Opposition ohne Chance

Entgegen der Versprechen der ägyptischen Regierung, für transparente und faire Wahlen zu sorgen, wurden Wähler von ihrer Stimmabgabe abgehalten und Wahlzettel gefälscht. Menschenrechtsorganisationen berichten von gewaltsamen Auseinandersetzungen. Aus Kairo berichtet Amira El Ahl.

Ägyptische Wähler bei der Stimmabgabe; Foto: AP
Spärlich gefüllte Wahlurnen am Wahltag: Wahlbeobachter gehen davon aus, dass nicht mehr als 10 Prozent der 41 Millionen Wahlberechtigten am Sonntag ihre Stimme abgaben.

​​ Zum x-ten Mal blättert die Dame mit dem grauen Twinset nun schon durch das Wahlregister, aber ihr Name lässt sich nicht finden, obwohl sie in diesem Bezirk gemeldet ist.

"Ich gehe hier nicht weg, bis sich das geklärt hat", sagt sie und setzt sich wieder auf die grüne Kinderschaukel. Sie wartet nun schon seit fast vier Stunden. Und sie ist nicht die einzige.

Etliche Frauen kommen und gehen im Laufe des Tages, weil sich ihr Name nicht im Register finden lässt und sie trotz Wahlkarte und gültigem Personalausweis nicht wählen dürfen. Dabei hieß es von offizieller Seite, dass jeder, der seinen Personalausweis und/oder die Wahlkarte vorweisen könne, zur Wahl berechtigt sei.

Die Frauen, die in das für Frauen reservierte Wahllokal in der Qaumniya-Schule im noblen Stadtteil Zamalek kommen, wissen um ihre Rechte. Sie sind Teil der gehobenen Gesellschaft des Landes und viele von ihnen haben beste (Familien-) Beziehungen in die Zentren der Macht.

Die meisten werden hier wohl ihre Stimme den Kandidaten der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) geben. "Es ist eine Schande, was hier passiert", sagt eine Wahlhelferin. "Jeder sollte das Recht haben zu wählen, egal wen. Wir verlieren hier eine Menge Stimmen."

Transparente und faire Wahlen?

41 Millionen Ägypter waren am Sonntag (28.11.2010) dazu aufgerufen, 508 neue Vertreter für das Parlament zu wählen. 444 von ihnen – Männer und Frauen – wurden in 222 Wahlbezirken gewählt. Weitere 64 Sitze sind nur für Frauen bestimmt und wurden in 32 Wahlbezirken gewählt. Insgesamt traten 5064 Kandidaten zur Wahl an.

Wahlkarte einer ägyptischen Wählerin; Foto: Amira El Ahl
Wahlkarte, die eigentlich zur Wahl berechtigt. Diese Frau durfte jedoch nicht ihre Stimme abgeben, weil die Nummer der Wahlkarte und der Name im Register nicht übereinstimmten. Etliche andere Frauen wurden auf diese Art von der Stimmabgabe abgehalten.

​​Die Regierung hatte transparente und faire Wahlen versprochen – auch wenn dieses Mal keine unabhängigen Richter und internationalen Wahlbeobachter in den Wahllokalen zugelassen waren.

Einen Tag nach der Wahl spricht die Regierung dann auch von einem Erfolg; die zuständige Wahlkommission erklärt in einem offiziellen Schreiben von Informationsminister Anas El-Fekky, dass alles in allem der gesamte Wahlprozess geregelt abgelaufen sei.

Doch wer am Montagmorgen die unabhängigen Tageszeitungen aufschlägt oder sich im Internet Videos und Berichte von Aktivisten und Oppositionellen zum Wahltag anschaut, bekommt ein anderes Bild.

Al-Masry al-Youm, die größte unabhängige Tageszeitung, zeigt auf Seite Eins Fotos von Männern in Zivil, die Maschinengewehre in der Hand halten, Männer, die sich mit Schlagstöcken bekämpfen und brennende Straßenbarrikaden. Im Innenteil zeigt eine Bildserie, wie in einem Wahllokal Stimmzettel gefälscht werden.

Auf YouTube werden mit Handys aufgenommene Videos gezeigt, in denen zu sehen ist, wie dutzende Wahlzettel von Wahlhelfern ausgefüllt und in die großen Wahlkisten gestopft werden. Stimmen sollen gekauft worden sein, eine Zeitung schreibt von Preisen bis zu 200 Pfund für das Kreuz an der richtigen Stelle.

