"Wir sollten die sudanesischen Generäle wie Kriegsverbrecher behandeln"

Die Vertreter der sudanesischen Zivilgesellschaft haben einen verhängnisvollen Fehler begangen, als sie sich auf dem Höhepunkt der Volksrevolution auf eine Machtteilung mit dem Militär einließen. Durch unnötige Konzessionen und ihr blindes Vertrauen in die Versprechungen der Armee tragen sie eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation, meint Ali Anouzla in seinem Kommentar.
Die Vertreter der sudanesischen Zivilgesellschaft haben einen verhängnisvollen Fehler begangen, als sie sich auf dem Höhepunkt der Volksrevolution auf eine Machtteilung mit dem Militär einließen. Durch unnötige Konzessionen und ihr blindes Vertrauen in die Versprechungen der Armee tragen sie eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation, meint Ali Anouzla in seinem Kommentar.

Vertreter der sudanesischen Zivilgesellschaft haben einen verhängnisvollen Fehler begangen, als sie sich auf eine Machtteilung mit dem Militär einließen. Sie tragen durch ihr Vertrauen in seine Versprechen eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation, meint der politische Analyst Ali Anouzla in seinem Kommentar.  

Essay von Ali Anouzla

Seit knapp zwei Wochen liefern sich die beiden sudanesischen Generäle Abdel Fattah al-Burhan und sein ehemaliger Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, einen brutalen und unbarmherzigen Kampf um die Macht und nehmen dabei zahlreiche Tote, Vertreibung und Zerstörung in Kauf. Noch immer hoffen Akteure im In- und Ausland auf eine politische Lösung in Form einer Machtteilung zwischen den beiden Kontrahenten. 

Ein derart aussichtsloser Versuch mag gut gemeint sein. Tatsächlich aber werden so die blutigen Ambitionen der beiden machthungrigen Generäle erst recht befördert. Denn selbst im unwahrscheinlichen Fall einer politischen Lösung käme es lediglich zu einer neuen Waffenruhe und nach einer kurzen Erholungspause wäre ein Wiederaufflammen des Konflikts vorprogrammiert.



Die blutigen Ereignisse der vergangenen Tage haben die autoritären Bestrebungen der beiden Generäle ans Tageslicht gebracht. Es wird nur schwer möglich sein, ihren verlogenen Zusagen in Zukunft noch Glauben zu schenken. 

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Aber waren die Verluste an Menschenleben und die Zerstörung von Flughäfen und Krankenhäusern wirklich nötig? Das Töten von Hunderten und die Vertreibung von Hunderttausenden? Der drohende Bürgerkrieg und die damit sicherlich einhergehende Zersplitterung des Sudan in rivalisierende Kleinstaaten, wie in Libyen und im Jemen oder - Gott bewahre - gar das Szenario eines zweiten Somalia? 

Naives Vertrauen in die Versprechen der Armee

Die Antwort darauf war schon vier Jahren vor Ausbruch dieses wahnsinnigen Krieges bekannt. Nach dem Sturz von Diktator Omar al-Bashir durch die Volksrevolution vertrauten die zivilen Oppositionskräfte den Versprechen der Armee, die ihren Kopf hingehalten hatte, um das Regime selbst zu erhalten. Schon damals gab es zahlreiche Warnungen vor zu viel Vertrauen in das Militär. Viele zweifelten von Anfang an daran, dass es eine Machtteilung mit zivilen Politikern auf Dauer hinnehmen würde. 

Schon die vom Militär vorgeschlagene dreijährige demokratische Übergangsphase vor der Machtübergabe an eine zivile Regierung war ein Indiz für seine unredliche Absichten. Eine derart lange Übergangszeit angesichts der Fülle an zu bewältigenden Aufgaben deutete aufarglistige Hintergedanken. Diese traten nach dem Putsch vom Oktober 2021 offen zutage - ein Jahr vor Ablauf der Übergangsphase. 

Aber noch immer haben viele die Lektion nicht gelernt und wieder unternahmen die Militärs Versuche, die demokratische Übergangszeit um zwei weitere Jahre zu verlängern. Schon allein die Verhandlungen darüber dauerten 19 Monate lang. Als das "politische Abkommen“ schließlich vereinbart war, kam es innerhalb der Armee selbst zu Konflikten, die in dem brutalen Krieg dieser Tage mündeten.

 

 

Zu viele Zugeständnisse an das Militär

Kann man jetzt noch Vertrauen in eine Institution haben, deren Geschichte seit ihrer Gründung von Blutvergießen und Umstürzen geprägt war? Kann man sich allen Ernstes auf zwei Generäle verlassen, die erst gegen Omar al-Bashir putschten und dann gegen ihre zivilen Regierungspartner? Heute putschen sie gegeneinander und gegen das Volk, das zum Spielball ihrer persönlichen Interessen und autoritären Ambitionen geworden ist! 

Als sich die zivilen Politiker auf dem Höhepunkt der Volksrevolution mit dem Militär zusammensetzten, begingen sie eine Reihe von verhängnisvollen Fehlern: Sie machten Zugeständnis über Zugeständnis und zeigten blindes Vertrauen in die Versprechen der Armeeführung. Sie schlossen einen heiklen Pakt zur Teilung der Macht und stimmten schließlich einer Verlängerung der Übergangsphase zu, was einige von ihnen sogar verteidigten. 

