Religiöse Barrieren überbrücken

Sechs Jahre lang ist Parvez Sharma durch die muslimische Welt gereist, um das Leben schwuler und lesbischer Muslime zu dokumentieren, die ihre Sexualität mit ihrem Glauben in Einklang zu bringen versuchen. Marianna Evenstein hat sich mit dem indischen Regisseur unterhalten.

​​Der in Indien geborene Parvez Sharma kam 2000 in die USA, doch erst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 fühlte er das Bedürfnis, sich als Muslim zu seiner Homosexualität zu bekennen. "In gewisser Weise war danach nichts mehr wie zuvor. Mein Islam war plötzlich im Westen so offensichtlich."

Gleichzeitig aber war Sharma frustriert darüber, wie negativ der Islam nun in der westlichen Welt dargestellt wurde. Die Arbeit an "A Jihad for Love" erlaubte es ihm, "die Geschichte des Islam mit den Augen seiner wohl ungewöhnlichsten Erzähler zu schildern – schwule und lesbische Muslime."

Die Protagonisten in Sharmas Film repräsentieren ganz verschiedene Welten im Islam – Sunniten und Schiiten, traditionelle und moderne, orthodoxe und weltlichere religiöse Strömungen.

In seinem Film sehen wir einen sich offen bekennenden schwulen Imam in Südafrika, einen homosexuellen Ägypter, der vor seiner Flucht nach Frankreich inhaftiert und gefoltert wurde, ein lesbisches Paar aus der Türkei sowie vier junge Männer, die aus dem Iran geflohen sind und nun in Kanada leben.

Was ihnen allen gemein ist, ist ihre uneingeschränkte, überzeugte Hingabe zum Islam. Trotz aller Prüfungen, denen sie ausgesetzt sind, gibt niemand von ihnen seinen Glauben auf.

Sharma verbrachte viel Zeit damit, ein Vertrauensverhältnis zu den von ihm Porträtierten aufzubauen, was es ihnen erlaubte, sich ihm zu öffnen und auch über sehr private Erfahrungen im Glauben und der Sexualität zu berichten – eine Seelenöffnung, die auch Sharma selbst nicht unbetroffen ließ.

Lektionen über den Glauben

"Ich habe einen langen Weg hinter mir, um – auch mit Hilfe dieses Films – meinen Glauben und den Islam für mich wieder einzufordern", so Sharma. "Ich fühle mich, als sei ich auf eine Reise durch die vielen Welten des Islams gegangen. Ich habe das Leiden nachempfunden, das meine Protagonisten erleben und bin dadurch täglich dem Glauben ein Stück näher gekommen."

Die traditionelle Lesart des Korans verurteilt Homosexualität als Sünde, weshalb sie strengstens verboten ist. Dies schlägt sich auch in der Gesetzgebung der meisten muslimischen Länder nieder, in denen gleichgeschlechtliche sexuelle Praktiken unter Strafe stehen.

Parvez Sharma, Foto: Steve Rhodess
Parvez Sharma: "Meine Religion erlaubte es mir, den Film aus einer 'muslimische Perspektive' zu drehen – und dass mit einem großen Verständnis für den Glauben."

​​Da Sharma wusste, dass er von den Regierungen der Länder, in denen er drehte, niemals eine Drehgenehmigung für ein solches Tabuthema erwarten dürfte, drehte er den überwiegenden Teil seines Films heimlich. "Ich gab mich daher als Tourist aus, so dass ich überall hingelangen konnte", erklärt er.

Seine eigene religiöse Identität ermöglichte es Sharma, seinen Film vom Standpunkt eines Insiders zu gestalten, mit einem hohen Maß an Respekt für den islamischen Glauben, der darin eine Rolle spielt.

