Grenzgänger des guten Tons

Trotz der Schikanen religiöser Tugendwächter hat sich nach 25 Revolutionsjahren in Iran eine vitale Rock- und Popszene herausgebildet. Doch obwohl ihre Popularität ungebrochen ist, fristen viele Bands im Mullahstaat bis heute ein Schattendasein.

Trotz der Schikanen religiöser Tugendwächter hat sich nach 25 Revolutionsjahren eine vitale Rock- und Popmusikszene in Iran herausgebildet. Doch obwohl ihre Popularität bei den Jugendlichen ungebrochen ist, fristen viele Underground-Bands im Mullahstaat bis heute ein Schattendasein. Arian Fariborz berichtet

Foto: &copy Tehranavenue.com
O-Hum Musiker Sharbaf und Izadkhah

​​Ohrenbetäubende E-Gitarrenriffs, rasantes Schlagzeugstakkato, verzerrte Sounds der persischen Instrumente Kermantscheh oder Sas und immer wieder der eindringliche Refrain des Sängers Sharam Sharbaf: "Goftam gham-e to daram, gofta ghamat sarayad...!" ("Ich sagte: Ratlos bin ich deinethalben; Du sagtest, zu guter Letzt wär´ auch Rat!") - Verse des berühmten klassischen persischen Dichters Hafez.

Foto: O-Hum website
O-Hum-Konzert in Teheran

​​Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt, der kleine Saal bebt, das Publikum ist begeistert: Typen mit langen Haaren und freiem Oberkörper steigen auf die Bühne und versuchen sich im "Stage-Diving". Andere, in modische Jeans- und Lederjacken gehüllt, stehen vor der Bühne und wiegen sich gemeinsam mit ihren unverschleierten Freundinnen im Takt der Musik...

Eine unorthodoxe Konzert-Arena

So oder ähnlich hat es sich wohl abgespielt, das legendäre Konzert der persischen Independent-Rockband O-Hum - glaubt man zumindest den Erzählungen ihres Bassisten Babak Riahipour: "Wir hatten nur einen einzigen Auftritt, und das war in der russisch-orthodoxen Kirche in Teheran", erinnert sich der heute 34jährige Musiker und deutet auf die zahllosen Schnappschüsse von dem Auftritt. "Das war im März 2001. Schon damals genossen wir wirklich einen sehr hohen Bekanntheitsgrad unter den jungen Leuten!"

Foto: TehranAvenue
O-Hum-Konzert in Teheran

​​Ein Rockkonzert mitten im Herzen der Islamischen Republik? In einem Staat, in dem westliche Musik generell als religiöser Affront bewertet und als dekadentes Teufelszeug gebrandmarkt wird? Wohl eine Ausnahme, denn möglich war dies nur mit Hilfe von Vertretern der russisch-orthodoxen Religionsgemeinschaft, die im islamischen Staat als "Schutzbefohlene" über kulturelle Veranstaltungen in ihren Gemeindehäusern frei verfügen dürfen.

Im Clinch mit den Tugendwächtern

Doch mit diesem einmaligen Konzert wollte es das Rocktrio nicht belassen – wenig verwunderlich, angesichts ihrer wachsenden Popularität im In- und Ausland. Die Nachfrage nach Kassetten und CD´s der Band stieg gewaltig an, so dass sich die Gruppe dazu durchrang, von ihrem Untergrund-Dasein Abschied zu nehmen und ein Album zu veröffentlichen.

Ein gewagter Schritt und – wie sich wenig später herausstellte – ein Spießrutenlauf, der heute geradezu symbolisch für das Scheitern vieler junger Rock- und Popformationen in Iran steht. Denn in der Regel haben sie keine Chance, ihre Musik zu veröffentlichen, sofern sie nicht den strengen Auflagen des Ministeriums für Kultur und islamische Führung ("Ershad") entsprechen, erklärt O-Hum Bassist Babak Riahipour:

"Eigentlich muss man, bevor man ein Album aufnimmt, dort ein Demo-Band vorlegen. Aber das haben wir nicht gemacht, wir sagten: Egal! Erst mal nehmen wir das Album auf, und dann geben wir das einem Produzenten, der sich um die Genehmigung kümmert. Dieser Weg führte aber nicht zum Erfolg, denn sie waren einfach gegen alles: Sie waren gegen die Musik, sie waren gegen den Gesang, sie waren gegen die Hafez-Gedichte und meinten nur zu uns: Ihr seid ein wilder Haufen und was weiß ich!"

