Austausch mit Islamisten

Der Dialog zwischen dem Westen und der islamischen Welt wird auf vielen Ebenen geführt. Der malaysische Politikwissenschaftler Dr. Farish Noor hat sich nun in einer Veranstaltungsreihe der Aufgabe gewidmet, den bisherigen Dialog kritisch zu beleuchten.

Farish Noor; © ZMO
Farish Noor sucht den Dialog mit Wissenschaftlern, die für eine Islamisierung ihrer Gesellschaften eintreten

​​Das Zentrum Moderner Orient (ZMO) wurde 1996 als außeruniversitäres geisteswissenschaftliches Zentrum in Berlin gegründet. Interdisziplinär und historisch-vergleichend befasst es sich mit überwiegend islamisch geprägten Gesellschaften des Nahen Ostens, Afrikas, Süd- und Südostasiens.

Der malaysische Politikwissenschaftler Dr. Farish Noor, der seit 2003 am ZMO über den Islam in Südostasien forscht, veranstaltete hier im Kontext seiner Forschung über die Säkularisierung islamischer Institutionen Ende November eine Studien- und Lehrreise für Islamaktivisten aus Malaysia und Indonesien.

Das neuartige Dialogkonzept hat den Ansatz, die praktischen Probleme und Konflikte der beteiligten Aktivisten und Politiker als Plattform der Kommunikation zu nutzen. Der Dialog soll explizit mit den Vertretern der islamischen Welt gesucht werden, die in der westlichen Welt als Islamisten stigmatisiert werden und somit als Kommunikationspartner oftmals einen schweren Stand haben.

Der klassische Dialog zwischen intellektuellen Islamspezialisten und gemäßigten Muslimen, "wie das sonst immer zwei, drei Tage in Fünfsterne-Hotels passiert," so Noor, soll von einem neuen Dialogmodell mit mehr Zeit und bisher vernachlässigten Partnern abgelöst werden.

Breites Spektrum an Meinungen

Deshalb konfrontierte Noor seine Gäste, die alle vehement für die Islamisierung ihrer Gesellschaft eintreten - sei es im Rechtssystem, im Bildungssektor oder in sozialen Bereichen - mit Vertretern vergleichbarer Gruppierungen aus der säkularen Demokratie Deutschlands.

Der unterschiedliche Hintergrund der dreizehn Teilnehmer, von Menschenrechtsaktivisten über Anwälte, Journalisten und Parteifunktionäre, bot bereits ein breites Spektrum an Meinungen. Dies wurde durch ein vielseitiges Programm von Vorträgen, Seminaren und öffentlichen Diskussionen noch erweitert.

Hinzu kamen Treffen mit Vertretern deutscher Parteien, wie der SPD, der PDS oder den Grünen, mit Journalisten und Vertretern christlicher Organisationen wie MISSIO.

Als säkularer Linker, wie Farish Noor sich selbst bezeichnet, befasst er sich seit über zehn Jahren mit dem Dialog zwischen der islamischen und der westlichen Welt. Durch seine lange und intensive Erfahrung in der akademischen Arbeit mit islamischen Aktivisten, Menschenrechtlern und Wissenschaftlern des politischen Islam sah er die Notwendigkeit, ein neues Konzept des Dialogs zu entwickeln.

"Selbstverständlich ist der politische Islam ein sehr komplexer Themenbereich", erklärte Noor, es gebe zahlreiche Organisationen und Parteien mit unterschiedlichen Zielen und Vorstellungen.

Keine Tabuthemen

Betrachte man die Islamic Party (PAS) in Malaysia oder die Justice Party (PKS) in Indonesien, die für einen islamischen Staat eintreten, so Noor, "fällt allerdings auf, dass sie sich auf politischer Ebene mit den gleichen Kernthemen befassen, wie europäische Parteien."

Auch die islamischen Parteien setzten sich folglich für soziale Gerechtigkeit oder die Verbesserung des Bildungs- und Gesundheitssystems ein. "Diese Tatsache wird im aktuellen Dialog, in dem es hauptsächlich um Religion oder scheinbar unüberwindbare Differenzen geht, meist unterschlagen."

Interview mit Hatta Ramli und Farid Shahran aus Malaysia

"Gewalt hat nichts mit dem Islam zu tun"

Skyline von Kuala Lumpur, der Hauptstadt Malaysias; Foto: dpa-Fotoreport

​​Malaysia förderte in den letzten Jahren die Islamisierung der Gesellschaft. Die malaysischen Islamaktivisten Hatta Ramli und Farid Shahran sprechen mit Anna Zwenger über Demokratie, die Islamisierung und über ihre Erfahrungen mit Europa. Beide waren Teilnehmer der von Farish Noor in Berlin organisierten Studien- und Lehrreise für Islamaktivisten aus Malaysia und Indonesien. Mehr ...
Für Noor war während der gesamten zwei Wochen vor allem wichtig, dass "es keine Tabuthemen, keine gespielte Höflichkeit" gibt. So wurde mitunter auch scharfe gegenseitige Kritik geübt.

Vision eines neuen Netzwerks

Trotzdem ist der Dialog ohne feindselige Konnotation gelungen. In vielen Gesprächen und Diskussionen kam immer wieder das Thema des deutschen Sozialstaates auf. "Es zeigte sich", so Noor, "dass die geladenen Gäste großes Interesse an der Realisierung und Erhaltung eines derartigen Staatssystems in Zeiten der wirtschaftlichen Globalisierung haben."

Das Konzept scheint erfolgreich gewesen zu sein. "Alle Beteiligten haben einen enormen Gewinn davon getragen", fasst der Politikwissenschaftler Noor zusammen, "ein vielseitiger und ausführlicher Austausch ist möglich geworden", ein Dialog jenseits von Vorurteilen und Stereotypisierungen.

Die Vision dieser Veranstaltung bleibt es, ein zukünftiges Netzwerk aufzubauen, in dem diese Art des neuen Dialogs fortgesetzt wird. Und damit soll letztlich eine funktionierende Kooperation zwischen extremen Positionen geschaffen werden, die trotz Differenzen zu Verständnis und Austausch führen.

Anna Zwenger

© Qantara.de 2006

Qantara.de

Islamistische Parteien im Maghreb
Zähmung durch politische Einbindung
In Algerien und Marokko können sich islamistische Parteien seit mehreren Jahren am politischen Prozess beteiligen. Sie sind dadurch pragmatischer und kompromissbereiter geworden. Umgekehrt hat die Nulltoleranz-Strategie gegenüber Islamisten in Tunesien den autoritären Charakter des Staats in erheblichem Ausmaß verstärkt. Von Isabelle Werenfels

Dialog der EU mit Islamisten
Kein Frieden in Nahost ohne Hamas und Hizbullah?
Mitte April 2005 verständigten sich die 25 Außenminister der EU, auch mit islamistischen Gruppierungen in einen Dialog zu treten. Ein richtiger Ansatz, meint der Publizist Michael Lüders, da diese in den Friedens- und Demokratisierungsprozess einbezogen werden müssten.

Dialog
Der Westen muss jetzt mit den Islamisten sprechen
Durch kritischen Dialog kann Einfluss genommen werden auf die dynamischsten politischen Bewegungen der arabischen Welt, die zu religiösen Demokraten wurden, schrieb der ägyptische Politologe Amr Hamzawy in der Neuen Zürcher Zeitung.

www

Zentrum Moderner Orient