Mit Solidarität und Humor gegen die Krise

Im Libanon geht es wirtschaftlich immer rasanter bergab. Mit Tauschbörsen und Gemeinschaftsprojekten stemmen sich die Libanesen gegen die dramatischen Auswirkungen der Krise. Ansonsten bleibt ihnen nur noch schwarzer Humor, um die Situation zu ertragen. Aus Beirurt informiert Tom Allinson

Von Tom Allinson

Seit März gilt der Libanon als zahlungsunfähig. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp 50 Prozent und die Währung befindet sich im freien Fall: War das libanesische Pfund im vergangenen Herbst noch mit einem Kurs von 1500:1 an den US-Dollar gebunden, zahlt man auf dem Schwarzmarkt inzwischen 10.000 Pfund pro Dollar. Die Grundpreise für Lebensmittel haben sich unterschiedlichen Schätzungen zufolge verdoppelt bis vervierfacht. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung gilt als arm.

Doch auch oder gerade in der Not gehen viele Libanesen weiter zum Protestieren auf die Straße. Die desaströse Lage kommentieren sie mit sarkastischem Humor. So trugen Demonstranten zuletzt in einem Sarg symbolisch das libanesische Pfund - auch Lira genannt - zu Grabe.

"Wenn die Leute hier über etwas lachen, dann meist deshalb, weil sie an der Realität sowieso nichts ändern können", sagt Hussein Yassine, Autor der libanesischen Internetplattform The961, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Damit wollen sie sich nicht über die Entwicklung und ihre düsteren Auswirkungen lustig machen. Es ist für sie einfach eine Möglichkeit, mit der Situation umzugehen."

Proteste im Libanon; Foto: picture-alliance/AP Photo/B. Hussein
Schwarzer Humor in der Krise: "Wenn die Leute hier über etwas lachen, dann meist deshalb, weil sie an der Realität sowieso nichts ändern können", sagt Hussein Yassine, Autor der libanesischen Internetzeitung The961. "Damit wollen sie sich nicht über die Entwicklung und ihre düsteren Auswirkungen lustig machen. Es ist für sie einfach eine Möglichkeit, mit der Situation umzugehen."

Schwarzer Humor ist seit Langem ein Zeichen der Widerstandsfähigkeit in einem Land, in dem derzeit Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente vom Markt verschwinden - weil die zu ihrem Import nötige Fremdwährung schlichtweg nicht mehr vorhanden ist.

Als der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian vergangene Woche Beirut besuchte, ging es um mögliche Reformen, die eine wirtschaftliche Rettung des Landes einleiten könnten. Allerdings blieben die Gespräche ohne greifbares Ergebnis. Libanesische Internetnutzer ulkten später auf Social Media, ihre Regierung werde dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wohl letztlich mit einer Groß-Invasion der libanesischen Nationalspeise Hummus drohen müssen, um ihm doch noch finanzielle Hilfszusagen entlocken zu können.

Solidarisch in der Not

Die Menschen solidarisieren sich allerdings nicht nur über Humor. Die Supermärkte des Landes sehen sich gezwungen, die Preise der wenigen überhaupt noch verfügbaren Waren regelmäßig anzupassen und es kam auch schon zu Hamsterkäufen. Facebook-Gruppen wie die "Libanon-Tauschhändler" sind entstanden. Auf solchen Plattformen tauschen Bürger Haushaltswaren wie Decken, Uhren und Schuhe gegen Lebensmittel, Windeln und Babynahrung. Es gibt mehrere Gruppen dieser Art und viele verzeichnen massiven Zulauf.

Durch Tauschhandel könnten die Menschen an jene Waren kommen, die sie bräuchten, ohne Gegenstände unter Wert verkaufen zu müssen, sagt Nour Haidar, einer der Initiatoren der Gruppe. Die Nutzer würden zudem gebeten, nicht nur Anfragen zu stellen, sondern immer auch aktiv ein Angebot abzugeben - auf diese Weise sollen sie im Netz ihre Würde behalten.

