal dem nicht einschlägig bewanderten, viel, zu viel Konzentration auf Namen und Buchtitel ab. Das gilt auch für die Umschrift, eine zwar leserfreundlich gemeinte Marke Eigenbau, die dem Durcheinander von Schreibweisen arabischer Namen und Termini aber nur eine weitere Variante hinzufügt und zudem nicht bis in die Anmerkungen und die Bibliographie reicht.

Dort nämlich schaltet die Autorin auf die wissenschaftliche Umschrift um, wendet sich also an das Fachpublikum. Diesem gilt auch die Bibliographie "Quellen in arabischer Sprache", die mit fünf Seiten fast an die fünfeinhalbseitige Bibliographie "Darstellungen zu einzelnen Epochen, Gattungen, Autoren und Werken" heranreicht.

Ungeachtet dieser kritischen Anmerkungen hat Frau Walther ein handliches und lesenswertes Buch über die klassische arabische Literatur vorgelegt, das hoffentlich bald von einem Überblick über die moderne arabische Literatur ergänzt wird.

Susanne Enderwitz

© Qantara.de 2004

Dr. Susanne Enderwitz ist Professorin am Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients (Islamwissenschaft) der Universität Heidelberg.

​​Wiebke Walther: Kleine Geschichte der arabischen Literatur. Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart. C.H. Beck, München 2004, 336 S.