"In vielerlei Hinsicht erlaubte es mir meine Religionszugehörigkeit, den Film aus einer 'muslimische Perspektive' zu drehen – und dass mit einem großen Verständnis für den Glauben", meint Sharma. "Es wäre leicht gewesen, bloß einen kritischen Film über den Islam zu machen. Doch ich arbeitete, gemeinsam mit den Darstellern im Film sehr hart daran, dass die Schönheit des Glaubens, die ihnen so wertvoll erscheint, mit großer Aufrichtigkeit und Integrität abgebildet wird."

Jihad als eine innere, spirituelle Auseinandersetzung

Den Titel des Films, "A Jihad for Love", habe er sehr bewusst gewählt. Im Westen werde Jihad ja meist nur mit "Heiliger Krieg" assoziiert. Dabei werde der Jihad in der islamischen Tradition auch als innere, spirituelle Auseinandersetzung verstanden. So erklärt Sharma:

"Wir reklamieren damit einen der mittlerweile umstrittensten und auch trennendsten Begriffe unserer Sprache für uns, und behaupten damit, dass das, was eine kleine, gewalttätige Minderheit im Islam darunter versteht, sicher nicht das ist, was der Prophet Mohammed darunter verstand. Denn er sprach tatsächlich über den viel größeren Jihad, den Kampf eines Gläubigen mit sich selbst."

Mit diesem Kampf haben es die Menschen in Sharmas Film zu tun – eine persönliche, spirituelle Auseinandersetzung um Anerkennung und auch um Liebe. Auch wenn es in ihren Geschichten viel um seelische Schmerzen geht, gibt es immer auch einen Funken Hoffnung.

Im Streben danach, den eigenen Glauben mit dem innersten ihres Wesens in Übereinstimmung zu bringen, gelingt es ihnen, einen neuen, persönlichen Bezug zum Islam aufzubauen. Und so bieten sie Muslimen (wie auch Nicht-Muslimen) eine ganz neue Perspektive, eine Sichtweise, die religiöse Barrieren überbrückt und auf eine einzige, unteilbare Menschheit abzielt.

Wandel für Moscheen und Gemeinden

"A Jihad for Love" hatte bereits eine gewaltige Resonanz auf die Zuschauer während der Filmfestivals in Kanada, Brasilien, Mexiko, Südafrika und Großbritannien.

Auch wenn der ganz überwiegende Teil der Meinungen positiv war, muss Sharma eingestehen, auch Beschwerden und sogar Drohungen erhalten zu haben. Nichtsdestotrotz brachte ihn dies nicht von seinem Ziel ab, den Film auch einem muslimischen Publikum in einem muslimischen Land zeigen zu können.

"Als ich die Reaktionen der Zuschauer sah, wurde mir klar, dass aus dem Film in wenigen Jahren schon eine ganze Bewegung entstehen kann", sagt Sharma, "denn mit diesem Film bringen wir ein muslimisches Dialogprojekt auf den Weg, das die Dinge in Bewegung bringen wird und einen wirklichen Wandel in den Köpfen herbeiführen kann. Ich werde den Film in die Moscheen und Gemeinden bringen, dorthin also, wo er wirklich hingehört."

"Wenn ich es schaffe, einen Mann in Teheran oder eine Frau in Kairo aus ihrer Isolation zu holen oder sie gar von Selbstmordgedanken abzuhalten (...) und wenn ich ihnen einen Funken Hoffnung geben kann, zu ihrer Sexualität zu stehen und ihrem Glauben trotzdem treu bleiben zu können (...) und wenn das Leben auch nur eines Menschen durch diesen Film in positiver Weise verändert würde, sähe ich ihn als Erfolg an."

Marianna Evenstein

© Qantara.de 2008

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

"A Jihad for Love" wurde von Parvez Sharma gedreht und produziert, Coproduktion: Sandi DuBowski (Regisseur und Produzent des vielfach ausgezeichneten Films "Trembling Before G-d"), in Zusammenarbeit mit ZDF-Arte, Channel 4, LOGO, SBS-Australia, "The Sundance Documentary Fund" und der "Katahdin Foundation".

Qantara.de

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Webseite zum Film "A Jihad for Love"