Angst vor der schleichenden Konterrevolution
Hassan Saber und Mamdouh Habashi sind beide seit vielen Jahrzehnten politisch aktiv und gehören der ägyptischen Demokratiebewegung an. Zusammen mit Hunderttausenden Landsleuten haben sie in Kairo auf dem Tahrir-Platz für ein Ende der Diktatur und für Reformen demonstriert.
Mit Erfolg: Denn Husni Mubarak hat aufgegeben. Doch Mamdouh Habashi ist trotzdem nachdenklich: "Je mehr man sich mit der Revolution befasst, je mehr man mitgemacht hat, umso mehr Sorge hat man", sagt Habashi. Der ägyptische Architekt und Bauunternehmer kämpft seit Jahren für Demokratie und Menschenrechte in Ägypten. Doch nun, zwei Wochen nach dem Sturz von Staatschef Mubarak weiß er nicht, wie es weitergeht im Land am Nil.
Die Konterrevolution formiert sich
"Man sieht, dass sich die Konterrevolution formiert, und das ist eine Gefahr, die sich nicht nur in unseren Köpfen abspielt, sondern in der Realität", fürchtet der Ägypter. Habashi ist Vizepräsident des Weltforums für Alternativen und Vorstandsmitglied des "Arab and African Research Center" in Kairo, eines Thinktanks, der sich mit Fragen von Demokratisierung und guter Regierungsführung beschäftigt.
Er fürchtet, dass die Ägypter um die Früchte ihrer Revolution gebracht, dass sie abgespeist werden könnten mit kleinen Veränderungen an der Verfassung ohne tiefgreifenden demokratischen Wandel. "Es geht hier um den Inhalt, das heißt, die Konterrevolution will uns eine Demokratie geben, die keine ist, eine Demokratie, in der die Leute lediglich wählen, aber nichts erreichen können", fürchtet Habashi. "Aber eine Demokratie ohne sozialen Fortschritt, ohne ein beträchtliches Maß an sozialer Gerechtigkeit ist keine Demokratie und das wissen die Leute."
Die Opposition protestiert weiter
Und darum gehen sie weiter auf die Straße, demonstrieren für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, für eine bessere Gesundheitsversorgung und für Zugang zu Bildung. Auch der Zahnarzt Hassan Saber gehört zu den Revolutionären der ersten Stunde. Er ist Mitglied der ägyptischen Oppositionsbewegung Kefaja, und auch er war 18 Tage lang auf dem Tahrir-Platz in Kairo.
Seit seiner Studentenzeit vor rund 25 Jahren ist Saber politisch aktiv. Seit dieser Zeit kämpft er zusammen mit Gleichgesinnten für demokratische und soziale Rechte. Die demokratische Bewegung Ägyptens kommt nicht aus dem Nichts, sagt er.
"Es gab linke Gruppen, liberal-demokratische Gruppen, Nasseristen, Muslimbrüder, das sind alles politische Organisationen, die arbeiteten. Wir haben immer, wenn wir demonstrierten und von der Polizei eingekesselt wurden, gehofft, dass es mal mehr Menschen werden würden, aber es wurde viel größer als wir je zu hoffen gewagt hätten, denn dieses kleptokratische Regime hat sich alle zu Feinden gemacht."
Doch bisher ist nur Mubarak gestürzt. Die von ihm eingesetzte Regierung ist noch immer im Amt, die alten Machteliten sitzen noch immer in staatlichen Institutionen, in Behörden und Medien. Hassan Saber lässt sich davon nicht entmutigen:
"Die Revolution ist ein langer Prozess", sagt er. "Wir haben den halben Weg zurückgelegt und Erfolge erzielt. Der wichtigste Erfolg war, dass die Menschen sozusagen ihre Seelen gereinigt haben. Sie haben sich von den hässlichen Angewohnheiten befreit, dass man sich gegenseitig nicht traut, dass man dachte, man kommt nur mit Korruption und Bestechung weiter. All dies wurde hinweggewaschen."
Proteste als politische Lehrstunde
Die Proteste hätten als politische Lehrstunde fungiert. Die Menschen, die eine jahrzehntelange Gehirnwäsche hinter sich hatten, seien auf dem Tahrir-Platz politisch gereift. Dort hätten sie verstanden, wie sehr sie von dem Regime unterdrückt und ausgeplündert wurden.
Diese Lehrstunden seien nicht umsonst gewesen. Dennoch, so fürchtet auch Saber, könnte die Konterrevolution sozusagen auf sanften Pfoten daherkommen. Zum Beispiel, indem sie die weiter stattfindenden Massendemonstrationen zu Volksfesten umfunktioniere.
"Die sanfte Konterrevolution will, dass die Menschen sich glücklich fühlen, dass sie das Gefühl haben, dass sie etwas erreicht haben und nach Hause gehen. Wir wollen die Institutionen zum Leben erwecken, die in der Zeit Mubaraks tot waren, die Studentenunion, die Gewerkschaften, das alles war kontrolliert durch nichtdemokratische Gesetze, und wir wollen diese Bewegungen zum Leben erwecken."
Nun müssten die Menschen in Ägypten für ihre sozialen Rechte kämpfen, für gerechte Löhne, für verbesserte Arbeitsbedingungen, für Teilhabe am Reichtum des Landes. Wenn man die Korruption überwinde, die das Regime Mubaraks geprägt hatte, dann könne sich die ägyptische Wirtschaft erholen, zum Wohle des ganzen Volkes.
"Diese Mafia", sagt Saber, "schöpfte die Ressourcen des Landes ab und verwandelte sie in Geld und Immobilien in der Schweiz und in Europa." Doch der ägyptische Staat sei nicht so arm. "Wir haben den Suezkanal als bedeutende Einkommensquelle, und das Geld kann direkt in das Staatsbudget einfließen."
Außerdem gebe es genügend Gas- und Ölvorkommen. "Unser Gas wurde an Israel verkauft zu einem Preis, der viermal unter dem Weltmarktspreis liegt. Man kann also die Einkünfte des Landes vermehren, wenn man sie auf kluge Art verwaltet."
Realisierbare Alternativen
Auch Mamdouh Habashi ist zuversichtlich, dass Ägypten seine sozialen und wirtschaftlichen Probleme bewältigen kann. Das Argument, dass es schwierig werden dürfte, 80 Millionen Ägypter am wirtschaftlichen Fortschritt zu beteiligen, lässt er nicht gelten: "Viele Leute der richtigen Opposition haben dafür brauchbare, machbare Alternativen unterbreitet. Nur diese Alternativen gehen nicht mit dem diktatorischen, despotischen Regime zusammen, welches das Land ausgesaugt hat."
Heute seien die Alternativen realisierbar, in einer demokratischen Atmosphäre, in der die Leute selbst über ihr Schicksal und die öffentlichen Fragen bestimmen.
Ein paar Tage lang waren Mamdouh Habashi und Hassan Saber in Deutschland. In Berlin haben sie von ihren Erlebnissen während der Massendemonstrationen berichtet und sich mit Politikern, Nahostexperten und politischen Aktivisten ausgetauscht.
Doch für sie ist die Revolution noch nicht zu Ende. Wenn sie wieder zurück sind in Ägypten, werden sie weiter kämpfen, für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit.
Bettina Marx
© Deutsche Welle 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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