Gegen die Arroganz der Macht
Im Iran spricht niemand mehr von Wahlbetrug. Längst drehen sich die Debatten um die Ignoranz des Regimes gegenüber der Bevölkerung und die Geringschätzung ihres Denkvermögens, schreibt die iranische Kulturjournalistin Parandis Ahmadi*.
Die Präsidentschaftswahlen waren den Iranern anfangs noch kaum der Rede wert, geschweige denn wichtig genug, um dagegen zu protestieren. Die Debatten drehten sich im Vorfeld der Wahlen immer wieder darum, dass der Gewinner ja ohnehin bereits feststehe. Und nicht wenige Iraner erklärten, dass all diejenigen, die dieses System gutheißen, schon immer Mörder oder Diebe gewesen seien.
Aber solche Stimmen und Flüche verhallten stets in den eigenen vier Wänden. Alle warteten darauf, dass eines Tages jemand kommen würde, der eine neuerliche Revolution entfacht. Doch wie sagte bereits der persische Dichter Akhavan-e Thaleth:
"Wenn es schon keine Hoffnung gibt, dass ein Erretter wie Nader Shah kommt, dann soll doch lieber gleich ein Verwüster wie Alexander der Große kommen..." (Eine Anspielung auf den iranischen König und erfolgreichen Eroberer Nader Schah, der die Grenzen Irans ausdehnte, sowie Alexander den Großen, der Persepolis in Flammen aufgehen und das Persische Reich der Achämeniden untergehen ließ.)
"Lass die Leute hungern, damit sie gehorchen!"
Faktisch befanden sich die Iraner in einer Situation, in der sie Courage, Stolz, Freiheitsstreben und selbst Rachegefühle verloren gegangen glaubten. Die iranische Regierung hatte etwas getan, dass Agha Mohammad Khan – ein despotischer iranischer König und Begründer der Qajaren-Dynastie– als einzigen Weg bezeichnet hat, über die Iraner zu herrschen: "Lass die Leute hungern, damit sie dir stets gehorchen!"
Was ist in 30 Jahren Islamische Republik geschehen?
Nach der Revolution wurden zunächst zahllose Frauen und Männern, ohne ihr Verbrechen zu kennen, getötet und viele politische Führer und Oppositionelle hingerichtet oder ins Exil getrieben. Zahllose junge Menschen fielen im iranisch-irakischen Krieg, die Bevölkerung kämpfte ums wirtschaftliche Überleben und dachte in dieser kritischen Phase vor allem an den Schutz der eigenen Familie.
In den 1980er Jahren legten die Basij-Milizen und die Sittenpolizei bei ihren Straßenkontrollen keinen besonderen Wert darauf, ob man ledig oder verheiratet war. Aber sie prüften, ob man Alkohol konsumiert hatte und durchsuchten den Kofferraum.
Entdeckten sie Alkohol, Videogeräte, Filme oder verbotene Musikkassetten, ließen sie dann ihre Macht spielen: Man wurde verhaftet und in den Arrestzellen ausgepeitscht. Die "größte Sünde" begingen vor allem junge Männer und Frauen, die gemeinsam auf der Straße spazieren gingen. Es gab eine Zeit, in der sie unverheiratete Paare, die sie aufgriffen, sogar zwangsverheirateten.
Eine Bevölkerung trägt Schwarz
Damals war die Farbe unserer Bevölkerung Schwarz, Grau und Braun. Schon in der Grundschule durften die Kinder nicht einmal bunte Strümpfe tragen.
Anfang der 1990er Jahre, mit der Verbreitung von Computer und Internet, änderte sich die Farbe im Leben der Bevölkerung. In Iran sieht man die Menschen nicht so offensichtlich, wie sie wirklich sind: Zuhause sind sie frei und bunt, aber auf der Straße tragen sie schwarz und die Farbe der Trauer.
Die fröhlichen Farben der verschiedenen Sender und die Klänge abwechslungsreicher Musik, lösten in der Gesellschaft schließlich einen Wandel aus. Zwar sind Satellitenprogramme im Iran noch immer verboten. Doch obwohl die Iraner ständig mit Kontrolleuren konfrontiert sind, die in ihre Wohnungen eindringen und die Satellitenanlagen konfiszieren, laufen die Programme schon nach recht kurzer Zeit wieder.
Schritt für Schritt wurde der Wunsch der Bevölkerung nach Veränderung auch anhand der Bekleidung der Frauen sichtbar. Und: Die Menschen wollten endlich wieder selbstbestimmt Musik hören, und nicht nur iranisch-traditionelle Klassik. Zuerst gab die staatliche Fernseh- und Rundfunkanstalt nach, dann das Ministeriums für Kultur und islamische Führung ("Ershad").
Die verblichene Farbe des Krieges
In der Khatami-Ära trat Pop- und Rockmusik neben klassische und traditionelle Musik. Auch Theater und Kino gingen mit zeitgemäßeren Themen neue Wege. Die Farbe des Krieges verschwamm langsam hinter den Farben des Lebens. Gleichzeitig schwelten die politischen und rechtlichen Forderungen wie eine Glut unter der Asche.