Das Aus für O-Hum

Auch der Versuch, ein Konzert in der Teheraner Farabi Hall zu geben scheiterte am Widerstand des Veranstalters und vor allem des "Ershad"-Ministeriums. Und das, obwohl sich O-Hum Sänger Shahram Sharbaf dazu durchrang, mehrfach den Gang ins verhasste Ministerium zu wagen, um dort vor versammelter Riege islamischer Tugendwächter vorzusingen. Nachdem alles nicht funktionierte, packte er resigniert die Koffer und ging mit seinem Band-Kollegen Sharokh Izadkhah zeitweilig ins Exil nach Kanada. Die Band O-Hum wurde offiziell verboten.

Die iranische Journalistin Shadi Vatanparast beschreibt das Dilemma junger Musiker und welchen demütigenden Statuten sie sich bis heute stellen müssen, sofern sie ihre Werke veröffentlichen wollen: So ist das "Ershad"-Ministerium von der Regierung mit der Aufsicht über die Musikproduktion des Landes beauftragt. Das Zentrum für Musik im Ministerium muss der Musik zustimmen, damit sie in den Plattenläden vertrieben werden kann. Es gibt drei Beurteilungsinstanzen:

  • Das Musikkomitee, das die musikalische Qualität des Werks bewertet. Es besteht aus einem Musiker und zwei Wissenschaftlern.
  • Das Textkomitee. Es besteht aus mehreren wohlbekannten Dichtern. Die Leitlinien dieser Stelle sind nicht bekannt.
  • Bis vor kurzem gab es zudem das Gesangskomitee. Ein berühmter Sänger testete die stimmlichen Fähigkeiten der Aspiranten. Das Problem war hier, dass er nur akademische Musik akzeptierte und alles außerhalb konventioneller oder klassischer Musik beargwöhnte.

Musikerinnen sind von den Restriktionen besonders betroffen. Denn bis heute werden Frauenstimmen offiziell nur im Chor zugelassen, Sologesänge sind tabu. Die iranischen Behörden wachen nach wie vor streng über die Einhaltung der religiösen Vorschriften. Sologesänge von Frauen werden - wenn überhaupt - nur unter dem Ladentisch gehandelt.

Strategien gegen Verbote

CD-Cover Dare Ghali von Raz-e Shab
CD der Band Raz-e Shab

​​Doch die Not macht viele Pop-Bands erfinderisch, wie beispielsweise die Rockband Raz-e Shab. Ihr Pianist, Rahmin Behna, erzählt, worauf es dabei ankommt: "Wir haben bis jetzt versucht, das in unserer Musik auch Solostimmen von Frauen öffentlich zu hören sind. Aber leider wissen wir immer noch nicht so genau, wo da die Grenzen des Tolerierbaren verlaufen."

Behna verwendete schließlich für seine Band-Aufnahmen zwei Frauenstimmen, die beide aber so harmonisch waren, dass sie wie eine einzige Stimme klangen:

"Bei Raz-e Shab habe ich auch eine Frauenstimme höher ausgesteuert, so dass man ihre Stimme alleine hören konnte. Das war auf einem Live-Konzert, wo man das eher machen kann. Viele Fans waren damals verblüfft und haben uns gefragt: Sagt mal - habt Ihr etwa eine Solo-Sängerin? Also, bei Live-Konzerten kann man das machen, bei CD-Aufnahmen gibt es aber Probleme."

Das Internet als alternative Musikplattform

Auch setzen viele iranische Bands verstärkt auf das Internet, um sich mehr Gehör zu verschaffen. Rock- und Popgruppen, wie O-Hum, Sarakhs, 127 oder Meera verfügen alle über professionell gestaltete Websites, auf denen die Bands ihre Songs zum Probehören für ihre wachsende Fangemeinde anbieten, mit der sie im ständigen Email-Kontakt stehen. Seitdem ist ein wahrer Musikboom in Iran angebrochen.

Foto: Meera website
Rockband Meera

​​Die online-Kulturzeitschrift TehranAvenue wiederholte ihren "Underground Music Contest" im vergangenen Dezember unter dem Namen "TehranAvenue Music Open" (TAMO) – ein Wettbewerb, an dem derzeit insgesamt 42 Bands teilnehmen. Die iranischen Internetuser können auf der Seite ihre Favoriten hören und der besten Band ihre Stimme geben.

Die Musikangebote sind verblüffend vielfältig und reichen von persischem Punk, Heavy Metal, Rock bis hin zu Reggae, Funk, Electronic Fusion und Jazz.

Der Blick nach Westen

Die Zeiten, in denen sich die jüngere Generation ausschließlich an der offiziell zugelassenen klassischen persischen Musik im nachrevolutionären Iran orientierte, sind vorbei. Verblasst sind auch die einstigen Idole der Schah-Zeit, wie Kourosh Yaghmaie, Viguen oder Gougoush. Die iranische Jugend geht längst eigene Wege. Dabei ist ihr Blick vor allem nach Westen gerichtet.

Ihre Vorbilder sind oft westliche Artrock-Bands der 70er Jahre, wie Pink Floyd oder Jethro Tull. Aber auch die elegische Härte von Metallica erfreut sich in der Rock-Gemeinde des Mullah-Staates großer Beliebtheit.

Wesentlich interessanter und lebendiger ist ihre Musik im Vergleich zur seichten Kommerzmusik aus Los Angeles oder "Teherangeles" allemal – eine Stadt, in die die meisten iranischen Popmusiker nach der Revolution geflohen sind.

Lange Zeit hatte der "LA-Pop", an den iranischen Sittenwächtern vorbei, den iranischen Musikmarkt überflutet. In einer Zeit, in der Popmusik aus dem Westen gänzlich verboten war, war der Geheim-Import aus Amerika ohne Konkurrenz.

Musiker zwischen Anpassung und Protest

Dass unter den Bedingungen eines Landes, in dem derartige Musik grundsätzlich als Teufelswerk gilt, überhaupt eine künstlerisch ambitionierte und in vieler Hinsicht unangepasste Popszene entstehen konnte, ist verblüffend genug.

Rahmin Behna von Raz-e Shab blickt auf die Anfänge des Aufbruchs zurück: "Inoffiziell hat das ja bereits vor 10 Jahren begonnen. Musik war verboten, also hat man zu Hause, privat gespielt und geprobt – heimlich und im Untergrund. Zur selben Zeit sind auch viele neue Ideen entstanden, sehr gute Ideen. Ich glaube aber, dass sich der Erfolg erst nach einigen Jahren zeigen wird."

Nach wie vor stehen viele Bands vor dem Problem, ihre Musik nur im Ausland vermarkten zu können. Außerdem mangelt es an professionellen Musikproduzenten, geeigneten Proberäumen und Equipment.

Foto: TehranAvenue
Heavy Metal Band Amertad

​​Obwohl sich seit der Ära Chatami einiges verbessert hat und bestimmte Popbands, wie z.B. die Gruppe "Arian", sogar auf die Unterstützung und Vermarktung durch das "Ershad"-Ministeriums bauen können, bleibt die Lage für viele unangepasste Aktivisten der Rock- und Popszene schwierig. Denn die Reformen beschränken sich zumeist auf eine Lockerung der Restriktionen im alltäglichen Leben.

Geht es hingegen um musikalische Präsenz in den Medien sowie in der Öffentlichkeit, so ist der Kontrollapparat des "Ershad"-Ministeriums allgegenwärtig.

So sehr man sich freuen mag, dass in einer Diktatur eine eigenwillige und kreative Rock- und Popszene entstanden ist, sollte man die Lage dennoch nüchtern betrachten: Die bisweilen zu beobachtende Kooperation von jungen Bandmusikern mit den Machthabern erfolgt notgedrungen – Pragmatismus als Überlebensstrategie.

Für die meisten jungen Bands, wie O-Hum oder Raz-e Shab, ist und bleibt die Ausübung ihres Berufs im Iran eine Gratwanderung – zwischen Anpassung und Protest – eine Reise in eine ungewisse Zukunft.

Arian Fariborz

© Qantara.de 2004

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