Die Solidarität geht aber noch weiter: Da mehrere Krankenhäuser und Apotheken von einem Mangel an Medikamenten berichten, bieten viele Gruppenmitglieder das, was sie selbst noch an Tabletten im Schrank haben, sogar kostenlos an. "Die Menschen versuchen, für einander einzustehen", so Haidar gegenüber der Deutschen Welle. "Die Solidarität zeigt sich in dieser Situation sehr deutlich."

 

— Kareem Chehayeb | كريم (@chehayebk) May 1, 2020

 

Zugleich zeigt allerdings der Anstieg sogenannter "Hungerverbrechen", dass nicht alle Menschen allein mit Humor und Solidarität durch die Krise kommen. So beobachtet die Polizei eine "neue Art von Diebstahl", wie die Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP) aus Beirut berichtet. Gestohlen würden unter anderem Babymilch, Lebensmittel und Medikamente.

Nicht immer geht dies allerdings schlimm aus, es gibt auch reuige Täter: Letzte Woche habe ihn ein Mann, der Essen für seine Familie benötigte, ausrauben wollen - berichtet etwa der libanesische Bürger Zakaria al-Omar gegenüber AFP. Dann aber habe der Täter sich plötzlich  noch einmal umgedreht, sich vielfach bei ihm entschuldigt und das gestohlene Geld zurückzugeben, sagt al-Omar. "Er hat mir dann erzählt, dass er seinen Job verloren habe und seine Miete nicht mehr zahlen könne. Ich habe ihm geantwortet, dass ich ihm vergebe, und dann ging er auch schon weg", so der beinahe Bestohlene. "Ich hatte Angst. Zugleich war ich aber auch traurig, dass dieser Mann auf diese Art vor mir zusammengebrochen ist."

"Hunger ist Häresie"

Berichte über Menschen, die an der Krise zerbrechen, häufen sich. Vor zwei Wochen nahm sich ein Mann mitten in der Beiruter Haupteinkaufsstraße das Leben. Zuvor hatte er sein - sauberes - Strafregister und eine Notiz mit der Aufschrift "Ich bin kein Ketzer" an einen Baum geheftet. Das Zitat stammt aus einem populären Lied, das diese Zeile so fortführt: "Aber Hunger ist Häresie". Ein Verwandter machte die politische Führung im Land für die Umstände verantwortlich, die zum Tod des Mannes führten.

 

Ähnliche Tragödien gibt es auch unter denjenigen, die ohnehin schon am Rande der Gesellschaft standen. So wurden ausländische Hausangestellte auf die Straße gesetzt, nachdem deren Arbeitgeber ihre Verträge gekündigt hatten. Bisweilen wurden Angestellte auch um ihren Lohn betrogen. Vielen fehlen derzeit die Mittel, um nach Hause zu reisen. Einige finden Schutz bei Wohltätigkeitsorganisationen, während andere vor den Botschaften ihrer Herkunftsländer kampieren.

Rund die Hälfte der Libanesen fürchtet laut einer Umfrage, in einigen Wochen nicht mehr genug zu essen zu haben. Noch mehr sorgen sich allerdings die vielen im Land lebenden Flüchtlinge um ihre Zukunft. So fürchten laut einem Bericht des Welternährungsprogramms WFP gut zwei Drittel der im Libanon lebenden Palästinenser um ihre Ernährung, unter den anderthalb Millionen syrischen Flüchtlingen sind es sogar 75 Prozent. Während viele Libanesen versuchen, das Land zu verlassen, haben die meisten Flüchtlinge diese Möglichkeit nicht.

"Auch ich würde das Land am liebsten bei der erstbesten Gelegenheit verlassen", sagt der Autor Hussein Yassine im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Wir leben in einer sehr schwierigen Situation, und in den kommenden Monaten wird es wohl noch schlimmer - das macht mir wirklich Angst."

Ihren Humor würden die Libanesen aber in jedem Fall behalten, meint Yassine. "Im Libanon ist es einfach so, dass es in jedem Gespräch Humor geben muss, sonst gilt das als schlechte Unterhaltung", kommentiert er. "Wo immer Libanesen leiden, werden Sie auch auf Humor treffen."

Tom Allinson

© Deutsche Welle 2020