Die Aussicht auf Reformen im bestehenden politischen Rahmen ließ die Menschen, die mit Veränderungen zufrieden waren, "Ja" zu Khatami sagen.
Freiheit ist ein Recht, das man sich nehmen muss. Und die Menschen wollten diese Freiheit erreichen – sanft und Schritt für Schritt. Die achtjährige Amtszeit Khatamis, die mehr ein Kampf im Inneren des Systems als ein Kampf für die Bestrebungen der Menschen war, endete mit vielen Verhaftungen und Übergriffen: die "Kettenmorde" an zahlreichen Oppositionellen und Schriftstellern, die blutige Niederschlagung der Studentenproteste des 18. Tir, dem 9. Juli 1999, bei der viele getötet oder inhaftiert wurden.
Schwarz uniformierte Polizeisondereinheiten wurden aufgestellt, die all jene verhafteten, aus deren Autos laute Musik drang, ebenso wie unverheiratete junge Leute, die mit ihren Autos durch die Straßen fuhren. Die Präsenz von soviel Schwarz verbreitete Angst und Schrecken unter den Menschen.
Folgenschwere Präsidentschaftswahlen
Dann kam das Wahljahr 2005, als Mahmud Ahmadinedschad dank geringer Wahlbeteiligung einen Sieg für sich verbuchen konnte. Bis dahin hatten viele nicht einmal seinen Namen gehört. Andere Präsidentschaftskandidaten sprachen von Betrug, doch niemand protestierte wirklich ernstlich.
Vier Jahre später hatten die Menschen erlebt, wie folgenreich die Wahl zwischen schlecht und schlechter war. Viele Iranerinnen wurden Beleidigungen und Verhaftungen durch die Sittenpolizei ausgesetzt. Offensichtlich wollten sie den Protest der Frauenbewegung im Keim ersticken. "Wir sind es, die hier bestimmen!" – so lautete ihr Credo.
Zusammen mit den Spezialeinheiten, die nach eigenen Angaben, den Mob und Pöbel aus der Hauptstadt Teheran vertreiben sollten, war dies der Beginn einer Militärregierung. Die Bevölkerung sollte lernen, sich zu fügen und den Mund zu halten.
"Drogensucht ist schlecht!" konnte man auf Tafeln und Werbeplakaten überall in der Stadt lesen. Aber woher kam all das Rauschgift? Sucht und Prostitution – und die damit verbundenen Krankheiten – haben in diesen vier Jahren rapide zugenommen.
"Nie wieder Ahmadinedschad!"
Die meisten Menschen entschlossen sich deshalb dazu, an den nächsten Wahlen teilzunehmen und einem der drei anderen Kandidaten ihre Stimme zu geben – jeder von ihnen wäre auf alle Fälle ein besserer Präsident als Ahmadinedschad.
Die Menschen im Iran wurden augenscheinlich Tag für Tag ärmer, doch konnte man andererseits auf den Straßen Teherans ständig neue Luxusautos sehen, die auf dem iranischen Markt teurer sind als anderswo auf der Welt. Kurzum: Die Kritik am Präsidenten war zu jener Zeit immens groß.
Während des Wahlkampfes fassten die Menschen den Mut, auf die Straße zu gehen und ihre Kandidaten zu unterstützen. Dies hatte es in den letzten 30 Jahren nicht gegeben. Die Bekanntgabe der Wahlergebnisse brachte die Menschen schließlich auf:
Eine Gruppe junger Frauen und Männer übernahm die Organisation der Protestmärsche. Sie forderten die Menschen auf, Ruhe zu bewahren und nur ihre Hand als Zeichen des Protests nach oben zu strecken. Millionen von Iranern zeigten mit ihrer Präsenz ihre Opposition gegen das Regime.
Die Äußerungen Khameneis und anderer ließ die Wut und den Mut der Menschen immer mehr wachsen – bis es zu Gewalt und Toten kam.
Noch bis zur Rede Khameneis beim Freitagsgebet forderten die Menschen lediglich eine Untersuchung des Wahlbetrugs. Danach jedoch richteten sie ihre Slogans gegen das gesamte politische System.
Jetzt spricht niemand mehr von Wahlbetrug. Die Diskussion dreht sich um die Ignoranz gegenüber der Bevölkerung und die Geringschätzung ihres Denkvermögens. Religiöse Reformer wurden inhaftiert, um zu zeigen, dass selbst Personen aus den eigenen Reihen nicht mit Gnade rechnen können.
Bei all diesen Ereignissen blieb ein Punkt verborgen. In den letzten 30 Jahren haben die Iraner zu keiner Zeit erlebt, dass ihre Regierung mit offenen Karten spielt. Wäre Mir Hussein Mussawi gewählt geworden, so wären angesichts der Befugnisse, die der Präsident im Rahmen der Verfassung besitzt, wohl keinerlei Veränderungen eingetreten.
Im äußersten Fall wäre es zu einer Wiederholung der Regierungszeit Khatamis gekommen. Wem hat der Aufruhr also tatsächlich etwas gebracht?
Parandis Ahmadi
© Qantara.de 2009
* Name von der Redaktion aus Sicherheitsgründen geändert.
Qantara.de
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