Kommt Netanjahu vor den IStGH? Die nächsten Schritte nach Antrag auf Haftbefehl

 Israels Premier Benjamin Netanjahu (Mitte links), hier mit Staatspräsident Izchak Herzog (Mitte rechts) auf dem Weg zu einer Beerdigung eines bei Kämpfen im Gazastreifen getöteten israelischen Soldaten
Der Chefankläger des IStGH hat einen Haftbefehl gegen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu beantragt. Israels Premier Benjamin Netanjahu (Mitte links), hier mit Staatspräsident Izchak Herzog (Mitte rechts) auf dem Weg zu einer Beerdigung eines bei Kämpfen im Gazastreifen getöteten israelischen Soldaten. (Foto: Leo Correa/AP/dpa/picture alliance)

Den Haag - In einer Aufsehen erregenden Entscheidung hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Haftbefehle gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu sowie die Anführer der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas beantragt. Bedeutet das, dass sich Netanjahu wegen des Krieges im Gazastreifen tatsächlich in Den Haag vor Gericht verantworten muss? Fragen und Antworten zu den nächsten Schritten:

Wie wird über die Haftbefehle entschieden?

Chefankläger Karim Khan will neben Netanjahu auch den israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant, den Hamas-Führer im Gazastreifen, Jahja Sinwar, den politischen Chef Ismail Hanija sowie den militärischen Hamas-Führer Mohammed Deif festnehmen lassen. Er legt ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zur Last.
Drei Richter prüfen nun, ob die vorgelegten Beweise den Anforderungen für den Erlass von Haftbefehlen genügen. Es gibt keine feste Frist für die Entscheidung, in der Regel dauert sie mindestens einen Monat. In diesem heiklen Fall könnte sich das Gremium mehr Zeit für die Prüfung nehmen.


Um den Antrag auf Haftbefehle stattzugeben, müsse es "vernünftige Gründe" für die Anklagepunkte geben, sagt Iva Vukusic, die an der niederländischen Universität Utrecht internationale Geschichte lehrt. Die Hürde sei "ziemlich niedrig". "Es ist sicher, dass die Anklage ihren Fall wasserdicht gemacht hat, denn wenn nicht, wäre das eine große Blamage", sagt Vukusic.

Wie werden die Haftbefehle vollstreckt?

Der IStGH hat keine eigene Polizei, um seine Haftbefehle durchzusetzen, und ist deshalb auf die Kooperation der 124 Mitgliedstaaten angewiesen. Sie sind theoretisch verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen, sobald sie sich in ihrem Staatsgebiet aufhalten. Dies könnte Reisen von Netanjahu und Gallant etwa in die EU erschweren. Israels wichtigster Verbündeter, die USA, sind jedoch kein Mitglied des IStGH, müssen die Haftbefehle also nicht vollstrecken.
 

Der Aufenthaltsort von Sinwar und Deif ist unbekannt, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie ins Ausland reisen. Hanija lebt in der Türkei und in Katar, die beide ebenfalls nicht dem IStGH angehören.


Nicht alle Länder hielten sich in der Vergangenheit an die Weisung aus Den Haag. Der ehemalige sudanesische Staatschef Omar al-Baschir besuchte unbehelligt mehrere IStGH-Mitgliedstaaten, unter anderen Südafrika und Jordanien, obwohl gegen ihn ein Haftbefehl vorlag. Der ebenso vom IStGH per Haftbefehl gesuchte russische Präsident Wladimir Putin nahm hingegen nicht am Treffen der Brics-Staaten in Südafrika teil, wo er womöglich festgenommen worden wäre.

Gab es schon Prozesse gegen wichtige Politiker?

Bereits mehrere ranghohe Führer landeten auf der Anklagebank. 2012 verurteilte ein Sondergericht den ehemaligen liberianischen Warlord und späteren Präsidenten Charles Taylor wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit; sein Verteidiger war damals Khan.
Der frühere serbische Präsident Slobodan Milosevic starb 2006 in seiner Zelle in Den Haag, während er vor dem Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien wegen Völkermordes angeklagt war. Und der einstige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic wurde 2008 gefasst und vom Tribunal des Völkermordes für schuldig befunden; auch sein militärischer Anführer Ratko Mladic wurde 2011 festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt.


Im Fall von Netanjahu "gibt es keine Aussicht auf ein sofortiges Gerichtsverfahren", sagt Vukusic. "Aber die Abläufe in der Justiz sind langwierig, und Dinge, die jetzt nicht möglich sind, können in der Zukunft durchaus möglich sein." Auch ohne Prozess sei ein Haftbefehl des IStGH, sollte er bestätigt werden, ein unauslöschlicher "Schandfleck" für die Beschuldigten, ist Vukusic überzeugt.

Welche weiteren Möglichkeiten hat das Gericht?

Der IStGH darf Verdächtige nicht in Abwesenheit verurteilen, aber er kann den Fall weiterverfolgen - wie etwa bei Joseph Kony. Der ugandische Rebellenführer ist weiterhin flüchtig, dennoch will der IStGH im Oktober Anhörungen abhalten, um die Anklage gegen den 62-Jährigen wegen vielfacher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiter zu erhärten.  (AFP)