Alle, die sich in die Hände dieser beiden kriminellen Generäle begeben haben, tragen eine Mitverantwortung für die aktuellen Geschehnisse im Sudan. Sie zu unterstützen und ihre Verbrechen vor und nach der Revolution zu ignorieren, kommt nicht nur einer Beleidigung der Intelligenz der Sudanesen gleich.



Es missachtet auch diejenigen, die in der Revolution von 2019 als Märtyrer ihr Leben ließen, kaltblütig erschossen durch Kugeln der Armee und der Rapid Support Forces (RSF). Unvergessen bleibt auch die Rolle der Vereinten Nationen, die die beiden Generäle durch eine Art politische "Reinwaschung“ als vertrauenswürdige Partner in der Übergangsregierung international hoffähig machten.



Regionale Staaten und Großmächte behandelten sie wie respektierte Staatsmänner und kümmerten sich nur um ihre eigenen Interessen im Sudan. Das erklärt auch, warum sie heute aus dem Land fliehen und das in Geiselhaft genommene sudanesische Volk seinem Schicksal überlassen.

Zerstört sind alle Hoffnungen auf ein zivil geführtes und demokratisches System in einem Land, das seit seiner Unabhängigkeit vor mehr als sechs Jahrzehnten durch die Willkürherrschaft und Sabotage der Armee bereits viel durchlitten hat. 

Der marokkanische Publizist Ali Anouzla; Foto: privat
"Man hätte al-Burhan und Hemedti von Beginn der Volksrevolution an mit aller Härte und Offenheit wie Kriegsverbrecher behandeln sollen," schreibt der marokkanische Publizist Ali Anouzla. "Nach allem, was sie ihrem Land und ihrem Volk angetan haben, gehören sie nicht an die Schalthebel der Macht, sondern ins Kobar-Gefängnis, wo bereits ihr früherer Präsident Omar al-Bashir einsitzt. Die internationale Gemeinschaft sollte ihren Umgang mit den Kriegsgenerälen des Sudans überdenken und sie so behandeln, wie sie es schon mit den Generälen Myanmars tat. Denn die Verwüstung, das Chaos und die durch al-Burhan und Hemedti verübten Verbrechen gegen ihr Volk und ihr Land sind nicht geringer als das, was jene Generäle in Myanmar angerichtet haben."

Wie lange wird der Todestanz der Generäle dauern?

Die aktuellen Geschehnisse im Sudan sind ungeheuerlich. Ein angeschlagenes Land geht vor den Augen der Welt in Flammen auf und niemand kann sagen, wie lange der Todestanz der beiden Generäle noch andauern wird. Sie scheinen bis zum äußersten entschlossen und scheren sich nicht um die Rufe nach Waffenstillstand und Zurückhaltung aus Washington, London, Paris und womöglich aus Moskau, Peking, Teheran, Algier, Riad oder Kairo, von zahlreichen Organisationen, der UNO, der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga oder der EU.



Auf internationaler Ebene herrscht Konsens darüber, dass die Einheit und Stabilität des Sudan gewahrt werden müssen und mit Ausnahme der beiden am Rande des Wahnsinns agierenden Generäle hat niemand ein Interesse daran, dass das Land weiter im Chaos versinkt. 

Die Ambitionen der beiden Kontrahenten sind kaum zu vereinen. Ein langwieriger Bürgerkrieg scheint unausweichlich und bedroht die Stabilität einer ganzen, höchst fragilen Region. Denn, selbst wenn sich der Krieg kurzzeitig wieder beruhigen sollte, so würden die beiden Widersacher ihn bald von neuem anfachen oder ein dritter General würde aus dem militärischen Establishment heraustreten und den Konflikt mit seinem Ehrgeiz neu entfesseln.  

Man hätte al-Burhan und Hemedti von Beginn der Volksrevolution an mit aller Härte und Offenheit wie Kriegsverbrecher behandeln sollen. Nach allem, was sie ihrem Land und ihrem Volk angetan haben, gehören sie nicht an die Schalthebel der Macht, sondern ins Kobar-Gefängnis, wo bereits ihr früherer Präsident Omar al-Bashir einsitzt. 

Die internationale Gemeinschaft sollte ihren Umgang mit den Kriegsgenerälen des Sudans überdenken und sie so behandeln, wie sie es schon mit den Generälen Myanmars tat. Denn die Verwüstung, das Chaos und die durch al-Burhan und Hemedti verübten Verbrechen gegen ihr Volk und ihr Land sind nicht geringer als das, was jene Generäle in Myanmar angerichtet haben. 

Ali Anouzla 

© Qantara.de 2023 

Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk. 

Ali Anouzla ist ein marokkanischer Autor und Publizist sowie Chefredakteur der Website "Lakome". Er hat mehrere marokkanische Zeitungen gegründet und redaktionell geleitet. 2014 erhielt er den Preis "Leaders for Democracy" der amerikanischen Organisation POMED (Project on Middle East Democracy).