Gewalttätige Auseinandersetzungen

"In einem Wahllokal wurden Wähler aufgefordert, ihre Namen auf die Wahlzettel zu schreiben, was diese natürlich ungültig macht", erzählt Israa Abdel Fattah, die für das 'Egyptian Democratic Institute' die Wahlen beobachtet hat. In anderen Wahllokalen saßen unerlaubterweise NDP-Parteimitglieder ohne offizielle Genehmigung, erzählt sie, die erst nach Protesten der Menschenrechtsorganisation die Wahllokale verließen.

Anhänger von Mohamed El-Beltagy vor dem Wahllokal in Shubra El-Kheima; Foto: Amira El Ahl
Anhänger von Mohamed El-Beltagy vor dem Wahllokal in Shubra El-Kheima: Die Moslembrüder, mit 130 Kandidaten ins Rennen gegangen, haben nach ersten Schätzungen kein einziges Direktmandat holen können.

​​ Im Gegensatz dazu wurde akkreditierten Journalisten und Wahlbeobachtern der Zugang oft verwehrt. "Die Wahlen haben gezeigt, dass Ägypten eine Diktatur ist, in der den Menschen ihre Stimme gestohlen wird", sagt Abdel Fattah.

Andere Menschenrechtsorganisationen berichten von bis zu acht Toten, 45 gewaltsamen Zusammenstößen und 180 Festnahmen der Sicherheitskräfte am Wahltag. Das Informationsministerium bestreitet, dass die Todesopfer mit den Wahlen im Zusammenhang stehen und spricht nur von vereinzelten Fällen von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Verletzten.

In Shubra El-Kheima, einem der ärmsten Bezirke der Stadt, stehen am Wahltag Trauben von Menschen vor den Wahllokalen. Die meisten sind gekommen, um dem Kandidaten der Moslembruderschaft Mohamed El-Beltagy zuzujubeln. Die Bruderschaft ist zwar offiziell in Ägypten verboten, ihre Mitglieder können aber als Unabhängige ins Parlament gewählt werden.

Vor fünf Jahren schaffte es El-Beltagy ins Parlament. Er ist beliebt in seinem Wahlbezirk, doch seine Wiederwahl scheint eher unwahrscheinlich. Denn obwohl seine Anhänger zu hunderten vor den Wahllokalen seinen Namen rufen, liegen in den Wahlurnen nur ein paar Dutzend Wahlzettel. Außer den offiziellen Wahlhelfern und Repräsentanten der NDP-Kandidaten ist niemand zu sehen. "Sie lassen meine Anhänger nicht rein zum wählen", sagt El-Beltagy.

Verlierer der Wahl: Demokratie

Spärlich gefüllte Wahlurnen ließen sich am Wahltag in der ganzen Stadt finden.
Wahlbeobachter gehen davon aus, dass nicht mehr als 10 Prozent der 41 Millionen Wahlberechtigten am Sonntag ihre Stimme abgaben.

"Es wird klarer Sieg für die Regierungspartei", erklärt Amr El-Shobaki, politischer Analyst im Ahram Zentrum für Strategische und Politische Studien. Die Moslembrüder, mit 130 Kandidaten ins Rennen gegangen, haben nach ersten Schätzungen kein einziges Direktmandat holen können, 14 ihrer Kandidaten haben jedoch noch die Chance, in der Stichwahl am kommenden Sonntag Sitze zu gewinnen.

Wahlkandidat Mohamed El-Beltagy; Foto: Amir El Ahl
Kandidat der Moslembruderschaft Mohamed El-Beltagy: "Sie lassen meine Anhänger nicht rein zum wählen", sagt er.

​​ Es ist ein herber Rückschlag für sie, denn seit den Wahlen von 2005 waren sie mit 88 Abgeordneten im Parlament vertreten und bildeten damit den größten Oppositionsblock.

Das politische System in Ägypten sei geprägt von Unregelmäßigkeiten in den Wahllokalen. Schlägertrupps, die Wähler einschüchtern, und Korruption seien die Folge, sagt Amr El-Shobaki: "Der große Verlierer dieser Wahl heißt Demokratie, der Gewinner Chaos und Gewalt."

Ein Wandel ist in Ägypten in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, prophezeit der Analyst. "Wahlen ändern hier nichts am System." Und auch auf die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr habe das Ergebnis keine Auswirkungen. "Da wird es ein Arrangement geben und der Gewinner – natürlich ein Kandidat der NDP – wird schon im Vorfeld feststehen."

Mit einer absoluten Mehrheit im Parlament und einer marginalisierten Opposition kann die NDP nun die kommenden fünf Jahre ungestört durchregieren.

Amira El Ahl

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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