"Die Intellektuellen sollen entscheiden"
Was kann man tun, um im Irak eine neue Kulturszene zu schaffen?
Mufid al-Djasairi: Es ist sehr schwierig, man muss an verschiedenen Punkten ansetzen. Das alte Regime hat so viele Maßnahmen durchgeführt, und es ist kompliziert und langwierig, sie nun alle wieder außer Kraft zu setzen. Vielen geht dabei bereits die Geduld aus. Sie glauben, jetzt, wo wir Saddam endlich los sind, sollten wir uns sofort an die Arbeit machen und alles umkrempeln. Aber solche Übereifrigkeit wäre fatal.
Das größte Problem, vor dem wir stehen, ist die Integrität derer wieder herzustellen, die das alte System kaputt gemacht hat. Dem alten Kulturministerium ging es nicht um die Sache selbst, sondern einzig und allein darum, die Menschen zu deformieren und sie in unterwürfige Apparatschiks zu verwandeln.
Welche Schritte haben Sie bisher konkret unternommen?
al-Djasairi: Wir haben uns überlegt, welche Politik und welche Pläne wir nun umsetzen können. Und wir haben uns dafür eingesetzt, die Ausarbeitung und Umsetzung der Konzepte in Kooperation mit den Intellektuellen selbst zu erreichen. Wir haben die Intellektuellen im In- und Ausland aufgefordert, und ihre Vorstellungen über das Kulturministerium sowie seine Aufgaben und Ziele mitzuteilen. Auf welche Mechanismen sollte man, ihrer Meinung nach, zurückgreifen bei der Beseitigung der Altlasten, die parallel zum Neubeginn im Geiste der wieder gewonnenen Freiheit geschehen muss.
Viele gute Beiträge von einzelnen Kulturschaffenden, aber auch von Vereinigungen und verschiedenen Verbänden aus dem In- und Ausland sind bereits bei uns eingegangen. Inzwischen haben wir einen Ausschuss geschaffen, der diese Beiträge prüft und auf ihrer Grundlage ein Konzept für eine neue Kulturpolitik entwickelt. Ausgehend von diesem Konzept werden wir unser Entwicklungsprogramm für die nächste Zukunft aufstellen.
Das gesamte Projekt stützen wir, indem wir uns mit Kulturschaffenden und Intellektuellen aus allen möglichen Bereichen zusammensetzen. Beispielsweise haben wir vergangenen Dezember zwei Treffen mit Verlegern, Schriftstellern, Inhabern von Druckereien veranstaltet, während derer der gesamte Prozess der Buchherstellung diskutiert wurde, bzw. die Rolle des früheren Kulturministeriums, das das Monopol für sämtliche Herausgebertätigkeiten im Irak hatte.
Außerdem werden wir die in- und ausländischen Filmschaffenden zusammenholen, um ein Arbeitspapier über die Situation des irakischen Kinofilms zu erstellen und um einen Meinungsaustausch über die künftige Marschrichtung zu initiieren. Für einen Neueinstieg müssen wir wissen, wohin der Trend geht, sowohl im Hinblick auf die künstlerischen Ansprüche als auch hinsichtlich der technischen Ausstattung. Welche Rolle spielen die Filmclubs? Ist die Herausgabe einer Filmzeitschrift möglich? All das werden die Filmschaffenden selbst erörtern. Wir stellen ihnen das Forum zur Verfügung, den Ort, an dem sie einander drei oder vier Tage lang treffen können, und wir sorgen dafür, dass sie währenddessen auch Filme vorführen können.
Auch für die in- und ausländischen Theaterschaffenden des Iraks werden wir ein solches Treffen organisieren, um die Lage zu sondieren.
Die Intellektuellen sind diejenigen, die entscheiden sollen, was seitens des Ministeriums unternommen werden muss. Auf ihre aktive und direkte Beteiligung setzen wir. Der nächste Schritt wird eine Revision der bisherigen Struktur unseres Ministeriums sein.
Wie aber werden Sie beispielsweise mit den Theaterschaffenden zusammenarbeiten, die Saddams System unterstützt haben?
al-Djasairi: Die Beteiligung muss allen seriösen Künstlern möglich sein. Diejenigen, die damals das System in höchsten Tönen priesen und die das Theater zu einer billigen Ware gemacht haben, werden natürlich nicht mit einbezogen. Sie könnten ohnehin nur schwerlich erneut Fuß fassen, denn die Theater- oder die Film-Szene würde sie zweifellos ablehnen. Womöglich gibt es aber auch einige Künstler, die, warum auch immer, in eine solche Rolle hineingeschlittert sind, die gezwungen waren, gute Miene zum bösen Spiel zu machen – auch hierüber werden die Künstler selbst entscheiden. Vielleicht werden sie spezielle Maßstäbe für eine Reputation festlegen.
Welche Ideen und Projekte für die Förderung des kulturellen Lebens sind bislang beim Ministerium eingegangen?
al-Djasairi: Ich werde Ihnen einige Beispiele nennen: Vorgeschlagen wurde die Einrichtung eines Instituts, an dem die Ausbildung zu den verschiedenen Filmberufen erfolgen soll. Hier müssten wir nur ein Gebäude bereitstellen. Bei einem anderen Vorschlag geht es um die Gründung eines Fotografiemuseums, in dem einerseits fotografische Arbeiten ausgestellt werden, dem aber auch Ateliers angeschlossen sind, in denen wiederum eine Ausbildung angeboten wird.
Wie groß ist das Budget, das dem Ministerium für kulturelle Angelegenheiten in diesem Jahr zur Verfügung steht?
al-Djasairi: Unser Budget ist mager. Wir haben ein Budget eigens für die Gehälter und ein Budget für die Projekte, das erschütternd gering ist. Deswegen brauchen wir umfangreiche ausländische Unterstützung, sonst haben wir keinerlei Aussichten auf echte Erfolge. Wir hoffen auf Unterstützung durch die Geberländer. Aber da werden natürlich Prioritäten gesetzt, innere Sicherheit, Strom, Gesundheitsversorgung, das Ministerium für kulturelle Angelegenheiten steht leider ganz hintan.
Aber man wird kaum von echter Demokratie sprechen können, wenn die kulturellen Aktivitäten im Land lahm liegen. Es gibt gewisse Voraussetzungen und Erfordernisse, das müssen die Verantwortlichen einsehen. In diesem Land sind zwei Generationen herangewachsen, die nichts kennen außer der Baath-Partei und der Pseudo-Kultur, die dieses System propagierte. Es bedarf nun einer gewaltigen Anstrengung, um bei den Menschen wieder ein Interesse für die Literatur, das Theater und die anderen Zweige des kulturellen Lebens zu wecken.
Interview Mona Naggar, Qantara.de
© Qantara.de 2004
Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell