Die letzte Bastion der Schönheit
Dem seit mehr als zehn Jahren anhaltenden Krieg zum Trotz bleiben Künstler:innen im Jemen produktiv. Zwar sind nach dem Zusammenbruch staatlicher Institutionen und dem Wegfall offizieller Kulturveranstaltungen viele Intellektuelle geflüchtet. Doch vereinzelte Initiativen haben überlebt und sind zu einem Symbol für kulturellen Widerstand geworden.
Herauszuheben ist der Literaturclub „Al-Maqah“, dem Schriftsteller:innen, Journalist:innen, Lyriker:innen und andere Kunstschaffende innerhalb des Landes und im Exil angehören. In teils virtuellen Workshops sowie in Online-Foren treffen sie auf eine neue Generation von Kulturschaffenden, deren künstlerisches Profil im Schatten des Krieges geformt worden ist.
„Schreiben ist eine Verewigung des Lebens und eine Art, dem Tod Widerstand zu leisten“, sagt Ibrahim Abu Talib, der als Professor für Literatur und Kritik an der König-Khaled-Universität im Nachbarland Saudi-Arabien arbeitet, gegenüber Qantara. „Autor:innen veröffentlichen weiter ihre Werke, um im Krieg Erinnerung und Identität zu bewahren.“
Mittwochs geht’s um Literatur
Der Club wurde 1990 an der Philosophischen Fakultät der Universität in Sanaa von einer Gruppe jemenitischer Autor:innen gegründet, die ihm den Namen „Al-Maqah” gaben. Im Königreich Saba zu vorislamischen Zeiten war al-Maqah der wichtigste Gott. Da er als Gott des Mondes galt, habe der Club auch den Slogan Ein halber farbiger Mond gewählt, erklärt der Schriftsteller Muhammad al-Gharbi Omran, Präsident des Clubs.
Schnell wurde der Club zu einem Treffpunkt für Schreibende. Man traf sich wöchentlich in Cafés, Buchhandlungen oder zu Veranstaltungen. Das Kurzgeschichten- und Romanfestival, damals noch unterstützt vom jemenitischen Kulturministerium, zog Schreibende und Kritiker:innen aus allen Provinzen des Landes und der gesamten arabischsprachigen Welt an.
Doch seit der Machtübernahme der vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen 2014 und dem darauffolgenden Bürgerkrieg zwischen Huthis und Regierungstruppen sind alle Kultur- und Literaturveranstaltungen ausgesetzt. „Al-Maqah“ aber blieb aktiv und arbeitete weiter aus einem kleinen Büro heraus im Gebäude des Verbands ehemaliger Parlamentarier:innen in Sanaa.
Laut al-Gharbi Omran trifft sich der Club aktuell weiter jeden Mittwoch. Teilweise finden die Treffen auch über Zoom statt. Neuveröffentlichungen und vor allem literarische Debüts werden gefeiert und diskutiert. Die Treffen sollen eine Würdigung und Ehrung derjenigen sein, die die jemenitische Literatur bereichern und fördern.
Eins der jüngst diskutierten Werke ist „Die Moderne Literatur des Jemen“ (2025) von Amina Youssef. Die jemenitische Autorin liefert darin eine kritische Lektüre und Analyse fünf jemenitischer Romane, die während des Krieges veröffentlicht worden sind, und zeigt, wie die Erfahrung von Schmerz und Entfremdung sich psychisch und sozial in der jemenitischen Romanfigur zu Zeiten des Krieges widerspiegelt.
Ihre Aktivitäten dokumentieren die Club-Mitglieder auch auf ihren privaten Facebook-Seiten. So ist eine virtuelle Literaturszene entstanden, in der Erfahrungen ausgetauscht werden. Jungen Autor:innen dient sie als Plattform, um ihre Werke zu präsentieren. So veranstaltete der Club im November etwa eine Kurzgeschichten-Lesung unveröffentlichter Autor:innen im Rahmen der diesjährigen Ehrung des bedeutenden jemenitischen Schriftstellers Ahmad Qasim Al-Ariqi.
Strenge Zensur in Huthi-Gebieten
Ibrahim Abu Talib beschreibt „Al-Maqah“ als „letzte Bastion der Schönheit im Jemen.“ Der Club biete Schreibenden auch eine Plattform, um ihren Schmerz auszudrücken, trotz fehlender Förderung seitens des Staats oder der Zivilgesellschaft.
Zain al-Abidin al-Dhabibi, ein jemenitischer Lyriker, der seit vier Jahren in Kairo lebt, merkt an, dass der Zustand der Kultur und die politische Lage im Jemen zusammenhängen; in beiden Bereichen gehe es bergab. „Die Freiheit ist so gut wie ausgelöscht, besonders in den von den Huthis kontrollierten Gebieten”, sagt er gegenüber Qantara. „Dort unterliegt jede Aktivität einer strengen Zensur.“
Der kulturelle Widerstand, betont er, beschränke sich auf kleine Initiativen wie den Literaturclub. Eine Veranstaltung pro Woche oder pro Monat sei „in keiner Weise vergleichbar mit der jemenitischen Kultur, wie wir sie vor dem Krieg kannten“.
Tabu Abtreibung
"Al Murhaqoon“ ("Die Belasteten“) ist der erste jemenitische Langfilm der je auf der Berlinale gezeigt wurde. Ahmed Shawky sprach mit Regisseur Amr Gamal über die Schwierigkeit, im Jemen einen Film zu drehen und über das sensible Thema Abtreibung.
Er fügt hinzu, „dass es dutzende Persönlichkeiten aus der jemenitischen Literaturszene gibt, denen das Einkommen und die Möglichkeiten fehlen, etwas zu verdienen. Das hat viele gezwungen, nicht mehr für Literaturzeitungen und -zeitschriften zu schreiben.” Die wiederum hätten stark darunter gelitten.
Viele jemenitische Kulturschaffende, die sich entschieden haben zu flüchten, haben ihre Werke im Exil veröffentlicht, bei libanesischen oder ägyptischen Verlagen zum Beispiel. Einige erhielten renommierte Literaturpreise, darunter der Journalist und Romanautor Hamid al-Raqimi, der für seinen Roman „Erinnerungsblind“ (عمى الذاكرة) im Oktober mit dem Katara-Preis für arabische Belletristik ausgezeichnet wurde.
Der Club ist nicht ausschließlich jemenitischen Schriftsteller:innen vorbehalten. So werden auch Autorinnen und Autoren aus anderen arabischen Ländern eingeladen, um über ihre Werke zu sprechen. Ein Beispiel ist die ägyptische Lyrikerin Fatima Wahidi, das erste nicht-jemenitische Mitglied des Clubs, die regelmäßig über Zoom aus Kairo teilnimmt.
Wahidi, Autorin des Gedichtbands „Ein Augenblick, bevor die Liebe aufgeht” (قبل مشرق الحب بنبضة), sagt: „Die Diskussionen geben mir ein Gefühl für den Wert meines Schreibens, trotz aller Hindernisse, die meiner Anwesenheit im Weg stehen.“
„Schreiben ist ein Akt des Widerstands“, fügt sie hinzu. „Trotz aller Widrigkeiten halten kreative Menschen im Jemen an der Literatur fest und halten das Feuer der Kunst am Lodern.“
Dieser Text ist eine bearbeitete und leicht gekürzte Übersetzung des arabischen Originals. Übersetzt von Serra Al-Deen.
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